Die Erwartungen an den Klimagipfel waren hoch. Umso enttäuschender ist jetzt das Ergebnis. Doch wer ist schuld am kollektiven Versagen?
Es wäre besser, der Klimagipfel in Kopenhagen würde mit gar keinem Deal enden als mit einem schlechten, wünschte sich der südafrikanische Bischof Desmond Tutu. Aber genau das ist aus Sicht der afrikanischen Länder geschehen: ein schlechter Deal.
Bei genauem Hinsehen sogar weniger. Denn geeinigt hat man sich nur auf ein konkretes Ziel: nämlich die weltweite Erwärmung auf maximal zwei Grad zu begrenzen. Alles Weitere sind Absichtsbekundungen - keine Zahlen, keine verbindlichen Verpflichtungen, keine Terminzusagen.
Denn für das Ziel, die weltweiten CO2-Emissionen erheblich zu verringern, formulierte die Konferenz keine bezifferten Vorgaben. Die Industrieländer sollen dazu bis Ende Januar eigene, nur freiwillige Minderungsziele angeben und sich damit international darauf festlegen. Zwar soll den Entwicklungsländern mit höheren Hilfszahlungen ermöglicht werden, eigenen Klimaschutz umzusetzen und die Anpassung an negative Klimaveränderungen zu bewältigen. Dafür sollen die Industriestaaten ab 2010 zusätzliche 30 Milliarden Dollar aufwenden, die sich ab 2020 auf 100 Milliarden Dollar pro Jahr steigern.
BERICHTE, BILDER, VIDEOS UN DANALYSEN VOM KLIMAGIPFEL IN KOPENHAGEN
"Aber auch hier fehlt das Kleingedruckte", kritisiert Regine Günther, Klimabereichsleiterin vom WWF: "Wer zahlt was aus welchen Töpfen? Ist das nur eine Umetikettierung von Entwicklungshilfe? Kommt das Geld aus den Kohlestrommärkten, oder sind es öffentliche Gelder?" Nicht einmal eine bindende Frist für eine Weiterentwicklung des Kyoto-Protokolls wurde festgeschrieben.
Kaum eine internationale Konferenz war mit so hohen Erwartungen befrachtet - und kaum eine endete mit so tiefer Enttäuschung. Der US-Präsident mag sich das Ergebnis mit "meaningful" (bedeutend) schönreden, China mag von "wichtig und positiv" und Indien von einem "Meilenstein" reden. Aber "fauler Kompromiss" oder "mikroskopischer Fortschritt" träfen es eher. Wäre die Konferenz ein Theaterstück, dann müsste man sagen: glatt durchgefallen. Zwar waren einige Grundkonflikte und Rollen im Stück vorgegeben. Andere wurden vom Ensemble bei laufender Handlung improvisiert. Aber letztlich stellte sich heraus: Das Drama hat weder einen einzigen positiven Helden noch einen echten Schluss.
Der gescheiterte Herausforderer
Geschickt drängte sich Barack Obama in die Hauptrolle: Er wollte der Welt nicht nur beweisen, dass die USA jetzt endlich die Bedeutung des Klimawandels erkannt haben, sondern er wollte auch gleich den "Durchbruch" für Amerikas Führungsrolle in der Klimapolitik erreichen. Internationale Weltretter-Auftritte sind dringend geboten, denn diverse Großbaustellen setzen Obama innenpolitisch unter hohen Druck - von der zehnprozentigen Arbeitslosenrate über Afghanistan bis zur immer noch wackelnden Gesundheitsreform. Kopenhagen durfte daher nicht zu viele Einschränkungen für die US-Wirtschaft bringen. Obamas Verhandlungsführer Todd Stern musste die Rolle des Bösen spielen und sollte auch die Entwicklungsländer im Vorfeld zu Zugeständnissen bewegen. Der Chef flog am Schluss ein, um China zu bezwingen. Freilich mit mäßigem Erfolg.
Der selbstbewusste Kontrahent
Chinas Regierungschef Wen Jiabao zeigte sich in Kopenhagen als Vertreter einer Weltmacht: mit hartem Verhandlungsstil, stolz und selbstbewusst. Seit 2005 hat China eigene, durchaus ehrgeizige Umweltziele als nationales Programm festgeschrieben - es will sich aber von den "alten" westlichen Industrieländern keinerlei klimabedingte Beschränkung beim Wachstum aufnötigen lassen. Das ist auch die Position der Entwicklungs- und Schwellenländer, für die China in Kopenhagen gleich die Rolle der "Schutzmacht" übernahm. Erst als US-Außenministerin Hillary Clinton zusätzliche US-Mittel für den Klimaschutz der armen Länder zusagte, stimmte China gnädig zu, sich selbst wenigstens ein bisschen beim Klimaschutz in die Karten schauen zu lassen.
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Der raunende, misstrauische Chor
G77, die Gruppe der Entwicklungs- und Schwellenländer, wollte vor allem den Kyoto-Prozess fortschreiben: Die Hauptleistungen im Klimaschutz sollen bei den Hauptverursachern der Erderwärmung liegen. Nur so sehen die Entwicklungsländer eine Chance für ihr eigenes industrielles Wachstum. Der größte Streitpunkt: Nach Ansicht der Afrikaner bedeuten zwei Grad globale Erwärmung in Afrika drei bis 3,5 Grad und damit den sicheren Tod von bis zu 600 Millionen Menschen. Ihre Zustimmung zum Schlussprotokoll, das ja nur zwei Grad verhindern will, musste also mit höheren Hilfsgeldern erkauft werden. "Am neunten Tag von Kopenhagen wurde Afrika geopfert", schreibt die "Attac"-Gründerin Naomi Klein wütend im Londoner "Guardian".
