Jerusalem/Berlin. Ungarns Regierungschef will Israels Ministerpräsidenten demonstrativ einladen. Die Bundesregierung steckt in einem Dilemma.
Benjamin Netanjahu ist in Israel nicht unbedingt beliebt. Dass der Ministerpräsident nun mittels internationalem Haftbefehl gesucht wird, finden dennoch die allermeisten Israelis ungerecht. Dass Israel das erste demokratische Land ist, gegen dessen Regierungschef ein Haftbefehl erlassen wurde, verstärkt diesen Eindruck. Immer waren es autokratische Führer, die als Kriegsverbrecher galten – plötzlich trifft es Netanjahu und Ex-Verteidigungsminister Joav Gallant.
Am schwersten wiegt aber die Last des Traumas, das der Hamas-Überfall am 7. Oktober ausgelöst hat: Wie kann es sein, dass ein Kollektiv, das Opfer eines so horrenden Massakers wurde, nun selbst Täter sein soll? Diese Frage stellten sich am Freitag viele.
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Zugleich gab es in den Palästinensergebieten, aber auch in vielen Ländern des globalen Südens Jubel über die Entscheidung. Sie feiern das als Zeichen, dass der Gerichtshof bei seiner Rechtsprechung auch westliche Mächte nicht verschont.
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Die erste und unmittelbare Folge des Haftbefehls: Netanjahu wird nur noch in sehr eingeschränktem Maße reisen können. Wenn in Berlin ein neuer Kanzler ins Amt kommt, wird Israels Regierungschef ihn wohl nicht besuchen können. Wohl noch spannender ist aber die Frage: Wird der neue Bundeskanzler nach Israel reisen, um Netanjahu zu treffen? Zwar pflegt Berlin mit der Regierung Israels enge Beziehungen. Kann man sich aber noch händeschüttelnd mit jemandem zeigen, den man sofort verhaften müsste, wenn er den eigenen Boden betritt?
Diese Fragen werden sich in der EU viele stellen müssen. Ein enger Verbündeter wie Deutschland steht aber vor einem besonderen Dilemma: Einerseits verpflichtet die historische Verantwortung, die aus dem Holocaust erwächst, Deutschland dazu, Israel beizustehen. Dazu gehört auch, mit seinen Regierungen ein enges Verhältnis zu pflegen. Andererseits verpflichtet eben diese NS-Tätergeschichte die Bundesrepublik auch dazu, den Internationalen Strafgerichtshof zu stützen und ihm dabei zu helfen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu ahnden.
Bundesregierung entscheidet, wenn Gallant oder Netanjahu nach Deutschland kommen
Wie schwer dieser Spagat der Bundesregierung fällt, zeigt sich in ihrer Reaktion. Berlin werde die Konsequenzen erst dann prüfen, wenn ein Netanjahu oder Gallant nach Deutschland reisen, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit – also wahrscheinlich nie.
Einige europäische Regierungen, darunter die aus den Niederlanden, erklärten ohne Umschweife, dass sie die Haftbefehle exekutieren würden. Israel nahm das mit Unmut zur Kenntnis – und cancelte den bevorstehenden Besuch des niederländischen Außenministers. Ganz anders reagierte Ungarn. Ministerpräsident Viktor Orban erklärte am Freitag, Netanjahu sei in seinem Land jederzeit willkommen und müsse keine Angst haben, festgenommen zu werden. Das ist die Ankündigung eines Rechtsbruchs.
Die USA haben es in dieser Beziehung leichter, sie erkennen das Tribunal erst gar nicht an. So zeigte sich US-Präsident Joe Biden „empört“ über die Erlassung der Haftbefehle, sein Nachfolger Donald Trump könnte Sanktionen gegen den Gerichtshof und seine Vertreter verhängen. Ob die USA darüber hinaus Druck auf weitere Staaten ausüben werden, damit sie sich vom Gerichtshof distanzieren, bleibt abzuwarten. In ihrem Leitartikel gibt sich die Redaktion der „Jerusalem Post“ bereits siegessicher: „Israel wird diese skandalöse Entscheidung überleben. Der Internationale Gerichtshof wird es vielleicht nicht.“
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