Der amerikanische Sender Fox berichtet, die Terrororganisation al-Qaida habe unter anderem den Fernsehturm am Alexanderplatz im Visier.
Washington. Plant al-Qaida Anschläge in Deutschland? Der US-amerikanische Sender Fox News berichtet, die Terrororganisation habe den Berliner Hauptbahnhof, den Fernsehturm am Alexanderplatz und das Hotel Adlon am Brandenburger Tor im Visier. Der Sender beruft sich dabei auf westliche Geheimdienste. Auch der Pariser Eiffelturm und die Kathedrale Notre-Dame sollen mögliches Ziel von Terroristen sein. Der Eiffelturm hatte in den vergangenen Wochen schon zweimal wegen einer Bombendrohung geräumt werden müssen. Laut Fox soll auch die britische Königsfamilie gefährdet sein. Am Sonntag hatten die USA ihre Bürger vor einer großen Terrorgefahr in Deutschland gewarnt. Zuvor hatte bereits Großbritannien die Reisehinweise für Deutschland und Frankreich verschärft. Vergangene Woche waren Geheimdiensthinweise publik geworden, wonach das radikalislamische Terrornetzwerk al-Qaida Anschläge in Deutschland, Großbritannien und Frankreich plant.
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Molly Norris hat aufgehört zu existieren. Unter ihrem Namen und ihrer langjährigen Adresse wird man die Comiczeichnerin nicht mehr finden. Die amerikanische Staatsbürgerin Molly Norris musste mit Unterstützung des FBI irgendwo in den USA unter falschem Namen untertauchen - weil ein bärtiger Mann irgendwo im fernen Jemen ein Todesurteil über sie verhängt hat. Die junge Frau, die jahrelang Comics zeichnete - darunter für die Zeitung "Seattle Weekly" -, hatte im April in einem Internet-Cartoon des sozialen Netzwerks Facebook eine Reihe von sprechenden Gegenständen gezeichnet, die von sich behaupteten, der Prophet Mohammed zu sein. Darunter ein Dominostein, eine Garnrolle und eine Packung Nudeln. Über der Zeichnung stand: "Würde sich das tatsächliche Ebenbild Mohammeds bitte erheben?" Und Norris hatte scherzhaft den 20. Mai zum "Jeder-zeichnet-Mohammed-Tag" erklärt. Das Ganze war eine Reaktion auf muslimische Drohungen gegen die Schöpfer der anarchischen Fernseh-Zeichentrickserie "Southpark", in der ein Charakter in einem Bärenfell dargestellt wurde, der mutmaßlich Mohammed war.
Hunderttausende Amerikaner warben auf Facebook für und gegen die Aktion: Pakistan blockierte die entsprechenden Internetseiten.
Hamburger Ermittler fanden Awlakis Telefonnummer bei Ramsi Binalshibh
Norris sah sich plötzlich im Zentrum eines internationalen Konflikts. Doch lebensgefährlich wurde es für sie, als Tausende Kilometer entfernt ein Prediger eine Fatwa, ein islamisches Rechtsgutachten, über sie verhängte. Darin erklärte der Mann namens Anwar al-Awlaki, Morris sei von nun an ein "Hauptziel" und habe das "Höllenfeuer" verdient. Diese Botschaft war Grund genug für die US-Bundespolizei, Molly Norris sofort in eine Art Zeugenschutzprogramm aufzunehmen.
Anwar al-Awlaki ist Terrorexperten seit Langem ein Begriff, in der Weltöffentlichkeit aber noch kaum bekannt. Dabei gilt der 39 Jahre alte gebürtige Amerikaner jemenitischer Abstammung in etlichen Analysen bereits als "gefährlichster Mann der Welt". Die amerikanische Kongressabgeordnete Jane Harman nannte ihn den "Terroristen Nummer eins".
Awlaki hatte direkte Verbindungen zu den Attentätern vom 11. September 2001, die ihn als religiösen Führer respektiert haben sollen. Drei von ihnen - Khalid al-Midhar, Nawaf al-Hazmi und Hani Handschur - hörten sich seine Predigten in Moscheen in San Diego und später in Washington an. 1999 war er bereits unter Bewachung des FBI, aber sie wurde abgebrochen, weil man glaubte, es gehe von ihm keine Gefahr aus. Wie der Londoner "Daily Telegraph" berichtete, verhörte das FBI den Mann nach den Anschlägen viermal, ließ ihn aber schließlich in den Jemen ausreisen. Und dies, obwohl ein Kriminalbeamter vor der 9/11-Untersuchungskommission aussagte, er glaube, dass Awlaki "im Zentrum der ganzen 9/11-Geschichte" gestanden habe. Er soll die Terroristen "spirituell auf ihre Mission fokussiert" und frühzeitig von den Anschlagsplänen gewusst haben.
