Terrorfahnder sollen künftig systematisch Daten sammeln und speichern können. Dazu will die EU-Kommission alle Airlines verpflichten.
Hamburg/Brüssel. Mit großer Skepsis haben gestern Datenschützer und Justizpolitiker auf den Vorschlag der Europäischen Kommission reagiert, künftig systematisch Flugdaten zu sammeln. EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström versicherte dagegen gestern bei der Präsentation ihres Entwurfs in Brüssel, die Datenerhebung sei ein "wichtiger Bestandteil der EU-Sicherheitspolitik".
Der Richtlinienentwurf sieht vor, dass die Passagierdaten von Fluggästen auf dem Weg nach oder aus Europa künftig automatisch europäischen Terrorfahndern zur Verfügung stehen. Per Gesetz will die EU-Kommission alle Airlines verpflichten, die Reservierungsdaten an die Behörden in den EU-Mitgliedsländern zu geben, wo die Maschine startet oder landet. Die Pläne betreffen rund 19 Angaben, die Fluggesellschaften bei der Buchung registrieren. Dazu zählen Name, Anschrift, Zahlungsweise, Kreditkartennummer oder Kofferzahl. Bereits jetzt werden diese Angaben im sogenannten Passagiernamensregister (PNR) gesammelt und zur Verbrechensbekämpfung genutzt. Für Reisende in die USA, Kanada und Australien verlangen die dortigen Behörden von den EU-Airlines bereits diese Daten. Nach Angaben europäischer Fluggesellschaften bedeute der Entwurf jedoch eine deutliche Ausweitung der staatlichen Daten, da dann die Europäische Union diese Daten nicht mehr nur herausgeben, sondern auch selbst einsammeln würde.
Eine einheitliche Regelung in der EU sei notwendig, um "schwere Verbrechen wie Drogenschmuggel und Menschenhandel sowie Terrorismus" zu bekämpfen, begründete Malmström das Vorhaben. Die EU-Mitgliedstaaten und das Europaparlament müssen dem Vorhaben noch zustimmen.
Der Hamburger Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar kritisierte den Kommissionsentwurf scharf. Im Hamburger Abendblatt bemängelte er die in der Richtlinie vorgesehene lange Speicherdauer von fünf Jahren als "nach rechtsstaatlichen Maßstäben inakzeptabel". Dass die ebenfalls eingeplante Anonymisierung der Daten nach 30 Tagen funktioniere, bezweifelt Caspar. Ähnlich wie die umstrittene Vorratsdatenspeicherung in der Telekommunikation sei auch die Abfrage von Reisedaten durch Behörden "hoch sensibel". Es könne so zu einem Strafverdacht kommen, der völlig unbegründet sei. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Schaar sagte: "Ich erwarte von Bundesregierung und Bundestag, dass sie dem Vorhaben eine klare Absage erteilen."
Auch Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) steht den Plänen aus Brüssel skeptisch gegenüber. In seinem Urteil vom März zur Vorratsdatenspeicherung habe das Bundesverfassungsgericht betont, dass der deutsche Gesetzgeber bei der Erwägung neuer Speicherungspflichten zur Zurückhaltung verpflichtet sei. "Der Spielraum für weitere anlasslose Datensammlungen auch über den Weg der Europäischen Union ist, so das Bundesverfassungsgericht, erheblich geringer", sagte die Ministerin. Ob die EU-Kommission diesen Spielraum weiter einenge, werde das Justizministerium nun prüfen.
Im Ministerium rechnet man jetzt damit, dass das Europäische Parlament sein Veto einlegen könnte. Der Hamburger Europaabgeordnete Knut Fleckenstein äußerte Zweifel, dass der Kommissionsvorschlag verhältnismäßig ist. "Mir ist das sehr suspekt", sagte der SPD-Politiker dem Abendblatt. Er erwartet heftige Diskussionen im EU-Parlament.
Der Grünen-Abgeordnete im Bundestag, Konstantin von Notz, wurde deutlicher: "Was die EU-Kommission da vorgeschlagen hat, ist maßlos und unverhältnismäßig", sagte er dem Abendblatt. "Die Weitergabe von Flugdaten halte ich ohne eng gesteckten Rahmen für verfassungsrechtlich heikel." Die Bundesregierung sei jetzt in der Pflicht, die Vorschläge der EU-Kommission kritisch zu prüfen und sich für eine verfassungs- und datenschutzkonforme Regelung einzusetzen.
Die Hamburger Europaabgeordnete Birgit Schnieber-Jastram (CDU) zeigte sich aufgeschlossener: "Ich habe den Vorschlag zur Kenntnis genommen und er scheint mir besser als der erste Anlauf, den die Kommission 2007 gemacht hat", sagte sie dem Abendblatt. "Es bedarf allerdings noch einer Diskussion darüber, ob der Mehrwert eines solchen EU-Systems für die Terrorismusbekämpfung groß genug wäre, um Einschränkungen beim Datenschutz zu rechtfertigen." Die Kommission müsse nun Überzeugungsarbeit leisten.
Laut Entwurf rechnet die Kommission damit, dass die Verhandlungen mit Parlament und Ministerrat noch zwei Jahre dauern werden.