Vor dem Gipfel hatten 52 Mitglieder der Afrikanischen Union von den Industrieländern eine Reduktion des CO2-Ausstoßes um 40 Prozent bis 2020 gefordert. Einige afrikanische Verhandlungsführer, darunter der äthiopische Premierminister Meles Zenawi, hatten gedroht, den Gipfel bei einer Zwei-Grad-Beschränkung sofort zu verlassen. Aber dann waren er und Südafrikas Präsident Jacob Zuma in Kopenhagen doch eingeknickt - in diesem Stück sind sie tragische Figuren, von denen viele auf ihrem Kontinent mit Hohn und Bitterkeit empfangen wurden.
Die enttäuschten Pioniere
Deutschland erhoffte sich in Kopenhagen eine möglichst breite Einigung auf den ehrgeizigen EU-Plan, die CO2-Emissionen bis 2020 auf 30 Prozent zu reduzieren. Aber dann wurde Kopenhagen zu einer Art Globalisierungsschock. Bisher hatte Angela Merkel im Kreise von G8-Kollegen und der Industrieländer keine Mühe, sich als Klima-Kanzlerin mit ehrgeizigen Zielen zu profilieren. Im Kreis von 193 Ländern aber sehen die Kräfteverhältnisse ganz anders aus - und die üblichen Verführungskünste gelten nichts. Merkel führt ins Feld, man habe keine Alternative gehabt: "Wir haben zu entscheiden gehabt, ob wir den ganzen Prozess abbrechen oder ob wir das, was möglich war, nehmen." Die EU hat in Kopenhagen ihre Führungsrolle in Sachen Klima verloren - vielleicht für lange Zeit. "Die Vereinbarung von Kopenhagen zeigt eine neue Weltordnung, wohl unter Führung von China und den USA", titelte gestern die "Washington Post".
Der traurige Ritter auf verlorenem Posten
Lumumba Stanislaus Di-Aping, Chefunterhändler des Sudan und Sprecher der G77, gab sich besondere Mühe, spielte quasi eine männliche Kassandra: Immer wieder führte er die drohenden Folgen einer Drei-Grad-Erwärmung ins Feld. In einer Sitzung, so ein "Zeit"-Korrespondent, soll Di-Aping sogar in Tränen ausgebrochen sein. Das Ergebnis von Kopenhagen, sagte er, bedeute die "Auslöschung Afrikas", vergleichbar dem Holocaust.
Der Däne im Tal der Ahnungslosigkeit
Dänemarks Umweltministerin Connie Heedegard leitete die ersten Konferenztage gut vorbereitet, diplomatisch umsichtig und professionell. Als Premierminister Lars Løkke Rasmussen übernahm, wurde es nach Aussage zahlreicher Delegierter "schwierig". "Es gab kein überzeugendes Verhandlungskonzept", sagt Regine Günther vom WWF. Mal wurden den Staats- und Regierungschefs viel zu detaillierte Texte vorgelegt, mal wurden bestimmte Länder und Ländergruppen nicht konsultiert oder wichtige Inhalte nicht aufgenommen. "Rasmussen war zu sehr auf die USA konzentriert und hat völlig unterschätzt, dass sich bei der Uno auch kleine Länder Verhör verschaffen können und massiven Widerstand aufbauen würden", sagt Günther. "Für ihn war diese Konferenzführung vielleicht eine Lehre, für den Klimaprozess eine Katastrophe."
Die Verlierer
Stellvertretend für die besonders bedrohten Insel- und Küstenbewohner auf der Südhalbkugel hatte sich der Vertreter des Inselstaats Tuvalu in Kopenhagen dafür eingesetzt, schon eine Erderwärmung von 1,5 Grad mit allen Mitteln zu bekämpfen. Aber Ian Fry musste hinnehmen, dass seine Forderung, die Erwärmung der Erde auf 1,5 statt auf zwei Grad zu beschränken, vom Tisch gewischt wurde. Das Atoll mit rund 12 000 Einwohnern östlich von Papua-Neuguinea ist - wie viele Inselstaaten - unmittelbar von einem Anstieg des Meeres bedroht. "Sie boten 30 Silberlinge für den Verrat an unserer Zukunft", sagte er mit Blick auf die Finanzhilfen, mit denen jetzt die Entwicklungsländer ruhiggestellt werden.
Das sei "das Ende von Tuvalu". Sein Land werde das Schlussdokument nicht akzeptieren.
Ähnliche Kritik gab es nach dem Gipfel auch in Lateinamerika. Brasiliens Präsident Luiz Inácio da Silva verließ den Gipfel enttäuscht und kommentarlos. Brasiliens Medien - das Land beherbergt rund 60 Prozent des bedrohten Amazonas-Regenwalds - waren sich einig: "Fehlschlag", "Scheitern", Frustration" nannten sie das dänische Theaterstück.
Der nächste Weltklimagipfel wird 2010 in Mexiko stattfinden. Bei aller Enttäuschung fordern jetzt viele Delegationen und auch Umweltverbände, aus dem Desaster zu lernen: Man müsse nicht nur über Ziele und Zwischenschritte, sondern auch über die Verhandlungsleitung neu nachdenken. Eine Abstimmung zwischen 193 Ländern in komplizierten Klimafragen ist anstrengender als jede Abrüstungskonferenz.