Berlin. Musk unterstellt Medien, sie verbreiteten Lügen. Als Beleg dient ihm Islamkritik. Worum es dem Milliardär geht, erklärt ein Experte.

  • Elon Musk teilte bei X mehrere Nachrichten zu Magdeburg
  • Er greift Medien und Politik an
  • Was bezweckt der Tech-Milliardär?

Tech-Milliardär Elon Musk zeigt zunehmend Interesse an Deutschland, deutscher Politik und der deutschen Medienlandschaft. Zuletzt veröffentlichte Musk im Zusammenhang mit dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt mehrere Nachrichten auf seinem sozialen Netzwerk X.

Dort nannte er Bundeskanzler Olaf Scholz einen „Trottel“ der zurückzutreten habe und präsentierte die AfD als Deutschlands einzige Rettung. Dazu behauptete Musk, die „traditionellen Medien“ verbreiteten im Zusammenhang mit der Tat von Magdeburg „Lügen“.

In einer anderen X-Botschaft schrieb Musk, die „traditionellen Medien“ seien „pure Propaganda“ und teilte gleichzeitig eine Nachricht der iranisch-deutschen Unternehmerin und Techno-Producerin Maral Salmassi. Die 49-Jährige tritt in den sozialen Medien unter anderem als Islamkritikerin auf. Sie schreibt, der mittlerweile in Untersuchungshaft sitzende Taleb A. sei „kein ex-muslimischer Atheist, kein Fan der AfD oder ein Fan von Elon Musk“.

Musk teilt islamkritische Behauptungen

Salmassi unterstellt dem Täter, er könnte diese Haltung als Teil einer als „Taqiya“ bezeichneten Praxis nur inszeniert haben. Die 49-Jährige spricht hier von „islamischer Doktrin“, die „Lügen und Täuschen gestattet“. Taqiya erlaube es Muslimen zu lügen, um „islamistische Ziele, eine islamistische Agenda“ zu verfolgen, behauptet Salmassi in dem Video. Sie argumentiert, der Täter habe sich gezielt als Atheist und Islamkritiker inszeniert, um als Dschihadist Chaos und Terror zu verbreiten – und die Medien gingen ihm nun auf den Leim.

Taleb A.s Leben in Deutschland, seine Interviews, in denen er sich als „aggressivster Kritiker des Islam in der Geschichte“ bezeichnet, das nie-erschienenen islamkritische Buch, das er schreiben wollte, der Flüchtlingshelfer, über den die BBC im Jahr 2019 berichtete – das alles soll eine fast zwei Jahrzehnte lang hinter einer Taqiya aufrechterhaltene dschihadistische Fassade sein? Daran dürfen Zweifel gestattet sein.

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Islamwissenschaftler: Das bedeutet der Begriff Taqiya

„Der Begriff Taqiya stammt aus dem schiitischen Islam und er erlaubt Gläubigen ihre wahren Glaubensüberzeugungen zu verbergen, wenn sie unter Druck stehen“, erklärt Ulrike Freitag, Direktorin des Leibniz-Zentrum Moderner Orient. Ihr zufolge ist der Begriff in der Entstehungszeit des Islam und den Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten entstanden, die schnell eine Minderheit im Islam waren.

Freitag kritisiert, der Begriff werde in den aktuellen Debatten immer wieder aus seinem Kontext gerissen, so auch bei der Motivation des Magdeburger Täters Taleb A.: „Es ist völlig abwegig, den Begriff auf einen selbsterklärten Atheisten anzuwenden. Denn Taqiya setzt ja ein Bekenntnis zum Islam voraus.“

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Ähnlich sieht es auch Stefan Jakob Wimmer, Ägyptologe und Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München: „Taqiya ist eine Erlaubnis aus der islamischen Tradition seinen Glauben in einer Notsituation zu verbergen. Aber nicht in böser Absicht, sondern im Gegenteil, wenn das eigene Leben bedroht ist“, sagt Wimmer und verweist auf das historische Beispiel der Inquisition in Spanien. Christen zwangen damals Muslime Schweinefleisch zu essen und um das eigene Leben zu retten, war es muslimischen Menschen gestattet, gegen religiöse Speisevorschriften zu verstoßen. „Nicht die Taqiya ist das Problem, sondern die Gesellschaft, die diesen Begriff verdreht“, sagt Wimmer. Der Professor kritisiert, dass immer wieder derartige Begriff aus der islamischen Religionsgeschichte von Menschen unreflektiert verbreitet und missbraucht werden.

