Berlin. Abrüstung war gestern: Weltweit steigen laut Sipri-Bericht die Umsätze der Waffenschmieden. Wie deutsche Rüstungsfirmen profitieren.
Raketensysteme, Kampfflugzeuge, Munition: Wegen des Ukraine-Kriegs und geopolitischer Spannungen macht die Rüstungsindustrie weltweit Rekordumsätze – deutsche Rüstungsunternehmen profitieren zum Teil überdurchschnittlich vom Boom. Das geht aus einem neuen Bericht des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri hervor, der am Montag veröffentlicht werden soll und unserer Redaktion vorab vorliegt. Die Jahrzehnte der Abrüstungsbemühungen sind demnach endgültig vorbei.
Laut Sipri stiegen die Umsätze der hundert größten Rüstungsunternehmen weltweit im vergangenen Jahr um 4,2 Prozent auf insgesamt 632 Milliarden Dollar (umgerechnet 597 Milliarden Euro). Unter den globalen Top 100 sind auch fünf deutsche Rüstungsfirmen. Rheinmetall als größter Waffenproduzent in Deutschland steigerte dem Report zufolge 2023 den Umsatz im Rüstungssektor um zehn Prozent auf 5,48 Milliarden Dollar (5,18 Milliarden Euro) – das Düsseldorfer Unternehmen kletterte damit im Ranking der 100 führenden Unternehmen von Platz 29 auf Platz 26.
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Rheinmetall, Diehl, Hensoldt und KNDS mit hohen Zuwächsen
Die Zuwächse von Rheinmetall seien durch die steigende Nachfrage im Ukraine-Krieg getrieben, heißt es im Sipri-Report. Die Wissenschaftler verweisen auf die Produktionssteigerung der Waffenschmiede bei 155-mm-Munition, die Auslieferung von Leopard-Panzern und die Ringtausch-Programme Deutschlands mit osteuropäischen Nato-Partnern, die in der Folge zu neuen Bestellungen bei Rheinmetall geführt hätten.
Die Unternehmensgruppe Diehl konnte in ihrer Rüstungssparte die Einnahmen sogar um 30 Prozent auf 1,350 Milliarden Dollar (1,28 Milliarden Euro) erhöhen, womit sie unter den weltweit führenden Unternehmen nun Platz 83 einnimmt Ein Jahr zuvor lag Diehl mit Stammsitz in Nürnberg noch auf Platz 98. Der Konzern ist Produzent des Flugabwehrsystems Iris-T SLM, das Deutschland jetzt auch der Ukraine zur Verfügung stellt.
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Für den bayerischen Hersteller Hensoldt, der auf elektronische Kampfführung und Radare spezialisiert ist, verzeichnet der Report ein Plus von 2,2 Prozent auf umgerechnet 1,75 Milliarden Euro (Platz 73), während die auf Kriegsschiffe spezialisierte Rüstungssparte von Thyssenkrupp einen Umsatzrückgang von knapp sechs Prozent auf 1,83 Milliarden Euro verzeichnete. KNDS, der Konzern aus dem deutschen Panzerbauer Krauss-Maffei Wegman und dem französischen Landsystemhersteller Nexter, stieg im Ranking mit einem Umsatz von 3,157 Milliarden Euro auf Platz 45.
Ein Drittel der Rüstungsumsätze werden in den USA erzielt
Zentrum der globalen Rüstungsproduktion bleiben die USA: Seit 2018 befinden sich alle fünf führenden Waffenhersteller weltweit in den Vereinigten Staaten – mit einem Drittel der Rüstungsumsätze der Top-100. Von den hundert größten Unternehmen sind 41 in den USA beheimatet, sie erreichten mit 317 Milliarden Dollar die Hälfte der Einnahmen, was einem Plus von 2,5 Prozent entspricht. Regional die größten Zuwächse verzeichnete aber Russland: So steigerte das russische Unternehmen Rostec seinen Umsatz um 49 Prozent auf 22 Milliarden Dollar, womit es nun von Platz neun auf Platz sieben der weltweit größten Waffenbauer kletterte.
Allerdings: Die beiden größten Rüstungskonzerne der Welt, die US-Waffenschmieden Lockheed Martin und RTX, mussten voriges Jahr leichte Umsatzeinbußen hinnehmen. „Große Unternehmen, die eine große Bandbreite an Waffen produzieren, sind oft von komplexen Lieferketten abhängig, was sie bei Veränderungen verwundbar macht“, erläuterte der Direktor des Sipri-Programms für Militärausgaben und Rüstungsproduktion, Nan Tian. Dabei geht es unter anderem um Engpässe bei seltenen Rohstoffen. Die Einnahmen der 27 europäischen Unternehmen unter den Top-100 hätten zusammen bei 133 Milliarden Dollar gelegen – nur 0,2 Prozent mehr als 2022, was das geringste Wachstum im Vergleich der Weltregionen sei.
Die EU hat erstmals einen Verteidigungskommissar
Doch ist das Bild hinter dieser Zahl differenzierter: Die Einnahmen spiegelten noch nicht die Auftragssteigerungen wider, erklärt der Report. „Komplexe Systeme haben längere Lieferzeiten,“ sagt Sipri-Mitautor Lorenzo Scarazzato. Deshalb seien die Einnahmen relativ langsam gestiegen. Aber eine Anzahl europäischer Firmen habe mit dem Ukraine-Krieg erhebliche Einnahmensteigerungen gesehen – neben Unternehmen in Deutschland auch solche in Schweden, Polen, Norwegen, Tschechien und in der Ukraine selbst.
Die EU versucht derzeit, die heimische Rüstungsindustrie durch mehr Zusammenarbeit und finanzielle Förderung zu stärken. Für diese Aufgabe gibt es in der neuen EU-Kommission mit dem Litauer Audrius Kubilius sogar erstmals einen eigenen Verteidigungskommissar. Nach Daten der EU-Kommission sind im ersten Jahr des Ukraine-Kriegs nur ein Drittel der europäischen Beschaffungsausgaben auf Hersteller in der EU entfallen, aber 63 Prozent auf Lieferanten aus den USA.
Rheinmetall will Umsatz mittelfristig verdoppeln
Neuere Daten zeichnen ein etwas ausgewogeneres Bild. So kommen Experten des Londoner Sicherheits-Forschungsinstituts IISS in einer aktuellen Studie zu dem Schluss, dass die europäischen Nato-Mitglieder von Kriegsbeginn bis September 2024 Beschaffungsverträge von 170 Milliarden Euro unterzeichnet hätten – davon mit 89 Milliarden Euro gut die Hälfte für europäische Systeme, während 58 Milliarden Euro auf US-Systeme entfallen.
In den Bilanzen europäischer Rüstungsfirmen macht sich das bisher nur zum Teil bemerkbar, in ihren Geschäftsaussichten deutlicher stärker: Rheinmetall etwa will seinen Umsatz nach Angaben von Vorstandschef Armin Papperger bis 2026 um 30 Prozent steigern, mittelfristig sogar um 100 Prozent. Sipri verweist darauf, dass viele Rüstungsunternehmen wegen der Nachfrage zusätzliche Arbeitskräfte rekrutierten. Das belege ihren „Optimismus für die Zukunft“.
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