Berlin. Franziska Brantner will, dass jeder zweite Steuerzahler keine Belege mehr einreichen muss. Über Habecks Kanzler-Chancen spricht sie offen.
Robert Habeck soll die Grünen wieder auf den Erfolgspfad führen. Aber welches Rezept hat er für die Wirtschaft, die in seiner Zeit als Wirtschaftsminister in die Rezession gerutscht ist? Die neue Grünen-Chefin Franziska Brantner – sie ist auch parlamentarische Staatssekretärin im Habeck-Ministerium – sagt im Interview mit unserer Redaktion, wie Bürger und Unternehmen entlastet werden sollen. Und wie es mit dem Heizungsgesetz weitergeht.
Frau Brantner, wie riskant ist es, auf einen Kanzlerkandidaten zu setzen, der für die wahrscheinlich größte Pleite der Ampelkoalition – das Heizungsgesetz – verantwortlich ist?
Franziska Brantner: Robert Habeck ist ein starker Politiker, der unser Land durch eine der größten Krisen geführt hat. Er hat es in kürzester Zeit geschafft, uns aus der Abhängigkeit von russischem Gas zu befreien. Beim Heizungsgesetz nicht auch sofort die soziale Staffelung mit vorgestellt zu haben, war ein Fehler. Das hat er angesprochen und korrigiert. Wenn ich auf den Zustand der Deutschen Bahn schaue, dann würde ich mich freuen, wenn die Herren Ramsauer, Dobrindt oder Scheuer auch mal Fehler eingestehen könnten.
Sind Sie bereit, das Heizungsgesetz in einer neuen Regierung nachzubessern?
Brantner: Verbraucherinnen und Vertreter der Branche wünschen sich Planbarkeit und keine neue Unruhe im Markt. Natürlich werden Gesetze evaluiert, aber beim Gebäudeenergiegesetz geht es jetzt um Verlässlichkeit.
Die Union will das Heizungsgesetz ganz abschaffen.
Brantner: Und damit die Bürger in eine Kostenfalle locken. Denn genau das bedeutet es, wenn CDU/CSU einzig auf einen steigenden CO2-Preis setzen. Die Union würde damit das Heizen mit Gas und Öl teurer machen und gleichzeitig die finanzielle Hilfe beim Umstieg auf eine klimaneutrale Heizung streichen. Für uns Grüne ist klar: Wir werden die Bürger nicht im Stich lassen.
Habeck hat ein weiteres Problem: Die Wirtschaft lahmt. Hat das gar nichts mit dem Wirtschaftsminister zu tun?
Brantner: Wir sind in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, es gibt viele strukturelle Herausforderungen. Die Industrieproduktion in Deutschland sinkt seit 2018 kontinuierlich. Wir müssen dauerhaft die Energiepreise senken, die Infrastruktur modernisieren, Verfahren vereinfachen und beschleunigen, die Digitalisierung vorantreiben. Die Ampel hat damit begonnen, diese Standortfaktoren zu verbessern. Auf diesem Weg muss die nächste Regierung weitergehen. Zurück in die Vergangenheit – das wäre grundgefährlich.
Habeck ist für viele das Gesicht der Rezession.
Brantner: Die entscheidende Frage ist, wer Antworten hat und konkret Probleme löst. Und das sind wir. Wir haben das Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien verdoppelt. Und wir haben Flüssiggasterminals gebaut – in sechs Monaten statt in zehn Jahren. Anders als die Union haben wir auch ein Finanzierungskonzept für das Auf-Vordermann-Bringen: Den Deutschlandfonds …
… der uferlose Schulden bringt.
Brantner: Nein. Dringend nötige Investitionen, um nicht weitere Infrastruktur-Schulden im Sinne kaputter Brücken anzuhäufen. Das wird aber nur funktionieren, wenn wir die Schuldenbremse reformieren.
Senken Sie dann auch die Steuern für Bürger und Unternehmen?
Brantner: Wir haben schon in der Ampel steuerliche Entlastungen vorangebracht. Darüber hinaus wollen wir Unternehmen, die in unseren Standort investieren, unterstützen durch eine steuerliche Investitionsprämie von zehn Prozent der Investitionssumme. Und wir haben uns vorgenommen, die Bürger bei der Steuererklärung zu entlasten. Wir wollen den Pauschbetrag – also die Summe, für die man ohne Belege steuerliche Erleichterungen bekommt – auf 1500 Euro anheben. Dadurch bräuchte dann die Hälfte der Steuerzahler keine Belege mehr einreichen und würde zusätzlich finanziell entlastet. Dazu wollen wir eine Deutschland-App einführen, in der alle Dienstleistungen des Staates zu finden sind – vom Reisepass bis zur Steuererklärung.
Wie lange dauert es, bis das funktioniert?