Menschen stehen vor der Johanniskirche in Magdeburg, wo ein Gedenkort eingerichtet und Blumen und Kerzen niedergelegt wurden.
Menschen stehen vor der Johanniskirche in Magdeburg, wo ein Gedenkort eingerichtet und Blumen und Kerzen niedergelegt wurden. © dpa | Klaus-Dietmar Gabbert

Medienkritik und Wahrheitssuche

Mit seinem Retweet hat Musk der 49-jährigen Salmassi eine internationale Bühne bereitet. Ihr Video ging viral, 34 Millionen mal wurde es mittlerweile angeklickt. Musk verbindet damit die Aufforderung an seine Follower, „ihnen (den Medien, d. Red.) Links zu X zu schicken, damit sie lernen, was wirklich passiert“. Er macht sich Salmassis Aussagen zu eigen und stellt sie als die Wahrheit dar, die Medien lieber verschweigen und an ihrer statt eine eigene Erzählung verbreiten.

Seine Medienkritik hat Musk in einem Interview bei der BBC im April 2023 zusammenfassend formuliert: „Wir werden nicht mehr eine gesalbte Journalistenklasse akzeptieren, die uns erklärt, was wir zu denken haben.“ Die Menschen sollten selbst entscheiden, was sie denken, erklärte der Milliardär. Mindestens eine Kombination aus „der Öffentlichkeit“ und „den Medien“ solle über die Erzählung entscheiden, also das, was berichtet wird, was wahr ist. Mit der Zeit werde sich Twitter entweder als die beste Quelle für die Wahrheit herausstellen, oder, „wenn wir nicht das Gefäß für die Wahrheit sind, werden wir untergehen“.

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Musk schafft „Meinungsfreiheit in seinem Sinne“

Was in diesen Aussagen Musks, jetzt aktuell bei X oder im vergangenen Jahr bei der BBC, zu Tage tritt, sei ein tief sitzender Argwohn gegenüber unabhängigen Medien in Deutschland und Europa, sagt Journalismusforscher Maximilian Eder vom Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München. Diese stünden ihm zuweilen kritischer gegenüber als Teile der US-Medienlandschaft, in der Musk sich hauptsächlich bewegt.

Abzulesen sei das etwa an der Entscheidung des britischen „Guardian“, Inhalte nicht mehr länger bei der Plattform X zu verbreiten oder der Art, wie europäische Medien kritisch über Musks Einmischung in den US-Wahlkampf berichtet hatten.

„Musk ist es nicht gewohnt, auf Widerspruch zu stoßen“, also kritisiere er die Medien und ihre Journalistinnen und Journalisten seinerseits und stelle sie als „woke dar, die eine links-grüne Agenda verbreiten“. Musk bediene hier die klassische rechtspopulistische Erzählung von der Lügenpresse.

„Gleichzeitig versucht er, über die Plattform X eine Art von Meinungsfreiheit in seinem Sinne zu schaffen“, also eine Plattform, die rechtspopulistische Erzählungen fördert und Kritik kleinhält, in anderen Worten seine ganz eigene Version von Wahrheit verbreitet.

X und Musik im Konflikt mit EU-Regeln

Wie schon die USA, seien die Europäische Union und Deutschland für Musk ein Markt, für Tesla-Autos und eben, wenn auch in geringerem Umfang, die Nachrichtenplattform X. „Die EU will soziale Netzwerke über den Digital Services Act (DSA) stärker regulieren, Musk steht aber für die völlige Deregulierung der Märkte“, erklärt Eder. Mit dem DSA unternimmt die EU den Versuch, soziale Netzwerke beim Schutz ihrer Nutzerinnen und Nutzer etwa vor Hass und Darstellungen von Gewalt stärker in die Pflicht zu nehmen.

Nicht umsonst, sagt Eder, werde er unter dem designierten US-Präsidenten Donald Trump ein Regierungsamt ausüben, das für den Abbau von „Regierungsbürokratie“ sorgen soll. Zudem dürfte Musk künftig über die Regeln, zu denen er mit seinen Firmen Geschäfte machen kann, mitentscheiden.

„In der EU hat Musk diesen Einfluss nicht, das ärgert ihn ganz persönlich“, sagt Eder und verweist etwa auf den Konflikt mit dem ehemaligen EU-Kommissar Thierry Breton. Der hatte Musk im Sommer 2024, kurz vor dessen Interview mit Donald Trump, in einem Brief darauf hingewiesen, dass der DSA auch für ihn gelte, er also Trump keine Falschaussagen durchgehen lassen dürfe. Musk reagierte darauf mit einem beleidigenden Meme.

EU könnte Musk an die Leine legen

Breton wiederum hatte Musk am Sonntag für dessen Unterstützung der AfD scharf kritisiert. Wenige Wochen vor den Wahlen in Deutschland unterstütze Musk „offen die rechtsextreme Partei AfD“, schrieb der Franzose bei X. Musk reagierte verschnupft, wohl auch, weil die EU mit dem DSA in den Worten Eders die Plattform X durchaus an die Leine legen könnte.

Dafür müsste der Staatenbund aber „Zähne zeigen und mit einer Sperre drohen“, wie es zuletzt Brasilien tat. Dort war die Plattform unter anderem wegen Verbreitung von Falschinformationen einen Monat lang gesperrt worden, bis Musk eine hohe Geldstrafe beglichen hatte.