Berlin. Nach dem Wahlerfolg in Brandenburg steht das BSW vor heiklen Entscheidungen – in den Ostländern und mit Blick auf die Bundestagswahl.
Drei Wahlerfolge innerhalb von drei Wochen: Nach Sachsen und Thüringen hat das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) nun auch in Brandenburg auf Anhieb ein zweistelliges Ergebnis eingefahren – und wird auch hier als Koalitionspartner zum stabilen Regieren gebraucht, wenn die AfD außen vor bleiben soll. Die Landes-SPD in Potsdam wollte das BSW ebenso wie die CDU am Montag zu Sondierungen einladen, die BSW-Spitze zeigt sich gesprächsbereit: „Wir bringen da eine Offenheit mit“, sagt Co-Parteichefin Amira Mohamed Ali. Und schiebt ein großes Aber hinterher: Es brauche spürbare Veränderungen für die Menschen. „Sonst machen wir es nicht.“
Wie schon in Thüringen und Sachsen verlangt das BSW jetzt auch in Brandenburg einerseits Kursänderungen bei landespolitischen Themen (Bildung, Krankenhäuser), fordert aber auch eine klare Ablehnung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland und eine neue Position zum Ukraine-Krieg. Kann das klappen? Nur neun Monate nach der Gründung naht für das BSW der Moment der Wahrheit: Was fangen Sahra Wagenknecht und ihre Partei mit der neuen Macht an? Mitregieren oder lieber doch bloß opponieren? Als Co-Parteichefin Amira Mohamed Ali am Montag danach gefragt wird, klingt sie selbst ein bisschen ratlos.
Sahra Wagenknecht suchte bereits das Gespräch mit der CDU
Koalitionen seien „nicht ausgeschlossen“, erklärt sie mit Blick auf schon laufende erste Gespräche in Thüringen und Sachsen. „Aber es ist zu früh für eine Prognose.“ Der BSW-Europaabgeordnete Fabio De Masi sagte unserer Redaktion: „Der zügige Eintritt in Landesregierungen ist für uns selbstverständlich mit Risiken verbunden. Daher sind wir dazu auch nur bereit, wenn wir wirklich etwas für die Leute bei etwaigen Koalitionsverhandlungen herausholen.“ Die Erwartungen der BSW-Wähler zu enttäuschen, wäre Wasser auf die Mühlen der AfD, warnt De Masi.
Immerhin, erste Annäherungen sind nicht gescheitert: Parteichefin Wagenknecht hat mit den CDU-Spitzen von Sachsen und Thüringen geredet. Am Montag wollten in Dresden Führungsleute von CDU, BSW und SPD in einer ersten Dreierrunde Chancen für eine Koalition sondieren. In Thüringen geht es für die BSW-Landtagsfraktion schon um die nächste Phase der Gespräche und eine Verständigung zur Wahl des Landtagspräsidenten. In Sachsen und Thüringen sind die Dinge kompliziert. Die CDU, die dort ein Bündnis anführen würde, tut sich schwer mit der Ex-Linken-Ikone Wagenknecht – und in Erfurt bräuchte es eigentlich alle vier Parteien außer der AfD zum Regieren. Kommt deshalb der Durchbruch am ehesten in Brandenburg?
Wahl in Brandenburg: Woidke zeigt sich dem BSW gegenüber offen
SPD-Ministerpräsident und Wahlsieger Dietmar Woidke ist jetzt zwar vorsichtig, nennt das BSW eine „Blackbox“. Doch hatte er früh im Wahlkampf schon erklärt, er könne sich eine Koalition mit dem BSW vorstellen. Nach allem, was er gehört habe, spreche nichts dagegen. Das gelte auch für die Personen vom BSW, die er kennengelernt habe, so Woidke im Juli, als das BSW in Umfragen noch etwas besser dastand als jetzt am Wahlabend.
Die Offenheit gilt ausdrücklich auch dem BSW-Spitzenkandidaten Robert Crumbach: Den 61-jährigen Arbeitsrichter kennen die Sozialdemokraten gut, er war schließlich 40 Jahre lang SPD-Mitglied. Der ist „konservativ-pragmatisch“, lobt ein SPD-Spitzenmann in Potsdam. Und sagt über das BSW-Team: „Das sind Menschen, mit denen es funktionieren könnte.“ Allerdings hat Crumbach die SPD aus tiefer Enttäuschung verlassen, was Verhandlungen vielleicht eher belastet als befördert.
„Friedenspolitik ist mir ein Herzensanliegen“, sagt Crumbach. Er fordert „Aussagen einer Landesregierung zum Russland-Ukraine-Konflikt“ und ein ausdrückliches Bekenntnis gegen die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland. „Wir werden nicht um jeden Preis regieren“, betont der BSW-Mann. Veränderungen ließen sich auch in der Opposition erzwingen. Woidke betont zwar am Montag, in einem Koalitionsvertrag würden nur Dinge stehen, die auf Landesebene umsetzbar seien, eine Bundesratsinitiative würde das aber nicht ausschließen.
Wagenknecht als Kanzlerkandidatin? BSW-Politiker treten auf die Bremse
Aber wird dem BSW das reichen? „Wenn das BSW in Regierungsverantwortung kommt, kann es seinen populistischen Kurs nicht mehr so einfach fortsetzen“, sagte der Parteienforscher Frank Decker unserer Redaktion. Wagenknechts oberstes Ziel ist aber der Einzug in den Bundestag bei der Wahl spätestens im September 2025, die Landtagswahlen waren nur Zwischenetappen auf dem Weg zum Triumph in Berlin.
Schon gibt es im BSW eine Debatte, ob Wagenknecht zur Bundestagswahl nicht bloß als Spitzenkandidatin des BSW antreten sollte, sondern als Kanzlerkandidatin. Die Kanzlerkandidatur sei eines der Themen, die nun parteiintern beraten werden müssten, sagt Co-Chefin Ali. Der BSW-Politiker De Masi findet diese Debatte aber verfrüht. „Wir sind keine Hochstapler“, sagt der Europaabgeordnete. „Unser Wahlziel ist, in Fraktionsstärke in den Bundestag einzuziehen und uns als feste Größe im Parteiensystem zu verankern“, sagt De Masi. „Wir wollen ein Schiff bauen, dass die nächsten Jahre und Jahrzehnte segeln kann.“
BSW zieht Minderheitsregierungen in Erwägung
Um diese Pläne nicht zu gefährden, werden für die ostdeutschen Länder längst andere Modelle erwogen, die den Bundestagswahlkampf weniger belasten würden – etwa die Tolerierung einer Minderheitsregierung durch das BSW. Co-Chefin Ali sagt, in den nächsten Wochen werde das BSW ausloten, „ob Regierungsbeteiligung eine Option ist oder ob wir aus der Opposition für unsere Themen weiter kämpfen“.
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert verweist schon genüsslich auf Wagenknechts Dilemma: Sie spiele ein „Vabanquespiel“. Wagenknecht wolle mit dem Reiz des Neuen und Unbefleckten in den Bundestag. „Aber sie kann sich schwerlich nach den Wahlen in allen drei Bundesländern aus der Verantwortung ziehen“, meint Kühnert. „Ich bin gespannt, wie sie das auflösen kann.“
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