Im Zentrum Kairos versuchte Armee-Kommandeur Hassan al-Roweni die Demonstranten dazu zu bewegen, den Tahrir-Platz zu räumen.
Sonntag
07.53 Uhr: Nach den zwölftägigen Massenprotesten ist die ägyptische Regierung heute bemüht, das normale Leben wieder in Gang zu bringen. Zum Anfang der Arbeitswoche in dem arabischen Land sollen Banken und Geschäfte wieder öffnen. Im Zentrum Kairos versuchte Armee-Kommandeur Hassan al-Roweni die Demonstranten dazu zu bewegen, den Tahrir-Platz zu räumen. „Wir wollen, dass die Leute wieder zur Arbeit gehen und wieder Geld verdienen, und dass das Leben zur Normalität zurückkehrt“, sagte er. Zwar zeigten sich die Demonstranten kämpferisch und bereit, weiter auszuharren. Allerdings haben viele ihrer Landsleute inzwischen genug von den Protesten. Der Versuch der Regierung von Präsident Husni Mubarak, zum Alltag zurückzukehren, entwickelt sich damit zu einer Probe für die Ent- und Geschlossenheit der Opposition. „Bislang gibt es keine Einigung unter den verschiedenen Parteien und Gruppen auf ein Szenario“, sagte ein hochrangiges Mitglied der Muslimbruderschaft der Nachrichtenagentur Reuters. Die verbotene Islamisten-Gruppe hat angekündigt, am Sonntag erste Gespräche mit der Regierung führen zu wollen. Andere Oppositionelle bleiben dabei, dass es erst nach dem Sturz Mubaraks Verhandlungen geben darf. Dieser hat jedoch erklärt, bis zur Wahl im September im Amt bleiben zu wollen. Antreten werde er dabei nicht.
00.48 Uhr: In Ägypten hat die oppositionelle Muslimbruderschaft Verhandlungen mit der Regierung angekündigt. Bei einer ersten Runde am Sonntag mit Vize-Präsident Omar Suleiman solle „sondiert werden, wie ernst es den Behörden mit den Forderungen des Volkes ist und ihrer Bereitschaft, auf diese einzugehen“, sagte ein Sprecher der verbotenen Gruppe der Nachrichtenagentur Reuters am späten Sonnabend. Ab 11.00 Uhr (Ortszeit) sollten unter anderem der Rücktritt von Präsident Husni Mubarak, das Versammlungsrecht und eine Übergangsregierung besprochen werden. Die Muslimbruderschaft setzt sich für das islamische Recht, die Scharia, ein. Sie ist die einflussreichste und am besten organisierte Oppositionsgruppe in Ägypten.
Sonnabend
22:04 Uhr: Die US-Regierung hat die Rücktritte an der Spitze der ägyptischen Regierungspartei als „positiven Schritt“ bezeichnet. „Wir sehen dies als positiven Schritt hin zu dem notwendigen politischen Wandel und erwarten weitere Schritte“, sagte der Sprecher des nationalen Sichereitsrates der USA, Tommy Vietor, am Sonnabend in Washington. US-Präsident Barack Obama habe mehrmals gesagt, die Ägypter müssten selbst über den Übergang in ihrem Land entscheiden. „Wir begrüßen jeden Schritt, der diesem Prozess Glaubwürdigkeit schenkt.“
21:50 Uhr: Die Verwirrung in und um Ägypten scheint groß. Zuerst dementierte Mubarak seinen Rücktritt als Parteichef, nun distanzieren sich die USA von ihrem Sondergesandten Wisner. Er behauptete, die USA spreche sich für einen vorläufigen Verbleib von Präsident Mubarak an der Macht aus. Die Äußerungen von Frank Wisner „betreffen nur ihn selbst, nicht die US-Regierung“, sagte ein ranghoher Vertreter der US-Regierung am Sonnabend in München. Ein anderer US-Regierungsvertreter, Mitglied der Delegation von US-Außenministerin Hillary Clinton bei der Münchner Sicherheitskonferenz, sagte: „Frank Wisner hat sich als Privatmann geäußert, als Analytiker, nicht als ein Vertreter der amerikanischen Regierung“.
