Bundeskanzlerin Merkel drückt Frankreichs Präsident Hollande die Daumen. Was nach einem schlechten Scherz klingt, könnte bei den Wahlen zur französischen Nationalversammlung durchaus stimmen. Nur wenn Hollandes Lager gewinnt, sind schnelle Entscheidungen sicher.
Paris. Wie mächtig wird Frankreichs neuer Präsident François Hollande wirklich? Das ist die eigentlich große Frage bei den Wahlen zur Nationalversammlung in Frankreich. Die Linke ging am Sonntag als großer Favorit in die erste Runde. Einen Sieg wird sie allerdings erst nach der zweiten Runde in einer Woche feiern können - wenn überhaupt. Es wäre ein historischer Erfolg. Nicht einmal während der knapp 14-jährigen Amtszeit des sozialistischen Präsidenten François Mitterrand hatte das linke Lager die Mehrheit in Nationalversammlung und Senat.
Für Hollande geht es bei den Wahlen um nichts weniger als um den Erfolg seiner Präsidentschaft. Will er das Land nach seinen Vorstellungen reformieren und nach jahrelanger konservativer Herrschaft auf Linkskurs bringen, ist eine Mehrheit in der ersten Parlamentskammer unabdingbar. Ohne die Abgeordneten geht nichts im französischen Gesetzgebungsprozess. „Ich werde den Wandel nur herbeiführen können, wenn ich in der Nationalversammlung eine Mehrheit habe“, appellierte Hollande deswegen in Anspielung auf sein Wahlversprechen. „Groß, solide und konsistent“ soll die Mehrheit sein.
Die deutsche Bundeskanzlerin dürfte ausnahmsweise Hollande die Daumen drücke. Diplomaten in Paris berichten, dass sich Angela Merkel vor allem mit Blick auf die europäische Zusammenarbeit einen starken und handlungsfähigen französischen Präsidenten wünsche. Der im Falle einer Cohabitation drohende politische Stillstand sei angesichts der Eurokrise ein unschönes Szenario, heißt es.
Zuletzt musste von 1997 bis 2002 Jacques Chirac eine Cohabitation mit einer Regierung aus dem gegnerischen Lager aushalten. Damals wurden unter dem sozialistischen Premierminister Lionel Jospin Reformen wie die 35-Stunden-Woche durchgesetzt.
Diese Gefahr will die UMP-Partei des am 6. Mai abgewählten Präsidenten Nicolas Sarkozy aber nicht sehen. Sie steht nach dem Abgang ihrer langjährigen Führungsfigur vor einem Neuanfang mit ungewissem Ausgang, hofft aber dennoch auf einen Überraschungserfolg bei den Parlamentswahlen. Ohne ein Gegengewicht in der Nationalversammlung werde Frankreich von den Sozialisten zugrunde gerichtet, warnten UMP-Spitzenpolitiker in den vergangenen Tagen.
Die deutsch-französischen Beziehungen verschlechterten sich in einem Wahnsinnstempo, schimpfte Ex-Premierminister François Fillon. Gerade sie seien aber dafür verantwortlich gewesen, dass die Krise in der EU in den letzten Jahren nicht noch viel schlimmer ausgefallen sei.
In Regierungskreisen in Berlin und Paris wird allerdings erwartet, dass sich das Verhältnis zwischen Merkel und Hollande schon bald entspannen wird. Es gilt als sicher, dass der Franzose zuletzt vor allem aus wahlkampftaktischen Gründen gegen Deutschland stichelte und umstrittene Themen wie die Eurobonds auf den Tisch brachte. Sarkozys enge Beziehung zu Merkel kam bei vielen Franzosen nicht besonders gut an. In „Merkozy“-Karikaturen hing der kleine Franzose am Rockzipfel der Kanzlerin oder war ihr Schuljunge.
Passend zur zweiten Wahlrunde am kommenden Sonntag wird Hollande deshalb am Mittwoch noch einmal ein ganz anderes Bild inszenieren. Unmittelbar nach einem Treffen mit Merkel brechen am Mittwoch die drei SPD-Spitzenpolitiker Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück nach Frankreich auf. Der französische Präsident Hollande wird sie im Élysée-Palast empfangen, um eine gemeinsame Strategie in der Europa-Politik abzustimmen. (dpa)