Berlin. Bei Scholz, Merz und Habeck fliegen die Fetzen. Aber die vergangenen Wochen haben gezeigt: Die deutsche Demokratie ist robust.
Bitte mal kurz innehalten – und ehrlich antworten: Wie geht es Deutschland im Winter 2024? Nicht gut, oder? Genau. Aber auch nicht so schlecht wie alle dachten. Bei weitem nicht so schlecht.
Weimar 2.0? Staatskrise? Tod der Demokratie? Nicht nur Brachialrhetoriker wie Markus Söder sahen bereits Verhältnisse wie in den frühen 30er Jahren aufziehen. Die deutsche Nachkriegsdemokratie sei in Gefahr, Deutschland werde wegen des dramatischen Vertrauensverlusts wie die Weimarer Republik im Graben enden, warnte der CSU-Mann noch vor einem Jahr.
Horrorszenarien? So schlecht geht es Deutschland gar nicht
Aber auch Beobachter mit niedrigerem Puls rechneten für den Winter 2024 mit blanken Horrorszenarien: Erdrutschsiege für die Populisten und Extremisten bei den Landtagswahlen im Osten. Bündnisse zwischen BSW und AfD. Björn Höcke vereidigt als erster Regierungschef der extremen Rechten. Dazu eine Bundesregierung, die unkontrolliert auseinanderfliegt und das Land ins Chaos stürzt, weil niemand daran denkt, dass die Extremisten im Parlament nur darauf warten, dass die Machtverhältnisse ein paar Wochen lang unübersichtlich sind. Weimarer Verhältnisse eben.
Die Gefahr ist nicht vom Tisch, aber sie vorerst gebannt. In Thüringen, Sachsen und Brandenburg ist es gelungen, Regierungen an der AfD vorbei zu bilden. Ob sie stabil sind, ob sie am Ende nicht die Ränder weiter stärken – das wird sich zeigen. Das Signal aber war wichtig: Demokraten finden Lösungen.
Neuwahlen nach Vertrauensfragen: Man hätte sich einen anderen Stil gewünscht
Das gleiche gilt für Olaf Scholz und die Neuwahlen. Sicher, man hätte sich bei allem mehr Stil gewünscht. Bei den „D-Day“-Planspielen der FDP, aber auch in der Reaktion des Bundeskanzlers. War es wirklich nötig, dass Scholz am Montag im Parlament der FDP noch einmal vorwarf, mit ihrer „wochenlangen Sabotage“ der Demokratie zu schaden? Nein. Das Karo ist zu klein für einen historischen Tag – und die Demokratie zum Glück größer als peinliche Papiere einer Fünf-Prozent-Partei. „Politik ist kein Spiel“, sagt Scholz, es brauche „sittliche Reife“. Genau. Zur Reife gehört aber auch, an einem historischen Tag nicht ein paar billige Wahlkampfpunkte zu machen. Das gilt auch für Friedrich Merz, der in seiner Replik auf Scholz regelrecht aus dem Anzug steigt und sich lustvoll in Rage redet: Scholz blamiere Deutschland, es sei zum Fremdschämen.
Das Vertrauen in die beteiligten Akteure mag gesunken sein, die Demokratie als solche aber ist nicht beschädigt worden. Das zeigen auch die Umfragen: Seit dem Ampel-Aus gab es keine eruptiven Veränderungen.. Kein Siegeszug der Populisten, kein krasser Absturz der Ampelparteien, im Gegenteil. Klar, in den Parteizentralen hat sich die Schlagzahl erhöht, weil der Wahlkampf schnell und heftig wird. Wie heftig - dafür lieferten Olaf Scholz, Friedrich Merz und Robert Habeck am Montag einen Vorgeschmack. Doch das ist der entscheidende Punkt: Eine robuste Demokratie kann harten Streit verkraften - das ist ihr Wesenskern, kein Krisensymptom.
In vier Wochen will FDP-Berserker Wolfgang Kubicki das Buch eines Journalisten vorstellen, das noch vor wenigen Monaten als gar nicht so unrealistische Warnung durchgegangen wäre. Es geht um einen Bundeskanzler der AfD, der in einer Koalition mit der CDU regiert und damit das Land zutiefst erschüttert. Der Verlag bewirbt es als Story, die „die Realität nur einen Schritt weiterdenkt“. Aus heutiger Sicht ist es nicht einen Schritt weit entfernt, sondern viele Meilen.
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