Wisner war am Montag von US-Präsident Barack Obama nach Kairo geschickt worden, um Ägyptens Präsidenten Mubarak eine Botschaft der USA zu übermitteln. Er ist inzwischen in die USA zurückgekehrt. In einer Videoschaltung zur Sicherheitskonferenz sagte er am Sonnabend: „Ich glaube, dass die Führerschaft von Mubarak weiter von Bedeutung ist“. Mubarak sei ein „alter Freund“ der USA, mit dem „respektvoll“ umgegangen werden müsse. Der Staatschef stehe vor der „großen Aufgabe“, dem Übergang Gestalt zu geben und Ägypten in eine neue Zukunft zu führen. Damit stellte sich Wisner gegen die ägyptische Protestbewegung, die einen sofortigen Abgang Mubaraks fordert.
Obama hatte am Freitag Mubarak aufgefordert, auf die Forderungen seines Volkes einzugehen. Mubarak müsse „darauf hören, was das ägyptische Volk sagt“ und eine Entscheidung treffen, welchen Pfad er einschlagen wolle. Laut einem Bericht der „New York Times“ gibt es bei der US-Regierung Pläne, Mubarak für längere Zeit nach Deutschland zu bringen.
Führungsriege geht - Mubarak bleibt
Ägyptens Machthaber bleibt doch länger als zunächst berichtet Chef der Regierungspartei. Eine Falschmeldung des Nachrichtensenders Al-Arabija über einen Rückzug des ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak als Vorsitzender der Regierungspartei NDP hat für Verwirrung gesorgt. Al-Arabija berichtete am Sonnabend zunächst, dass neben zahlreichen Spitzenfunktionären der Nationaldemokratischen Partei (NDP) auch Staatschef Mubarak selbst sein Parteiamt als Vorsitzender abgegeben habe. Kurze Zeit später berichtigte der Nachrichtensender seine Meldung. Die Führungsriege der Partei sei zwar zurückgetreten. Mubarak selbst habe seinen Posten als Parteichef aber nicht aufgegeben.
Zu den Funktionären, die ihre Parteiämter verloren, gehören demnach auch Mubaraks Sohn Gamal und der Sprecher der zweiten Kammer des ägyptischen Parlaments, Safwat Al-Scherif. Al-Scherif war bislang Generalsekretär der Partei. Ungewiss ist weiter, wie lange der seit fast 30 Jahren amtierende Mubarak den Posten des Staatschefs noch behalten wird. Millionen Ägypter fordern seit fast zwei Wochen bei Protestaktionen im ganzen Land vehement den Rücktritt des 82-Jährigen. Westliche Regierungen hatten – vor allem nach gewalttätigen Ausschreitungen gegen Demonstranten und Journalisten – zudem immer deutlicher einen geordneten Übergang in Ägypten angemahnt.
Die Tatsache, dass die Partei sofort Hossam Badrawi zum Nachfolger von Al-Scherif und Gamal Mubarak ernannte, deutet darauf hin, dass zumindest diese beiden Männer zum Rücktritt gedrängt worden waren. Badrawi ist ein führender Vertreter des Reformflügels der Partei ebenso wie weitere NDP-Mitglieder, von denen es hieß, sie sollten führende Ämter in der Partei übernehmen. Unabhängige Beobachter werteten den Wechsel an der Parteispitze als Versuch, die NDP vor dem völligen Untergang zu retten. Mubarak junior war von der Wirtschaftselite des Landes noch vor einigen Wochen als möglicher Nachfolger seines Vaters gehandelt worden. Er leitete bislang das Politische Komitee der NDP. Der bisherige Generalsekretär der Partei, Al-Scherif, gehörte zur alten Garde der NDP. Außerdem legten mit Sakarija Asmi und Mufid Schehab zwei weitere Getreue von Präsident Mubarak ihre Parteiämter nieder.
Suleiman soll in Übergangsphase Reformen einleiten
„Es ist wichtig, den Übergangsprozess zu unterstützen, den die faktisch vom jetzigen Vize-Präsidenten Omar Suleiman geführte Regierung angekündigt hat“, sagte Clinton.
