Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy fühlt sich in der Roma-Frage von Brüssel ungerecht behandelt und heizte die Stimmung auf.
Brüssel. Eigentlich sollte der EU-Gipfel in Brüssel gestern "nüchtern und sachorientiert verlaufen". Auf der fein austarierten Tagesordnung standen: Euro-Stabilitätspakt, die Beziehungen zu China und Indien und ein Freihandelsabkommen mit Südkorea. Am Ende waren diese Themen nur Fußnoten. Der Gipfel hatte nur ein Thema: den erbitterten Streit über die Roma-Ausweisungen aus Frankreich. "Wir haben ein Problem", sagte EU-Parlamentspräsident Jerzy Buzek und fügte hinzu: "Wir sollten alle auf Äußerungen verzichten, mit denen die Lage noch aufgeheizt wird." Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn rief alle zu einem "gepflegteren Umgehen miteinander" auf.
Das nützte aber nichts, die Stimmung heizte sich auf. Kurz vor 14 Uhr geriet Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy , der seit Anfang Januar rund 8000 Roma aus seinem Land ausgewiesen hatte, unter Druck seiner Kollegen. Vor allem Spaniens Regierungschef Luis Zapatero griff den Franzosen frontal an: "Das geht so nicht", sagte Zapatero erregt. EU-Kommissionschef Jose Manuel Barroso forderte Sarkozy auf, schnellstmöglich ein mutmaßlich diskriminierendes Behördenrundschreiben zur Auflösung von illegalen Roma-Lagern in Frankreich aufzuklären. "Die Kommission hat Frankreich verletzt", ätzte Sarkozy zurück. Er griff EU-Justizkommissarin Viviane Reding, die gerade auf dem Weg nach Berlin war, erneut an. Schon am Vorabend hatte Sarkozy gewitzelt, das Heimatland Redings, Luxemburg, könne die aus Frankreich ausgewiesenen Roma ja aufnehmen. Nur Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi unterstützte "meinen Freund Nicolas". "Wir müssen", sagte der Norditaliener, "alle gemeinsam darüber sprechen, um eine gemeinsame Position zu finden."
Berlusconi war zuvor mit mehrstündiger Verspätung im Brüsseler Europaviertel eingetroffen. Sein Airbus A319 musste wegen technischer Probleme in Mailand notlanden, ein Cockpitfenster drohte zu zerplatzen.
Am Ende ihres Treffens waren die EU-Regierungschefs aber sichtlich bemüht, das Gezänk der letzten Tage, das an einen großen EU-Kindergarten erinnerte, vergessen zu machen. Das Roma-Problem könne nur auf europäischer Ebene durch soziale Integration der Volksgruppe gelöst werden, hieß es. Noch am Vorabend des Gipfels hatte sich EU-Justizkommissarin Viviane Reding dafür entschuldigt, die Massenausweisungen von Roma durch die Regierung in Paris mit der Deportation der Nazis im Zweiten Weltkrieg verglichen zu haben. Sarkozy nahm die Entschuldigung offiziell "zur Kenntnis".
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) blieb nichts anderes mehr übrig, als den Streit mit Ironie zu quittieren. Zu der Frage nach der Atmosphäre beim Mittagessen sagte sie: "Das Mittagessen war gut - was die Speisen anbelangt hat." Hintergrund des Streits ist die Drohung der EU-Kommission, ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof gegen Frankreich wegen der Roma-Ausweisungen einzuleiten. Reding hatte die Praxis als "Schande" bezeichnet. Sie widerspreche europäischen Grundwerten wie Nicht-Diskriminierung und Freizügigkeit.
Die Brüsseler Gesetzesbehörde hatte in den vergangenen Jahren gegen 24 Mitgliedsländer Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, um sicherzustellen, dass das "Verbot rassebedingter Diskriminierung" in nationales Recht umgesetzt wird. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte pochte immer wieder auf Einhaltung der Menschenrechte. So verurteilten die Richter 2007 Tschechien, weil das Land Roma-Kinder häufig in Schulen für geistig Behinderte abschob.
Rund zehn bis zwölf Millionen Roma leben in der EU. Dabei ist Frankreich nicht das einzige Land, das Roma ausgewiesen hat. 2008 ließ Berlusconi Tausende Roma nach Rumänien und Bulgarien ausweisen. Auch Dänemark hat bereits Roma ausgewiesen. Die EU-Kommission hatte die Mitgliedsländer bereits im April aufgefordert, mehr für die Integration der Roma zu tun. Die Unwilligkeit einiger Roma-Gruppen, sich zu integrieren, spielte in dem Bericht aber keine Rolle.