Als deutsche Ermittler die Hamburger Wohnung des 9/11-Terroristen Ramsi Binalshibh durchsuchten, fanden sie auch die Telefonnummer von Anwar al-Awlaki. Dieser soll auch direkte Verbindung zu den "Toronto 18" unterhalten haben, einer islamistischen Terrorzelle, die 2006 in Kanada ausgehoben wurde und zahlreiche Anschläge geplant hatte. Der militante Islamist Faisal Shasad, der im Mai versuchte, den vor Menschen wimmelnden New Yorker Times Square mit einer Autobombe in die Luft zu jagen, berichtete Ermittlern, er sei von Awlaki zu seinem Plan inspiriert worden.
Zudem wird Awlaki verdächtigt, Anstifter des Amoklaufs gewesen zu sein, den der muslimische Armeepsychiater Nidal Mali Hasan am 5. November 2009 in Fort Hood im US-Staat Florida anrichtete, bei dem 13 US-Soldaten starben. Hasan hatte Awlaki in E-Mails um Rat für einen Selbstmordanschlag gebeten. Und den "Unterhosenbomber" von Detroit, Umar Faruk Abdulmuttallab, der Weihnachten 2009 ein Passagierflugzeug im Landeanflug sprengen wollte, soll Awlaki rekrutiert und spirituell betreut haben.
Jonathan Evans, der Chef des britischen Inlandsgeheimdienstes MI5, bezeichnete Awlaki als den "Staatsfeind Nummer eins des Westens". Die operative Verflechtung des Predigers mit al-Qaida bereite dem Westen "ganz besondere Sorge - vor allem wegen seines großen Kreises von Anhängern", sagte Evans in einer analytischen Rede in London. Der US-Staatssekretär und Terrorexperte Stuart Levy nannte Awlaki "extrem gefährlich".
Geboren wurde er in der "Stadt der Kreuze" im US-Staat Neu Mexiko
Wie die "Los Angeles Times" berichtete, hat US-Präsident Barack Obama im April persönlich die Freigabe erteilt, Awlaki zu ermorden - ein nach Geheimdienstexperten einmaliger Vorgang. Der Hassprediger ist der erste US-Staatsbürger in der Geschichte der USA, der vom Präsidenten und dem Nationalen Sicherheitsrat offiziell zum Abschuss freigegeben wurde. Er steht nun ganz oben auf einer Todesliste des US-Geheimdienstes CIA und der geheimen Sonderkommandos, die in Afghanistan, Pakistan und einigen anderen Staaten Jagd auf Terroristen machen. Bereits am 24. Dezember 2009 hatte das US-Militär schon einmal vergeblich versucht, Awlaki mittels mehrerer Raketen zu töten, die auf eine Versammlung mutmaßlicher Al-Qaida-Führer in der ostjemenitischen Provinz Shabwa abgefeuert wurden.
Awlaki hält sich im Jemen auf, lehrt dort und soll neue Kämpfer und Selbstmordattentäter für al-Qaida anwerben.
Geboren wurde Anwar al-Awlaki am 22. April 1971 in Las Cruces, einer 100 000-Einwohner-Stadt im US-Bundesstaat Neu Mexiko. In dieser Gegend lebten früher die Mescalero-Apachen, deren fiktiver Oberhäuptling Winnetou durch Karl May unsterblich wurde. Pikanterweise ist Las Cruces, Geburtsort des derzeit gefährlichsten muslimischen Hasspredigers, unter dem Namen "Stadt der Kreuze" bekannt.
Awlakis Eltern waren aus dem Jemen in die USA eingewandert. Sein Vater Nasser al-Awlaki erwarb einen Mastergrad in Neu Mexiko, machte seinen Doktor an der Universität von Nebraska und unterrichtete von 1975 bis 1977 an der Universität von Minnesota. Ein Jahr später kehrte die Familie in den Jemen zurück. Nasser al-Awlaki wurde dort Landwirtschaftsminister und Präsident der Hauptstadt-Universität von Sanaa. Jemens Regierungschef Ali Mohammed Mujur ist ein Verwandter von ihm - und damit auch von seinem Sohn. Anwar ging 1991 wieder in die USA und erwarb an der Colorado-State-Universität einen Bachelorgrad im Bauingenieurwesen, war Präsident der muslimischen Studentenvereinigung und machte anschließend in San Diego seinen Master im Erziehungswesen. An der George-Washington-Universität in Washington D.C. arbeitete er an seinem Doktorgrad. Awlaki ist also nicht der Typ des schlichten, von westlicher Lebensart überforderten Dschihadisten, sondern ein Intellektueller, der zudem aus einem intellektuellen Umfeld stammt.