„Die ganz schnelle Wahl als Beginn eines Demokratisierungsprozesses halte ich für falsch“, betonte auch Merkel. „Wenn als erstes gewählt wird, haben neue Strukturen keine Chance“. Nach Clintons Worten müssen zunächst die staatlichen Institutionen gestärkt, ein unabhängiges Rechtssystem aufgebaut und eine freie Presse erlaubt werden. „Ich glaube nicht, dass wir die Weltprobleme lösen, wenn wir einen Schalter umlegen oder Wahlen abhalten“, sagte der britische Premierminister David Cameron. Der Westen begründet seine Vorsicht nicht zuletzt mit einer zeitlich knappen Vorgabe der ägyptischen Verfassung: In EU-Kreisen hieß es, bei einem Rücktritt des Präsidenten müsse binnen 60 Tagen gewählt werden.
Eine Gruppe von unabhängigen ägyptischen Oppositionellen, die sich zu Beginn der Proteste als „Rat der weisen Männer„ gebildet hat, wünscht einen ähnlichen Weg wie die USA: „Der Rat fordert, dass der Präsident in einer Übergangsperiode bis zum Ende seiner Amtszeit seine gesamte Macht an Vize-Präsident Omar Suleiman abgibt“, sagte Amr Hamsaui, ein Mitglied des Rats. Es ist unklar, wie viel Rückhalt die „Weisen Männer“ unter den Demonstranten haben, die seit zwölf Tagen zu Hunderttausenden das Ende des autoritären Mubarak-Regimes fordern. Zudem schreibt die ägyptische Verfassung vor, dass nur der Präsident selbst und nicht sein Vize die Verfassung ändern oder das Parlament auflösen darf.
Merkel betonte, Deutschland und Europa stünden auf der Seite der Reformer in Ägypten. „Wer sind wir, wenn wir nicht sagen, dass wir an der Seite dieser Menschen stehen“, sagte sie. Es sei eine Pflicht der westlichen Regierungen, sich für Werte wie Presse- und Meinungsfreiheit einzusetzen. „Es gibt wieder Bilder von Menschen, die sich etwas trauen, die ihre Angst ablegen, Ungerechtigkeit beim Namen zu nennen.“ In der Achtung zentraler Rechte von Menschen dürfe es keine Kompromisse geben.
Der Freitag im Überblick:
Unter dem Druck der Straße und der internationalen Staatengemeinschaft sinkt das alte Regime langsam in die Knie. Zu Hunderttausenden forderten die Menschen am Freitag in Kairo, Alexandria und anderen Städten ein Ende der Ära Mubarak. Was zu blutigen Unruhen hätte führen können, entpuppte sich als ebenso machtvolle wie friedliche Demonstration für einen Wandel in Ägypten. Protokoll eines explosiven Tages:
7.40 Uhr: Die ägyptische Armee hat sich nach US-Angaben weiter Zurückhaltung auferlegt und will nicht gegen die Demonstranten in Kairo vorgehen. US-Generalstabschef Mike Mullen sagt im US-Fernsehen, die Militärführung habe ihm versichert, dass sie nicht auf die Bevölkerung schießen werde.
9.01 Uhr: Tausende Menschen harren auf dem Tahrir-Platz von Kairo aus. Sie bereiten sich auf weitere Massenproteste nach den Freitagsgebeten vor, die den Präsidenten Husni Mubarak zum Rücktritt zwingen sollen.
9.40 Uhr: Eine Gruppe von bewaffneten Männern hat am Morgen in der Stadt Al-Arisch die Zentrale der Geheimpolizei mit Panzerfäusten angegriffen.
10.25 Uhr: Immer mehr Menschen versammeln sich auf dem Tahrir-Platz. Augenzeugen berichten, in der Innenstadt hätten rund 1000 Soldaten Stellung bezogen. Anhänger Mubaraks, die in den Vortagen Demonstranten und ausländische Journalisten angegriffen haben, sind nicht dort zu sehen.
11.10 Uhr: Verteidigungsminister Mohammed Hussein Tantawi sagt nach Angaben des Senders al-Arabija auf dem Tahrir-Platz: "Hey Leute, es reicht. Der Mann wird nicht mehr kandidieren." Tantawi fügt hinzu: "Sagt dem Oberhaupt der Muslimbrüder, dass er den Dialog akzeptieren soll."
11.50 Uhr: Kurz vor Beginn des Freitagsgebets werden Journalisten in einem Hotel in der Nähe des Tahrir-Platzes aufgefordert, nicht von den Balkonen aus zu filmen oder zu fotografieren. Das Militär werde von jedem, der dagegen verstoße, die Ausrüstung konfiszieren.
