Berlin. Die Bundeswehr will den Weltraum bis 36.000 Kilometer Entfernung beobachten. Militärs erwarten, dass sich irdische Konflikte verlagern.
Der Angriff Russlands auf die Ukraine begann im Weltraum. Um 4.02 Uhr unserer Zeit bemerkte das US-Unternehmen Viasat am 24. Februar 2022 einen Cyberangriff, der das satellitenbasierte Breitband-Netzwerk KA-SAT störte. Der Angriff betraf europaweit Behörden und Unternehmen, in Deutschland waren Windräder digital nicht mehr zu erreichen. Vor allem legte die Attacke aber ein von der ukrainischen Armee genutztes Kommunikationssystem lahm – eine Stunde später startete die russische Invasion am Boden.
Das Vorgehen zeigt: Moderne Kriege werden nicht mehr nur zu Lande, zu Wasser, in der Luft und im Cyberspace geführt, sie finden auch im Weltraum statt. „Wir haben in Deutschland noch einen sehr romantischen Blick auf die Weiten des Weltraums“, sagt die Sicherheitspolitik-Expertin Antje Nötzold von der TU Chemnitz. „Aus militärischer und sicherheitsstrategischer Sicht ist der Weltraum aber längst ein Konfliktfeld. Wir erleben einen Rüstungswettlauf im Weltraum.“
Krieg in den Sternen: Konflikte können Verkehr, Bankautomaten und Drohnen stören
Kommunikationssysteme im Weltraum steuern das Leben auf der Erde. Mehr als zehntausend Satelliten versorgen Flugzeuge und Schiffe, aber auch Busse und Bankautomaten mit Standortinformationen oder Zeitsignalen. Wettervorhersagen stützen sich auf Daten aus dem All. Aktuell stört mutmaßlich Russland von Kaliningrad aus GPS-Signale über der Ostsee und in Osteuropa. „Wir sorgen uns vor dem Hintergrund des Konflikts mit Russland derzeit um Sabotage von lebenswichtiger Infrastruktur auf der Erde, wir müssen uns aber auch Sorge um das Funktionieren unserer kritischen Systeme im Weltraum machen“, warnt Nötzold.
Auch interessant
Ein flächendeckender Zusammenbruch würde unsere digitalisierte Welt ins Chaos stürzen, die wirtschaftlichen Schäden wären enorm. Militärische Kommunikation würde lahmgelegt, Aufklärungssatelliten fielen aus, manche Drohnen oder Lenkflugkörper könnten nicht mehr gesteuert werden.
Expertin: Kriege und Konflikte verlagern sich in den Weltraum
Der Krieg in den Sternen ist daher nach Einschätzung von Militärs und Experten nicht mehr nur ein Stoff für Science-Fiction-Erzählungen. „Wir müssen davon ausgehen, dass sich auf der Erde geführte Konflikte und Kriege in Zukunft in den Weltraum verlagern“, erwartet Nötzold. Erste Anzeichen gibt es bereits: „Satelliten fliegen offenbar zur Spionage beispielsweise Kommunikationssatelliten an“, berichtet der Weltraum-Experte Andreas Knopp von der Universität der Bundeswehr in München. „Russland und China haben zudem gezeigt, dass sie im Weltraum Satelliten durch Raketen zerstören können.“
Was sich dort oben tut, beunruhigt die Bundeswehr. Die Truppe von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat 2021 ein Weltraumkommando aufgestellt mit aktuell rund 150 Mitarbeitern, bis 2027 sollen es etwa 230 werden. In einem unscheinbaren Klinkerbau in Uedem am Niederrhein schauen sie an sieben Tagen die Woche rund um die Uhr in die Sterne. „Unsere Weltraumfähigkeiten, zivil wie militärisch, sind Ziel im Kalkül eines Gegners“, beschreibt Generalmajor Michael Traut, der Kommandeur des Weltraumkommandos der Bundeswehr, die Lage.
Weltraumkommando der Bundeswehr beobachtet das All
Seine Soldaten analysieren deswegen nicht nur das Weltraumwetter oder beobachten Weltraumschrott, der Satelliten treffen und beschädigen könnte. Sie analysieren auch, was andere Länder und ihre Militärs dort oben treiben. „Verschiedene Akteure“ spähten aktiv Weltraumsysteme aus, um diese im Konfliktfall gezielt stören oder gar auszuschalten zu können, sagt Traut. „Daher geht es bereits heute darum, die gesamte Lage in der Dimension Weltraum zu erfassen, mit eigenen Mitteln zu erkennen, was im Kontext Weltraum vor sich geht, wer was macht und was er vorhaben könnte.“
Die Bundeswehr verfügt aktuell über acht eigene Satelliten, sechs zur Erdbeobachtung und zwei zur Kommunikation. Um den Weltraum besser überwachen zu können, schafft die Bundeswehr ein Superfernglas an: Mit zwei Teleskopen soll das Weltraumkommando künftig alles vom „Low Earth Orbit“ in einer Höhe von rund 400 Kilometern bis zum „Geostationary Orbit“ in einer Entfernung bis zu 36.000 Kilometern im Blick haben.
