Mubarak-Anhänger sollen die Straßenschlachten befeuert haben. Deutsche in Ägypten greifen Bundesregierung an: Die Lage werde verharmlost.
Kairo/Hamburg. Die Lage auf den Straßen Kairos ist in der Nacht erneut eskaliert. Erste Beobachter sprechen von Bürgerkrieg. Nach verschiedenen Agenturangaben gab es bis zu vier Tote und Hunderte Verletzte. Dabei wurden auch Korrespondenten attackiert und bedroht, darunter die Journalisten von ARD und ZDF sowie Starreporterin Christiane Amanpour (jetzt beim US-Sender ABC). Im Stadtzentrum waren am Donnerstag seit etwa 4 Uhr (Ortszeit, 3 Uhr MEZ) vereinzelt Schüsse zu hören, wie ein AFP-Korrespondent berichtete. Laut Augenzeugen schossen Mubarak-Anhänger von der Oktober-Brücke, einer nahen Hochstraße, auf die Regierungsgegner auf dem zentralen Tahrir-Platz.
Die Lage auf dem Tahrir-Platz in Kairo hat sich weiter zugespitzt. Vier Menschen sollen durch Schüsse ums Leben gekommen sein, berichtete der arabische Nachrichtensender al-Arabija unter Berufung auf Helfer und Augenzeugen. Nach Angaben des Senders CNN sprach auch das ägyptische Gesundheitsministerium am Donnerstag von vier Toten.
Zunächst war aber unklar, ob es sich dabei um die Opfer seit Mittwoch handelte oder um die Zahlen der Nacht. Bei CNN hieß es, in der Nacht seien auch Schüsse aus Maschinengewehren abgefeuert worden. Überall gebe es Verwundete. Ein CNN-Reporter berichtete, Ärzte behandelten Verletzte direkt auf der Straße, nähten ihre Wunden.
Mehrere Rettungswagen fuhren auf den Platz. Bei Tagesanbruch beruhigte sich die Lage zunächst wieder. Nach Ende der Ausgangssperre am Morgen waren wieder Hunderte Menschen auf dem Platz. Überall waren aus der Nacht noch Barrikaden und ausgebrannte Fahrzeuge zu sehen. Vorher waren auf Fernsehbildern Demonstranten zu erkennen, die sich mit Molotow-Cocktails, Steinen und anderen Gegenständen bewarfen. In einem Gebäude in der Nähe des Ägyptischen Museums auf dem Tahrir-Platz waren Flammen zu sehen, berichtete CNN am frühen Donnerstag.
Hillary Clinton macht Druck auf Mubarak
Inmitten der Krise suchen die USA weiter Einfluss auf die Regierung in Kairo zu nehmen. US-Außenministerin Hillary Clinton telefonierte mit dem neuen ägyptischen Vizepräsidenten Omar Suleiman. Clinton habe von Suleiman eine Untersuchung der Übergriffe in Kairo verlangt. Die Außenministerin habe dabei abermals die Gewalt verurteilt und die ägyptische Regierung aufgefordert, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, sagte Außenamtssprecher Philip Crowley. Er wiederholte den Standpunkt der US-Regierung, wonach der politische Übergangsprozess sofort beginnen müsse. „Morgen ist nicht gut genug“, sagte Crowley.
El-Baradei: Die Armee muss eingreifen
Es müssten „sobald wie möglich“ Wahlen stattfinden. „Wir wollen einen glaubwürdigen Prozess sehen, der zu freien, fairen und legitimen Wahlen führt“, erklärte Crowley weiter. Angesichts der Exzesse forderte Oppositions-Vertreter Mohammed el-Baradei die Armee auf, weitere Angriffe der Mubarak-Anhänger auf die Demonstranten zu unterbinden. Die Armee müsse eingreifen, um das Leben ägyptischer Bürger zu schützen, sagte el-Baradei in einem Interview des Senders al-Dschasira. „Es gibt eindeutige Beweise, dass die Polizei ihre Männer in Zivilkleidung auf die Demonstranten gehetzt hat“, sagte der Friedensnobelpreisträger.
Auch deutsche Journalisten wurden attackiert
Bei den Straßenschlachten im Zentrum von Kairo haben Mubarak-Anhänger auch ausländische Journalisten angegriffen. Wie die Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) in Paris mitteilte, wurden mehrere Berichterstatter geschlagen und ihrer Ausrüstung beraubt. Betroffen seien Mitarbeiter von Sendern wie BBC, al-Dschasira, CNN, al-Arabija und ABC News. Auch Polizisten sollen zu den Tätern gehört haben. ROG-Generalsekretär Jean-François Julliard bezeichnete die Angriffe als schockierend und forderte eine entschlossene Reaktion des Auslands. „Diese Angriffe scheinen Racheakte gegen internationale Medien zu sein, die die Forderungen der Demonstranten nach einem Rücktritt Mubaraks übermitteln“, sagte der Franzose.