12.34 Uhr: Zehntausende nehmen am Freitagsgebet auf dem Platz teil. "Wir wurden frei geboren und werden frei leben", ruft der Imam. "Ich fordere euch auf, geduldig zu sein bis zum Sieg."
13.19 Uhr: Das Kabinett weist die Armee nach eigenen Angaben an, ausländische Journalisten bei deren Arbeit zu unterstützen. Mehrere Reporter in Kairo waren attackiert worden.
13.21 Uhr: Die Uno-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay fordert eine Untersuchung der blutigen Zusammenstöße zwischen Anhängern und Gegnern von Präsident Mubarak. Bei den Unruhen am Mittwoch habe es "schockierende Szenen" gegeben. Die Vorfälle müssten "transparent und unparteiisch" untersucht werden, fordert Pillay.
13.45 Uhr: Der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Mussa, erwägt eine Kandidatur bei einer künftigen Präsidentenwahl. Mussa erklärt im französischen Rundfunksender Europe 1, er erwarte, dass Präsident Mubarak bis zum Ende seiner Amtszeit in sieben Monaten an der Spitze der Regierung bleibe. Er glaube, dass es unmöglich wäre, rasch Neuwahlen zu organisieren.
14.04 Uhr: Ägypten hat nach Angaben von Finanzminister Samir Radwan durch die seit zehn Tagen anhaltenden Proteste immense wirtschaftliche Verluste erlitten. Die Regierung will nach eigenen Angaben Bürger entschädigen, die durch die Unruhen Schäden erlitten haben. Der Hilfsfonds soll umgerechnet rund 630 Millionen Euro umfassen.
14.38 Uhr: Arabische Reporter melden vereinzelte Zusammenstöße zwischen Regimegegnern und Mubarak-Anhängern in Kairo, Alexandria und Port Said. Ein Augenzeuge in Kairo berichtet, bei den Pro-Mubarak-Gruppen handele es sich um Schlägertrupps, die versuchten, den Demonstranten den Weg abzuschneiden. Nahe dem Tahrir-Platz griffen Anhänger der alten Führung Regimegegner an. Die Gruppen hätten sich mit Steinen beworfen, berichteten Augenzeugen. Mindestens acht Menschen seien verletzt worden.
14.52 Uhr: Das Büro von al-Dschasira in Kairo ist nach Angaben des arabischen Fernsehsenders von einer "Bande von Dieben" gestürmt und verwüstet worden. Es sei Feuer gelegt und Ausrüstung beschädigt worden.
15.18 Uhr: Mehrere Funktionäre des alten Regimes sollen wegen Korruption vor Gericht gestellt werden, meldet die ägyptische Nachrichtenwebsite Youm7 unter Berufung auf Justizkreise. Unter den Verdächtigen, gegen die ein Ausreiseverbot verhängt wurde, seien Ex-Innenminister Habib al-Adli, der Stahlmagnat Ahmed Ezz, Tourismusminister Suheir Garana und Wohnungsbauminister Ahmed al-Maghrabi.
20.11 Uhr: Seit Beginn der Unruhen haben mindestens 160 000 Ausländer allein über den Flughafen Kairo das Land verlassen, meldet die amtliche Nachrichtenagentur Mena. Der neue Vizepräsident Omar Suleiman hatte schon zuvor von gut einer Million Touristen gesprochen, die aus Ägyptens Urlaubszentren ausgereist seien.
20.34 Uhr: Die regierende Nationaldemokratische Partei (NDP) ruft ihre Anhänger zum Gewaltverzicht auf. Sie sollten "sich an den Waffenstillstand halten und keine Konfrontationen mit anderen suchen". Zugleich weist sie Vorwürfe zurück, sie stecke hinter den Angriffen auf Regierungsgegner.
21.00 Uhr: Der Oppositionspolitiker Mohammed al-Baradei bringt sich als möglicher Mubarak-Nachfolger ins Gespräch. "Wenn die Leute es so wollen, würde ich selbstverständlich zur Verfügung stehen", sagt al-Baradei der österreichischen Zeitung "Der Standard".
21.18 Uhr: Die ägyptische Regierung hat das in Kairo und in mehreren anderen Städten verhängte Ausgehverbot gelockert, berichtet das staatliche Fernsehen. Es gilt jetzt von 19 bis 6 Uhr anstatt von 17 bis 7 Uhr.
(Mit Material von afp und Reuters)