Neue Teleskope sollen Bundeswehr unabhängig machen
Für das Teleskopsystem werden im baden-württembergischen Meßstetten bis 2025 zwei acht Meter hohe Türme gebaut. Nach einer Testphase sollen die aus der Ferne gesteuerten Teleskope 2026 komplett vom Weltraumkommando in Betrieb genommen werden. „Eine bundeswehreigene Sensorik ist notwendig, um unabhängig von anderen Nationen eine Weltraumlage zum Schutz deutscher Weltrauminfrastruktur sicherzustellen“, begründet ein Sprecher des Beschaffungsamtes der Bundeswehr den Kauf. Bezahlt werden die Teleskope aus dem 100-Milliarden-Sondervermögen der Bundeswehr, über die genauen Kosten schweigt das Beschaffungsamt.
Die Nato hat den Weltraum neben Land, Luft, Meer und dem Cyberspace zum militärischen Einsatzbereich erklärt. Die USA definieren den Weltraum sogar als Gebiet der Kriegsführung. Auch Generalmajor Traut erwartet, dass der Weltraum immer mehr zu einem militärischen Operationsraum wird. Durch „solide eigene Fähigkeiten“ und Kooperation mit Verbündeten müsse Deutschland daher auf „glaubhafte Abschreckung“ setzen, um die Eskalation eines irdischen Konflikts in den Weltraum möglichst zu vermeiden. „Dies wird nach meiner Einschätzung nicht immer möglich sein“, räumt der Weltraumkommando-Chef ein.
Experten: Deutschland fehlt militärische Strategie für den Weltraum
Experten bezweifeln allerdings, dass Deutschland bereits auf Kriege und Konflikte im Weltraum vorbereitet ist. Andreas Knopp von der Bundeswehr-Universität warnt, Deutschland sei technologisch zu abhängig von anderen Staaten wie den USA. „Wir müssen einen stärkeren Fokus darauflegen, kritische Technologien selbst zu entwickeln“, fordert der Professor für Satellitenkommunikation.
Doch auch strategisch sehen Beobachter Nachholbedarf. „Deutschland ist im Vergleich zu anderen Staaten spät dran, die ihre Ziele und Strategien für den Weltraum längst klar definiert haben“, sagt Politikwissenschaftlerin Nötzold. Sie vermisst klare Festlegungen für den Fall von Konflikten oder Angriffen auf die dortigen Systeme: „Beobachten wir nur und reagieren defensiv – oder müssen wir operativ aktiv werden, um uns effektiv verteidigen?“ Die Bundesregierung hat eine Weltraumsicherheitsstrategie angekündigt, in der solche Fragen geklärt werden sollen. Das Dokument lässt aber auf sich warten, es hängt in der Abstimmung zwischen Auswärtigem Amt und Verteidigungsministerium. „Wir planen die Veröffentlichung noch bis Jahresende“, kündigt ein Sprecher des Pistorius-Ministeriums nun an.
Systeme im Weltraum: Von der Dorffeuerwehr bis zur Bundeswehr sind viele abhängig
„Die verschiedenen Ministerien müssen begreifen, dass Deutschlands Fähigkeiten in Weltraum alle angehen“, mahnt Knopp. Die Systeme würden von der Dorffeuerwehr über die deutsche Autoindustrie bis hin zur Bundeswehr im Auslandseinsatz genutzt. Der Weltraum-Experte fordert: „Die gesamte Regierung muss eine Strategie für den Weltraum entwerfen und gemeinsam Budgets bereitstellen, um uns für die Zukunft zu wappnen.“
- Interview: Pistorius: „Putin weiß, wie er Nadelstiche bei uns setzen muss“
- Vertrauensfrage: Fünf Erkenntnisse aus einem historischen Tag
- Buchpräsentation: Diesen Putin-Satz vergisst Merkel bis heute nicht
- Podcast: Bärbel Bas über ihre Kindheit und Armut
- Infrastruktur: Gekappte Ostsee-Kabel – Die Angst um unsere Lebensadern