Heute stellt der griechische Ministerpräsident Papandreou die Vertrauensfrage. Fällt die Regierung durch, rückt die Staatspleite näher.
Hamburg/Athen. Heute Nacht wird der griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou dem Parlament die Vertrauensfrage stellen. Es ist für den Regierungschef der letzte Ausweg seine Koalition auf klare Linie zu bringen. Papandreou steht nicht nur unter dem Druck der griechischen Bevölkerung, die seine Sparpläne deutlich ablehnen. Auch die Regierungschefs der Euro-Länder bauen weiter Druck auf. Ihnen gehen die Sparpläne nämlich nicht weit genug. Papandreou baute kurzfristig seine Regierung um, um zumindest den Protestierenden Menschen auf der Straße gerecht zu werden.
Die Euro-Länder formulieren ihre Forderungen derweil schärfer. Der hoch verschuldete Euro-Staat kommt nach einem Beschluss der Euro-Finanzminister nur an die nächste Kredittranche, wenn sein Parlament das Sparprogramm bis Ende Juni verabschiedet. Da die griechische Regierung wegen der Massenproteste den Plan ändern will, muss über die Sparauflagen mit der EU und dem Internationalen Währungsfonds zudem nachverhandelt werden. Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker gab sich überzeugt, dass das Sparprogramm durchkommt. Die Frage einer Ablehnung im Parlament stelle sich nicht. „Griechenland wird das tun, was zu tun ist“, sagte er.
Die Euro-Finanzminister einigten sich nach stundenlangen Verhandlungen in der Nacht zum Montag außerdem darauf, dass bei dem notwendigen zweiten Hilfspaket für Griechenland auch private Gläubiger einen Beitrag leisten müssen – allerdings nur freiwillig und nicht verbindlich, wie es die Bundesregierung ursprünglich gefordert hatte. Die Banken verlangen als Gegenleistung dafür, griechische Staatsanleihen zu halten, wirtschaftliche Anreize, wie der Bundesverband deutscher Banken erklärte. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble erteilte dieser Forderung eine Abfuhr. Mit dem Geld der Steuerzahler werde erneut ein erheblicher Beitrag geleistet, um die Stabilität des Finanzsystems zu sichern, sagte er in Luxemburg. „Dass wir dafür noch Extraleistungen anbieten, würde in der Öffentlichkeit nicht auf allzu viel Verständnis stoßen.“ Die Stabilität des Euro müsse den Privatinvestoren als Anreiz genügen. In die nächtlichen Krisengespräche hatten sich auch die nicht-europäischen G7-Länder USA, Kanada und Japan eingeschaltet zu einer Telefonkonferenz mit Deutschland, Frankreich und Italien. Später am Montag sagte US-Präsidialamtssprecher Jay Carney dann, die Schuldenkrise Griechenlands schaffe einen „Gegenwind“ für die Weltwirtschaft. Die Vereinigten Staaten gingen aber davon aus, dass Europa zusammen mit Griechenland eine Lösung finde.
Schäuble und seine österreichische Amtskollegin Maria Fekter erklärten, Griechenland sei für die Verzögerung bei der Auszahlung der nächsten Kredittranche selbst verantwortlich. Der neue griechische Finanzminister Evangelos Venizelos wolle den schon ausgemachten Sparplan ändern. Das müsse nun abgewartet und neu bewertet werden, sagte Fekter. „Erst muss Griechenland die Bedingungen erfüllen, dann kann man ein neues Programm so beschließen, dass die Auszahlung der Tranche möglich ist“, sagte Schäuble. Die Euro-Länder seien aber bereit, dem Land Zeit bis 2014 zu seiner wirtschaftlichen Erholung zu verschaffen. Juncker kündigte an, bei einer Sondersitzung am 3. Juli werde die Eurogruppe erneut prüfen, ob Griechenland die Bedingungen für weitere Hilfe erfülle. Auch der amtierende IWF-Chef John Lipsky stellte klar, dass der IWF den nächsten Kredit nur zahlt, wenn es eine feste Sparzusage Griechenlands und ein neues Hilfspaket der Euro-Zone gibt.
Nach wochenlangem Streit einigten sich die Euro-Länder zumindest auf eine Linie bei der Beteiligung privater Gläubiger an einem zweiten Hilfspaket, ohne das Griechenland im kommenden Jahr pleite wäre. Nach dem ersten Paket von 110 Milliarden Euro muss eine weitere Finanzlücke bis 2014 von 120 Milliarden Euro gestopft werden. Davon sollten nach früheren Annahmen 30 Milliarden Euro durch Kredite privater Gläubiger gedeckt werden, das neue Paket der Euro-Länder war auf 60 Milliarden Euro taxiert worden. Deutschlands Vorschlag eines Anleihetauschs hätte den Beitrag der Banken oder Versicherungen zwar kalkulierbarer gemacht, diese aber auch zum dauerhaften Engagement gezwungen. Die Ratingagenturen hätten Griechenland dann für zahlungsunfähig erklärt, was nach Befürchtung der EZB und vieler Euro-Länder die Krise noch verschlimmert hätte. Nun soll die Unterstützung völlig freiwillig sein.