Brantner: In anderen Staaten gibt es das schon. Wenn wir im digitalen Wettbewerb mithalten wollen, müssen wir in unserem föderalen System schneller und besser werden. Es ist eine zentrale Aufgabe der nächsten Regierung, das staatliche Handeln zu entschlacken und zu digitalisieren.
Habeck wollte Schlüsseltechnologien mit hohen Subventionen nach Deutschland locken. Doch große Förderprojekte wie der Bau von Chipfabriken des amerikanischen Tech-Konzerns Intel sind gescheitert. Was lernen Sie daraus?
Brantner: Diese Strategie geht auf Erfahrungen der Corona-Zeit und den damaligen Wirtschaftsminister Altmaier zurück. Erinnern Sie sich an die Chip-Krise während Corona? Ich teile die Einschätzung, dass Deutschland seine Abhängigkeit bei relevanten Technologien wie der Halbleiterproduktion verringern muss, aber vor allem wollen wir Hochtechnologie in Deutschland halten und voranbringen…
… mit überschaubarem Erfolg.
Brantner: Die Intel-Ansiedlung ist verschoben, andere Projekte wie TSMC laufen gut. Unser Anspruch bleibt, einen gewissen Grad der Produktion von Schlüsseltechnologien in Europa zu halten. Das hat seinen Preis. Aber Abhängigkeit hat auch ihren Preis. Die Kritik daran finde ich etwas wohlfeil.
Wohlfeil?
Brantner: Was ist denn die Alternative? Abhängigkeit von autoritären Ländern? Oder wie die USA auf hohe Zölle und Restriktionen setzen? Ich halte Investitionen in Schlüsseltechnologien, auch in unseren Mittelstand, an sich für richtig.
Um das Wachstum anzukurbeln, müssen die Deutschen mehr arbeiten - findet die Union. Stimmen Sie zu?
Brantner: Viele Mütter und Väter möchten mehr arbeiten, können es aber nicht, weil die Betreuung in Kita oder Schule nicht zuverlässig gewährleistet ist. Bevor wir über längere Arbeitszeiten reden, sollten wir mehr in Kinderbetreuung investieren. Oder es finanziell attraktiver für Ältere machen, über das gesetzliche Rentenalter hinaus zu arbeiten. Und auch für Migranten sollte es leichter sein, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Es ist absurd, dass gut ausgebildete Menschen davon abgehalten werden, ihre Fähigkeiten einzubringen. Wir verstehen uns als Ermöglichungspartei.
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Wenn es Ihnen um Anreize geht, müssen Sie die Forderung von Friedrich Merz unterstützen, Überstunden von der Steuer zu befreien.
Brantner: Dieses Thema ist komplex. So eine Regelung kann dazu führen, dass Menschen ihre reguläre Arbeitszeit reduzieren, weniger Sozialversicherungsbeiträge zahlen und den Rest als Überstunden machen. Das hilft keinem. Ich würde von der Union gerne hören, wie sie hier Missbrauch verhindern will.
Nach Lage der Dinge wird es nichts mit Schwarz-Grün. Sie können sich auf Opposition einstellen.
Brantner: Die Umfragewerte für unseren Kanzlerkandidaten sind so gut, dass niemand voraussagen kann, wie das Ergebnis am Wahltag aussehen wird.
Was ist für die Grünen drin? 10, 15, 20 Prozent?
Brantner: Bis Februar passiert noch viel. Ich erinnere an 2021, als die SPD zwei Monate vor der Wahl noch weit zurückgelegen hatte. Warum sollte uns so eine Aufholjagd nicht auch gelingen? In den Kanzler-Umfragen liegt Robert Habeck jetzt schon klar vor Olaf Scholz. Mir geht es um das Land. Ich will keine teure Stillstandskoalition, die uns in diese Misere geführt hat, weil nötige Erneuerungen nicht vorangekommen sind. Eine Neuauflage von Schwarz-Rot kann sich Deutschland nicht leisten.
Scholz erfindet sich gerade neu, jedenfalls was den Politikstil angeht.
Brantner: Der Kanzlerkandidat Scholz sollte nicht ganz vergessen, dass er Kanzler ist. Man kann nicht im Bundestag von Respekt reden und bei der ersten Gelegenheit den Respekt missen lassen.
Und Markus Söder? Haben Sie ergründet, warum sich der CSU-Chef so gegen eine Koalition mit Ihnen wehrt?
Brantner: Wir sehen im Osten, wie schwierig es ist, demokratische Mehrheiten zu finden. Da ist es befremdlich, dass Herr Söder sagt, mit den Grünen kann man nicht regieren. Offensichtlich ist ihm sein Wettstreit in Bayern mit Herrn Aiwanger um „Wer ist der größte Grünen-Basher” wichtiger als eine stabile Regierung im Bund.
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