Berlin. In den USA wird der Präsident nicht direkt, sondern durch ein Wahlleutegremium bestimmt. Das kann für überraschende Ergebnisse sorgen.

Am 5. November ist es soweit: die US-Amerikanerinnen und Amerikaner wählen ihren neuen Präsidenten oder erstmals eine Präsidentin. Doch wenn am Wahltag in allen Bundesstaaten die Wahllokale geschlossen und die Stimmen ausgezählt wurden, sind weder der Republikaner Donald Trump noch seine demokratische Kontrahentin Kamala Harris formell gewählt. Klar ist nur, wie viele Wahlleute jeder von beiden auf sich vereinen kann.

Denn in den USA wird der Präsident nicht direkt durch das Volk gewählt, sondern durch ein Wahlleutegremium, das Electoral College. Diesem gehören 538 Mitglieder an. Wie viele Wahlleute jeder Bundesstaat entsendet, hängt von der Bevölkerungsgröße ab. Die Regel ist: mindestens zwei für die Senatoren des Staates, hinzu kommt die von der Bevölkerung abhängende Zahl der Abgeordneten des Staates. Drei Wahlleute entsendet zudem die Hauptstadt Washington D.C., die formell kein eigener Bundesstaat ist. Wer Präsident werden will, braucht also mindestens 270 Stimmen.

Wahlverlierer kann zum Präsidenten werden

Im 21. Jahrhundert, in dem in den meisten Staaten direkt gewählt wird, mag dieses Wahlsystem antiquiert wirken. Und tatsächlich ist es auch schon fast 250 Jahre alt. Die Väter der US-Verfassung von 1787 sahen in dem System einen Kompromiss zwischen einer direkten Wahl des Präsidenten durch das Volk und einer Wahl durch den Kongress. Weder das Volk noch der Kongress sollte die alleinige Macht haben, den Präsidenten zu bestimmen.

In der Realität führt dieses System jedoch zu erheblichen Verzerrungen des Wahlergebnisses. So kam es bereits mehrmals vor, dass ein Kandidat die meisten Stimmen erhalten hat, sein Kontrahent jedoch eine Mehrheit im Electoral College hatte und deshalb Präsident wurde. Zuletzt war dies 2016 der Fall, als Donald Trump Präsident wurde, obwohl seine demokratische Herausforderin Hillary Clinton fast drei Millionen Stimmen mehr bekommen hatte.

The Winner takes it all und Swing States

Grund dafür ist, dass in allen Bundesstaaten außer Maine und Nebraska die Wahlleute nach dem Winner takes it all-Prinzip bestimmt werden – also auch eine nur hauchdünne Mehrheit dazu führt, dass ein Kandidat in dem Staat sämtliche Wahlleute zugesprochen bekommt, während alle anderen Stimmen unter den Tisch fallen.

Zudem sind Staaten mit kleiner Bevölkerungszahl, die häufig auch republikanisch dominiert sind, überrepräsentiert: So hat das ländliche Wyoming drei Wahlleute, die je rund 194.000 Einwohner repräsentieren. Die 54 kalifornischen Wahlleute repräsentieren hingegen jeweils rund 720.000 Einwohner.

Viele Bundesstaaten sind fest in den Händen der Demokraten oder der Republikaner und Harris oder Trump haben dort in den Umfragen einen uneinholbaren Vorsprung. So konzentriert sich der Wahlkampf auf die Bundesstaaten, in den laut Umfragen völlig offen ist, wie die Bevölkerung abstimmen wird – die Swing States. In diesem Jahr sind dies Arizona, Georgia, Michigan, Nevada, North Carolina, Pennsylvania und Wisconsin. Zusammen haben diese sieben Staaten 93 Wahlleutestimmen.

Abweichler sind selten

Die Wahlmänner und -frauen werden in der Regel vor der Wahl von den Parteien nominiert und sind in vielen Bundesstaaten gesetzlich verpflichtet, so zu stimmen, wie es der Wahlausgang in dem jeweiligen Bundesstaat vorgibt. Untreuen Wahlleuten drohen Geldbußen. Deshalb haben Wahlleute in der Vergangenheit immer mit überwältigender Mehrheit so abgestimmt, wie es von ihnen erwartet wurde. 2016 stimmten allerdings sieben Wahlmänner und -frauen für andere Kandidaten als Trump und Clinton. Doch auch das beeinflusste den Ausgang der Wahl nicht. Sollte kein Kandidat eine Mehrheit haben, wählt übrigens das US-Repräsentantenhaus den Präsidenten. Dies ist jedoch extrem unwahrscheinlich und war zuletzt 1824 der Fall.

Auch wenn in den USA vom Electoral College gesprochen wird, so treffen sich die 538 Frauen und Männer nie in großer Runde. Am Montag nach dem zweiten Mittwoch im Dezember – in diesem Jahr ist dies der 16. Dezember – kommen die Wahlleute in den Hauptstädten ihrer Bundesstaaten zusammen, um abzustimmen. Die Stimmen werden dann versiegelt und Anfang Januar bei einer gemeinsamen Sitzung von Repräsentantenhaus und Senat ausgezählt. Am 20. Januar wird dann der neue Präsident oder die neue Präsidentin vor dem Kapitol in Washington vereidigt.

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Versuche zur Wahlrechtsreform gescheitert

Viele Kritiker halten das Wahlsystem für veraltet und undemokratisch – und das nicht erst seit der Wahl 2016. Befürworter sehen darin hingegen eine Stärkung der föderalen Verfasstheit der Vereinigten Staaten, die kleinere Bundesstaaten vor der Mehrheit der großen Staaten schützt. Versuche einer umfassenden Wahlrechtsreform sind stets gescheitert. Der bisher aussichtsreichste Anlauf zur Abschaffung des Electoral College wurde 1969 unternommen, verfehlte aber am Ende knapp im US-Senat die nötige Mehrheit.

mit dpa