Fröhlicher Vater und finsterer Fanatiker: Taimur Abdel Wahab führte ein Doppelleben. Die Polizei sucht nun mit Hochdruck nach Hintermännern.
Stockholm/London. Der Stockholmer Attentäter hatte Helfer – jetzt stellte sich auch noch heraus, dass er wohl mit Unterstützung von al-Qaida gehandelt hat. Die Polizei sucht nun deshalb mit Hochdruck nach den Hintermännern.
Über den Selbstmordattentäter, den die Staatsanwaltschaft zu "98 Prozent" als Taimur Abdel Wahab identifiziert hat, wird unterdessen ein diffuses Bild gezeichnet. Er hat wohl ein Doppelleben geführt: Nach außen freundlicher Student und liebevoller Familienvater im englischen Luton. Im Internet und bei Trainingsaufenthalten in Pakistan outete er sich als finsterer Fanatiker.
Den Geheimdiensten sei Wahab vor dem Anschlag nicht bekannt gewesen. Der Anschlag sei „sehr gut geplant“ gewesen. Die Ermittler gingen deshalb davon aus, dass der Attentäter Helfer gehabt habe. „Wir müssen davon ausgehen, dass er mit mehreren Leuten arbeitete“, sagte Lindstrand.
Wie das auf die Überwachung islamistischer Webseiten spezialisierte US-Unternehmen SITE am Montag mitteilte, könnte Wahab im Auftrag des irakischen Arms des Terrornetzwerks al-Qaida gehandelt haben. Der im Mai von US-Soldaten getötete irakische Al-Qaida-Anführer Abu Omar el Bagdadi hatte im September 2007 angekündigt, wegen der Veröffentlichung von kritischen Zeichnungen des Propheten Mohammed durch den schwedischen Karikaturisten Lars Wilks Rache an dem Land üben zu wollen. Auf diese Drohung habe sich Wahab in seinem Testament bezogen, teilte SITE mit.
„Playboy“ in modischer Kleidung, rechthaberisch, hochbegabt und im Internet auf der Suche nach einer Zweitfrau: Das Dunkel um den Selbstmordattentäter von Stockholm hat sich ein Stück weit gelichtet, ohne dass die entscheidende Frage beantwortet wäre: Was bringt einen 28-jährigen Vater von drei Kindern dazu, mit Sprengstoff bepackt den Mord an möglichst vielen Menschen beim Weihnachtseinkauf anzustreben und das eigene Leben dabei wegzuwerfen? Die Stockholmer Fahnder hielten sich mit Angaben über den toten Attentäter weiter betont zurück. „Wir gehen davon aus, dass er Mithelfer hatte“, erklärte Staatsanwalt Thomas Lindstrand. Das war’s schon fast. Und dass der Anschlag, bei dem gottlob nur zwei Passanten leicht verletzt worden waren, wohl durch einen Fehler des Täters für alle Anderen glimpflich ausgegangen ist: Eine der ihm umgeschnallten sechs Rohrbomben war zu früh detoniert. Der 1981 geborene Taimur Abdulwahab al-Abdali war mit seinen irakischen Eltern als Zehnjähriger nach Schweden gekommen. 2001 zog er als Student in die englische Stadt Luton, wo der muslimische Bevölkerungsanteil bei 15 Prozent liegt. Von hier zeichneten Medien- Informationen über den Attentäter das Bild eines verblendeten jungen Mannes, der eine Art Doppelleben führte. Für die Nachbarn war er der nette Herr von nebenan.
„Er war immer freundlich“, sagte ein Nachbar in der Stadt bei London. Bekannte berichteten dem Nachrichtensender Al-Arabija, al- Abdali sei von seinen Freunden wegen modischer Kleidung aufgezogen worden. Sie hätten ihm den Spitznamen „Playboy“ verpasst. Auch Fotos aus Facebook und anderen Internetquellen zeigen einen gut aussehenden, ziemlich fröhlich wirkenden jungen Menschen.