Eine bedrohliche Situation erlebte auch Christiane Amanpour, früher bei CNN, jetzt beim US-Fernsehsender ABC. Sie versuchte einen Mubarak-Unterstützer zu interviewen, als sie von einer Gruppe junger Männer eingekreist wurde. Diese riefen: „Wir hassen Amerikaner“ und „Geh' zur Hölle“. Opfer eines gewalttätigen Übergriffs wurden auch der CNN-Reporter Anderson Cooper sowie dessen Producer und Kameramann. Dabei wurden sie nicht nur geschlagen, die Angreifer versuchten auch, die Kamera zu zerstören. Ein ähnliches Schicksal erlitten ebenso zwei Reporter der Nachrichtenagentur AP.
Auch der ZDF-Korrespondent Dietmar Ossenberg hatte am späten Mittwochabend eine Live-Schaltung während der „heute“-Sendung vom Balkon eines Kairoer Hotels abgebrochen, nachdem er und sein Kameramann von einem Laserstrahl erfasst worden waren. Der ARD-Korrespondent hatte sich zu seinem Telefonbericht in ein Hotel zurückgezogen. Dort fühlte er sich sicherer. Zwei Journalisten des kanadischen CBC-Netzwerks berichteten, dass sie von einem Mob eingekreist und verprügelt worden seien, bis die ägyptischen Streitkräfte sie in Sicherheit gebracht hätten. „Ohne sie wären wir vermutlich totgeschlagen worden“, sagte der Reporter Jean-Francois Lepine.
Hacker nehmen Rache an der ägyptischen Regierung
Eine Gruppe Hacker hat nach eigenen Angaben die Websites der ägyptischen Regierung angegriffen. Die Verbindungen zu den Seiten seien gekappt worden, kurz nachdem der seit Freitag unterbrochene Zugang zum Internet in Ägypten wieder verfügbar war, hieß es. In einem von einer Gruppe mit dem Namen „Anonymus“ betriebenen Online-Forum wurden die Teilnehmer aufgerufen, die Websites des ägyptischen Informationsministeriums und der Regierungspartei NDP anzugreifen. „Anonymus“ hatte im November zur Unterstützung für die Enthüllungsplattform WikiLeaks aufgefordert.
Deutscher Lehrer aus Alexandria macht Bundesregierung schwere Vorwürfe
In der ARD-Sendung „hart aber fair“ mit Moderator Frank Plasberg berichtete ein Lehrer an der deutschen Schule in Alexandria von den katastrophalen Zuständen und der mutmaßlichen Fehleinschätzung des Auswärtigen Amtes in Berlin. So habe man keine Reisewarnung herausgegeben und die Deutschen nur beruhigt, als bereits Plünderer durch die Straßen in Alexandria liefen. Der Lehrer, Günter Förschner, konnte sich mit seiner Familie nach Deutschland retten. Er machte der Deutschen Botschaft und dem Außenministerium von Guido Westerwelle schwere Vorwürfe. Sie würden die Lage in Ägypten falsch einschätzen und nicht die richtigen Schlüsse aus der eskalierten Situation ziehen. Andere Länder hätten schneller reagiert und ihre Landsleute aus Ägypten evakuiert.
Westerwelle fürchtet Eskalation nach Freitagsgebeten
Bundesaußenminister Westerwelle hat schockiert auf die Gewalt in Ägypten reagiert und Sorge über eine weitere Eskalation geäußert. Es sei wichtig, dass die internationale Gemeinschaft geschlossen auftrete, denn nur dann bestehe die Chance, dass sich in Ägypten etwas ändere, sagte der Minister in der ARD. Die Europäische Union und die USA stimmten sich eng ab, um eine klare Botschaft an die ägyptische Regierung zu überbringen, auf Gewalteinsätze zu verzichten und zu einem friedlichen Dialog zurückzukehren. Die Bundesregierung setze darauf, dass es am Donnerstag Fortschritte in den Bemühungen gebe, einen solchen Dialog zwischen Regierung und Opposition in Gang zu bringen.
„Denn ansonsten befürchte ich, auch vor dem Hintergrund der morgigen Freitagsgebete, dass es auch zu einer weiteren Zuspitzung der Lage kommen kann“, sagte der Minister. Westerwelle äußerte sich ausweichend auf die Frage, ob Präsident Husni Mubarak nicht sofort zurücktreten müsse. „Wer das ägyptische Volk regiert, das kann nur vom ägyptischen Volk selbst entschieden werden“, sagte er. (abendblatt.de/dpa/dapd/AFP/rtr)