Der frühere Bundesfinanzminister Peer Steinbrück hält einen Schuldenerlass für Griechenland für unvermeidlich. „Es geht längst nicht mehr um das „Ob“ eines echten Schuldenerlasses, sondern nur noch um das „Wie„“, schreibt der SPD-Politiker in einem Beitrag für die Wochenzeitung „Die Zeit“. „Eine „sanfte“ Umschuldung über eine Laufzeitverlängerung oder einen Zinserlass schafft nur kurz Luft zum Atmen.“ Ohne Schuldenerlass werde sich Griechenland „aus seinen Kalamitäten nicht befreien können“. Gleichzeitig warf Steinbrück der Bundesregierung dem Beitrag zufolge ein gutes halbes Dutzend „nachweisbarer Kehrtwendungen oder Pirouetten“ in der Europolitik vor. Den Finanzmärkten fehlten daher klare Signale. Steinbrück empfahl, den europäischen Finanzinstituten mit einer „Initiative zur direkten Absicherung und Rekapitalisierung“ zu helfen, damit ein Schuldenerlass für Griechenland sie nicht zu hart treffe.
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Ein Schicksalstag für Griechenland und den Euro
Die Rettung Griechenlands vor dem Staatsbankrott entwickelt sich zu einem Krimi mit ungewissem Ausgang. Europa und die Welt blicken heute mit Spannung auf das Parlament in Athen. Dort stellt Ministerpräsident Giorgos Papandreou am späten Abend die Vertrauensfrage für sich und sein Kabinett. Fällt seine neue sozialistische Regierungsmannschaft durch, rückt eine Staatspleite näher - mit absehbar schweren Erschütterungen des weltweiten Finanzsystems.
Verliert Papandreou im Parlament, müssen eine neue Regierungskoalition gebildet oder Neuwahlen angesetzt werden. Beides könnte die Verabschiedung eines weiteren Spar- und Privatisierungsprogramms für Griechenland durch das Parlament verzögern. Weitere Einsparungen aber sind die Voraussetzung für die Vergabe eines Zwölf-Milliarden-Euro-Kredits durch die Euro-Länder. Fließt dieses Geld nicht, schlittert Griechenland im Juli absehbar in die Staatspleite.
Finanzexperten zweifeln an Bankenbeteiligung: "Freiwilligkeit ist unrealistisch"
Die Finanzminister der Euro-Länder hatten in der Nacht zu gestern die Freigabe einer weiteren Hilfszahlung an Athen abgelehnt. Vielmehr setzten die Euro-Länder Griechenland massiv unter Druck, bis Ende Juni den Weg für weitere Reformen frei zu machen. Zudem einigten sich die Minister darauf, künftig auch private Gläubiger wie Banken und Versicherungen an dem Hilfspaket für Griechenland zu beteiligen - allerdings nur auf freiwilliger Basis.
Finanzexperten zweifeln am Erfolg dieser Maßnahme. "Eine freiwillige Bankenbeteiligung ist sehr unrealistisch", sagte der Präsident des Bayerischen Finanzzentrums, Wolfgang Gerke, dem Abendblatt. Auch rechtlich sei es umstritten, ob Banken zulasten ihrer Aktionäre handeln dürften, um einen Staat zu retten. "Es handelt sich eher um eine verbale Beruhigungspille für die Bürger." In deutschen Regierungskreisen heißt es, dass maximal ein einstelliger Milliardenbetrag von deutschen Banken und Versicherungen zu erwarten sei.
Die Banken wollen sich nicht ohne Gegenleistung an der Rettung Griechenlands beteiligen. Der Bankenverband forderte wirtschaftliche Anreize, damit Institute neue Anleihen des verschuldeten Staates kaufen oder Kreditlaufzeiten verlängern.
Unterdessen wird die Rettung Griechenlands auch für den deutschen Staat zu einer immer abenteuerlicheren Investition. Die Europäische Union stockte gestern ihren befristeten Krisenfonds EFSF für Länder in finanzieller Schieflage von derzeit 440 Milliarden auf 780 Milliarden Euro auf. Deutschlands Anteil werde dabei von jetzt 123 auf 211 Milliarden Euro Garantien steigen, sagte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Diese Summe belaste die Kasse des Bundes aber nicht automatisch: "Das ist ein Garantierahmen", sagte Schäuble.
Zudem einigten sich die EU-Kassenhüter darauf, von 2013 einen ständigen Hilfsfonds (ESM) für Krisenländer einzurichten. Die Europäer wollen damit vor allem die Finanzmärkte beruhigen, die an der finanziellen Stabilität von hoch verschuldeten Ländern wie Griechenland, Portugal oder Irland zweifeln. Viele Minister befürchten, dass die Griechenland-Krise weitere Euro-Staaten in Schwierigkeiten stürzen könnte - genannt werden in diesem Zusammenhang immer wieder Belgien oder Italien.
An den Finanzmärkten blieb es dennoch unruhig. Die europäischen Börsen reagierten mit Kursverlusten. Der Euro rutschte kurzzeitig ab, erholte sich am Nachmittag allerdings wieder.