In Tranås im idyllischen mittelschwedischen Bezirk Småland schilderte ihn eine jetzt 25-jährige Ex-Freundin als „lebensfroh, immer mit einem Lachen auf dem Gesicht“. Ein Ex-Lehrer bescheinigt ihm „überdurchschnittliche Begabung“, ein Ex-Schulkamerad allerdings auch einen ausgeprägten Hang zum Rechthaberei.
Niemand in Schweden konnte den lebensfrohen Teenager Taimur mit dem Selbstmordattentäter und potenziellen Massenmörder mit Wohnsitz Luton unter einen Hut bringen. Dass er in der Zwischenzeit radikalislamistische Ausbildungslager für Terroristen in Pakistan besucht hat, berichtete al-Abdali in seiner „Abschiedsbotschaft“.
Auch in Luton wahrte er die freundliche Fassade. Im Vorgarten seines biederen Reihenhäuschens spielte er mit den Kindern, zwei Mädchen und ein kleiner Junge. An der Universität Bedfordshire in Luton studierte der Vater Physiotherapie.
Wenn er sich aber an den Computer setzte, wurde der nette junge Mann von nebenan plötzlich zum Gotteskrieger. Auf seiner Facebook- Seite veröffentlichte er Bilder von Infernos. Eines zeigt die Welt in Flammen, darüber eine Flagge mit Halbmond gehisst, berichtete die „Daily Mail“. Ein anderes zeigt die Tower-Bridge in London, der eine Turm brennt, der andere wird von einer riesigen Flutwelle umspült. Er outete sich als Mitglied der islamistischen Gruppierung „Islamischer Kalifatsstaat“, der die Einführung islamischen Rechts weltweit anstrebt.
2007 bekam al-Abdali mit seinen Glaubensbrüdern in der örtlichen Moschee Schwierigkeiten. Damals stürmte er aus dem Gotteshaus, nachdem ihm anderen Gläubige eine „verdrehte Sicht“ auf den Glauben vorgeworfen hatten, berichtete die BBCam Montag. Danach soll er sich von der örtlichen Gemeinde abgeschottet haben.
Seine Frau zeigte sich in der Öffentlichkeit seit 2008 nur vollkommen verhüllt. Sie sei einverstanden mit seiner Suche nach einer Zweitfrau, schrieb al-Abdali in einer Kontaktanzeige auf islamischen Partnersuche-Websites. „Für die Zukunft plane ich, in ein arabisches Land umziehen und mich dort niederzulassen“, hieß es da. Das waren noch andere Pläne als die für Massenmord und Selbsttötung.
Auch in Deutschland sehen die Sicherheitsbehörden eine Gefahr von Terroranschlägen durch Einzeltäter wie jetzt in Stockholm. „Das ist eine der beiden Hauptvarianten, die wir besonders befürchten für Terroranschläge auch in unserem Land“, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) im „Morgenmagazin“ des ZDF. „Nämlich ein fanatisierter Einzeltäter, der sich aus sich heraus selbst entschließt, an diesem sogenannten Heiligen Krieg (...) teilzunehmen und dann selbst solche Bomben bastelt.“ Es gebe hierzulande schätzungsweise 50 bis 80 Personen, die auch schon an Ausbildungslagern in Pakistan und Afghanistan teilgenommen hätten.
Nach dem Selbstmordattentat mitten in Stockholm dringt Hamburgs Bürgermeister Christoph Ahlhaus (CDU) auf schärfere Sicherheitsgesetze in Deutschland. „Das Attentat zeigt deutlich, dass wir wachsam bleiben müssen", sagte Ahlhaus vor einer Sitzung des CDU- Präsidiums in Berlin. Nun müssten sich die Kritiker einen Ruck geben, um bisher umstrittene Instrumente der Sicherheitsbehörden wie die Vorratsdatenspeicherung zu ermöglichen.
Der hessische Regierungschef Volker Bouffier sagte: „Wir sind nach wie vor in Europa im Zielspektrum.“ Es gebe keinen Anlass, sich zurückzulehnen.Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich verlangte eine enge Zusammenarbeit in Europa: „Die europäischen Länder sind sicherlich gut beraten, dass sie sich eng abstimmen bei ihren Sicherheitsvorkehrungen.“ (afp/dpa/mia)