Anders als Osama Bin Laden war er nie Feldkommandeur
In dieser Hinsicht unterscheidet sich Awlaki klar von Osama Bin Laden, der als spiritueller Führer des von ihm 1988 mitgegründeten Terrornetzwerks al-Qaida gilt. Bin Laden hatte seine Feuertaufe im Kampf gegen die sowjetischen Besatzer Afghanistans, er stand als Feldkommandeur jahrelang im Gefecht mit sowjetischen und später auch afghanischen Truppen. Zudem plante und organisierte Osama Bin Laden persönlich Terrorakte, errichtete Ausbildungslager und sammelte Geld für die Beschaffung von Waffen.
Awlaki hingegen, der "Bin Laden des Internets" , hatte niemals Feindberührung, seine Förderung des Terrorismus ist intellektuell-spiritueller Art.
Awlaki ist ein glühender Anhänger des Ägypters Sayyid Qutb, der 1966 wegen radikalislamischer Umtriebe und eines Umsturzversuchs in Kairo hingerichtet wurde. Qutb ist der vermutlich wirkmächtigste islamistische Denker des 20. Jahrhunderts. Er war Cheftheoretiker der ägyptischen Muslimbruderschaft, die als ideologische Urmutter vieler islamistischer Terrororganisationen gilt. Awlaki soll zeitweise bis zu 200 Seiten der Qutb-Werke am Tag gelesen und rezitiert haben.
Familie Awlaki hat großen politischen Einfluss im Jemen
Sayyid Qutb entwickelte unter anderem die Theorie der absoluten Gottesherrschaft (Hakimiyya). Danach sind alle Formen menschlicher Souveränität verwerflich, da nur Gott allein Souverän sei. Nur in seinem Namen und nach den Regeln des Korans und der Scharia können Menschen überhaupt regieren. Um diesen Zustand der absoluten Gottesherrschaft herzustellen, muss der Dschihad ausgerufen werden. Qutb propagierte für Muslime, die nicht seinen radikalen Vorstellungen folgen wollten - also auch Politiker und Oberhäupter muslimischer Staaten -, den Takfir, eine Art geistiger Exkommunikation. Mit diesem Kunstgriff wird es Muslimen möglich, selbst andere Muslime zu töten - da sie kurzerhand für ungläubig erklärt werden.
Ende 2002 verließ Awlaki die USA wegen der "muslimfeindlichen Stimmung" dort, wirkte eineinhalb Jahre lang in London als Hassprediger und zog sich dann in den Jemen zurück. Ende August 2006 wurde er im Zusammenhang mit einem Al-Qaida-Komplott zur Entführung eines US-Militärattachés ins Gefängnis geworfen, aber nach 18 Monaten auf massiven Druck seiner einflussreichen Familie freigelassen.
Bewährungsstrafe in den USA wegen Förderung der Prostitution
Obwohl Anwar al-Awlaki nie Truppenführer war, wurde er inzwischen zum Regionalkommandeur von al-Qaida ernannt - was innerhalb des Terrornetzes offenbar seinen Rang als spiritueller Führer unterstreichen soll. Während seiner Zeit in den USA weigerte er sich, Frauen die Hand zu geben - und wurde zugleich wegen mehrfacher Förderung der Prostitution zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Amerikanische und britische Terrorexperten beschreiben ihn als charismatischen Charakter und kraftvollen Redner, dem es leichtfalle, junge Sinnsuchende Menschen zu begeistern. Im März rief er zum Heiligen Krieg - Dschihad - gegen die USA auf; im Mai forderte er alle muslimischen US-Soldaten auf, jene Kameraden zu ermorden, die in einen Einsatz in islamischen Ländern wie Irak und Afghanistan geschickt würden.
Was westlichen Terrorismusexperten Sorge bereitet, ist zum einen der Standort Jemen. Während militante Muslime in Afghanistan und Pakistan immer stärker unter militärischen Druck geraten, ist im Jemen eine neue Al-Qaida-Hochburg entstanden. Die US-Regierung unterstützt die wackelige jemenitische Regierung mit 1,2 Milliarden Dollar und mit Waffen. Derzeit toben heftige Kämpfe zwischen Armee und islamistischen Rebellen. Man darf getrost davon ausgehen, dass Sonderkommandos der CIA und anderer US-Dienste im Kriegschaos nach dem Terror-Prediger suchen. Der US-Sender ABC News meldete, Awlaki könne unter den Tausenden Zivilisten untergetaucht sein, die im Süden des Jemen vor den Gefechten um die Stadt al-Hota geflohen seien.
Vor allem aber ist es die Geschicklichkeit, mit der sich Awlaki des Internets bedient, die im Westen auf Besorgnis stößt. Der hoch gebildete Hass-Prediger hat nach britischen Angaben allein 1900 Videobotschaften auf YouTube gestellt, darunter seine in islamistischen Kreisen populäre Vorlesungsreihe unter dem Titel "Konstanten auf dem Pfad des Dschihad". Anwar al-Awaki gehört einer neuen Generation islamistischer Hass-Prediger an, die nicht mehr auf die räumliche Begrenztheit ihrer Moscheen angewiesen sind, sondern sich über das Internet auf der ganzen Welt verbreiten können.