Sozialisten haben komfortable Mehrheiten in den Parlamentskammern. Hollande will Steuersystem in den nächsten Wochen verändern.
Paris. Im März 2011 hatte François Hollande seine Kandidatur für die Präsidentenwahl erklärt. Seitdem befand er sich im Dauerwahlkampfmodus. Diese Phase ist mit der zweiten Runde der Parlamentswahlen mit dem für den neuen Präsidenten optimalen Ergebnis zu Ende gegangen. Ab sofort kann regiert werden, und das ziemlich geschmeidig. Denn in der Assemblée nationale verfügen die Sozialisten nun über eine absolute Mehrheit. Premierminister Jean-Marc Ayrault reichte gestern der "republikanischen Tradition entsprechend" den Rücktritt seiner Regierung ein - und wurde umgehend von Hollande wieder mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt.
Die Sozialisten verfügen im neuen Parlament über 314 der 577 Sitze. 17 grüne Abgeordnete verstärken das Regierungslager noch, die Linkspartei kommt auf zehn Sitze. Die UMP, ehemalige Regierungspartei des abgewählten Präsidenten Nicolas Sarkozy, wird sich mit 229 Abgeordneten begnügen müssen. Die rechtsextreme Front National gewann drei Direktmandate.
+++ Hollande-Lager erobert das französische Parlament +++
Die prominenteste Verliererin war die ehemalige sozialistische Präsidentschaftskandidatin und frühere Lebensgefährtin Hollandes, Ségolène Royal. Von der Partei in La Rochelle mit einem vermeintlich sicheren Wahlkreis beglückt, verlor sie dort gegen einen Herausforderer aus den eigenen Reihen. Olivier Falorni, ein lokal bestens vernetzter Sozialist, den die PS inzwischen aus der Partei ausgeschlossen hat, machte sich die Wut der Ortsansässigen über die Arroganz der Parteiführung und die Lust der konservativen Wähler zunutze, eine prominente Sozialistin zu demütigen. Falorni siegte mit mehr als 60 Prozent der Stimmen. Royal beklagte einen "politischen Verrat".
Der Makel des Debakels in La Rochelle vermochte aber den sozialistischen Triumph ebenso wenig zu schmälern wie die niedrige Wahlbeteiligung von 56 Prozent. François Hollande verfügt nun über eine Machtfülle, wie sie noch nie ein Präsident in der Fünften Republik genoss. Die Sozialisten haben die Mehrheit in der Nationalversammlung ebenso wie in der zweiten Kammer, dem Senat. Zudem kontrolliert die PS die meisten Regionalräte und kommunalen Regierungen. Lediglich Verfassungsänderungen können die Sozialisten noch nicht durchsetzen, da sie dazu über eine Dreifünftelmehrheit in beiden Kammern verfügen müssten.
Der Präsident dürfte sich dennoch kaum die Zeit gönnen, den Triumph zu genießen. Zum einen dürfte ihm bewusst sein, dass es von nun an fast nur noch bergab gehen kann. Ab sofort stehen die Sozialisten in der Verantwortung. Zum anderen sorgt die angespannte Situation in Europa ebenso wie die kritische französische Haushaltslage dafür, dass Hollande bald wird Farbe bekennen müssen.
So will er einen Teil seiner Versprechen bereits in den kommenden Wochen durchs Parlament bringen. Vom 3. Juli bis zum 2. August sind dazu außerordentliche Sitzungswochen angesetzt. Die konstituierende Sitzung soll bereits am 26. Juni stattfinden. Als großes Projekt für die außerordentlichen Sitzungswochen steht unter anderem eine umfassende Steuerreform auf dem Programm, bei der Spitzenverdiener und Finanzinstitute deutlich stärker belastet werden sollen. Zudem will die Regierung um Hollande die unter Ex-Präsident Nicolas Sarkozy beschlossene Mehrwertsteuererhöhung kippen und die langfristige Finanzplanung vorstellen. Das Haushaltsdefizit lag die vergangenen Jahre deutlich über dem EU-Grenzwert von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Auch erste Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit stehen auf dem Programm. "Wir müssen unsere europäischen Partner mobilisieren, denn auf Sparsamkeit noch mehr Sparsamkeit zu packen führt zu einer Tragödie und einer tiefen Kluft zwischen den Menschen sowie ihren Politikern", warnte Innenminister Manuel Valls.
Während die Sozialisten sich rasch überlegen müssen, wie sie mit der Machtfülle umgehen, stehen die Konservativen vor dem Umbruch. Zwar hat die Partei mit 229 Abgeordneten noch ein gewisses Gewicht, strategisch und personell ist die Erneuerung jedoch zwingend erforderlich. Nach einem Präsidenten- und einem Parlamentswahlkampf, bei dem die UMP rhetorisch kaum noch von der Front National zu unterscheiden war, wird die Partei ihr Verhältnis zu den Rechtsextremen neu definieren müssen. Die noch von Jacques Chirac durchgesetzte Strategie der "republikanischen Front", mit der in den Stichwahlen im Zweifel ein Sozialist gegen einen Kandidaten der FN unterstützt wurde, ist inzwischen mehr und mehr aufgeweicht worden. Der Generalsekretär Jean-François Copé gab die Parole "Weder noch" aus: weder Unterstützung für Sozialisten noch für die Front National. Das war in der Praxis jedoch schwer durchzuhalten. Auf lokaler Ebene sind viele UMP-Wähler längst bereit, mit FN-Politikern zu kooperieren. Das weiß auch Marine Le Pen, die ihre Strategie, die UMP in die Enge zu treiben und die Front National zur bestimmenden Kraft auf der Rechten zu machen, sicher noch verfeinern wird.
In der UMP hat die Debatte darüber längst begonnen, ob die von Sarkozy eingeschlagene Rechtskurve die richtige Richtung ist. Zwei prominente Vertreter dieser Ausrichtung, der ehemalige Innenminister Claude Guéant und Nadine Morano, verloren ihre Wahlkreise. Im Herbst werden die UMP-Mitglieder einen neuen Vorsitzenden wählen müssen. Generalsekretär Copé tritt dabei wahrscheinlich gegen den Ex-Premierminister François Fillon an. Bis dahin kann François Hollande ohne nennenswerte Opposition regieren.