Berlin. Seit 1990 wird Brandenburg ausschließlich von der SPD regiert. Warum das so ist – und was es mit der Bezeichnung „kleine DDR“ auf sich hat.
Sie ist zwar die Kanzlerpartei, aber das Ansehen der SPD ist so schlecht wie wohl noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. An diesem Sonntag soll sich zeigen, ob sie trotzdem noch siegen kann. Brandenburg ist das einzige ostdeutsche Bundesland, das seit seiner Gründung 1990 ausschließlich von Sozialdemokraten regiert worden ist, die bisher in jeder Wahl die stärkste Partei waren.
Bei der Landtagswahl am Sonntag kämpft ihr Ministerpräsident Dietmar Woidke darum, diesen Rekord noch einmal um fünf Jahre zu verlängern. Entweder die SPD bekommt wieder die meisten Stimmen. Oder er geht. Das ist sein Angebot oder seine Drohung an die gut zwei Millionen Wahlberechtigten. Je nachdem, wie man es sieht. In den letzten Umfragen hatte die AfD im Vergleich zur SPD knapp die Nase vorn.
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Seit 1990 gab es erst drei Ministerpräsidenten
Bis zur letzten Wahl war Brandenburg eine sichere Bastion der Sozialdemokraten. Allerdings wurde es 2019 auch schon knapp: Da hatte die SPD mit 26,2 Prozent nur noch einen kleinen Vorsprung vor der AfD mit 23,5 Prozent. Woidke, der vorher zwei Wahlperioden mit der Linken regiert hatte, bildete eine Kenia-Koalition aus SPD, CDU und Grünen. Entscheidend für ihn war, dass die SPD stärkste Partei und er Ministerpräsident blieb. Er ist erst der dritte Regierungschef in Potsdam seit 1990, so wenige gab es in keinem anderen Bundesland.
Brandenburg war bei der ersten Wahl 1990 das einzige der neuen Bundesländer, in denen die Sozialdemokraten stärkste Partei wurden. Das hatte viel mit ihrem Spitzenkandidaten Manfred Stolpe (1936-2019) zu tun. Er war als Konsistorialpräsident der evangelischen Kirche in der DDR schon ein bekannter Mann, bevor er sich in der SPD engagierte. Er hatte als Bindeglied zwischen der Kirche und dem Staat agiert und verkörperte so für viele der verunsicherten DDR-Bürger eine Art Kontinuität inmitten all der Umbrüche jener Zeit.
Er kannte beide Seiten des Systems: Die der herrschenden Kommunisten und die der verfolgten oppositionellen Kirchenleute, die er in manchen Fällen dank seiner Kontakte vor größerem Schaden bewahrte. Es gehörte zur Natur seiner Aufgaben, dass er auch Kontakte zum Ministerium für Staatssicherheit pflegte, das über ihn eine IM-Akte führte. Stolpe bestritt aber vehement, als Informeller Mitarbeiter (IM) tätig gewesen zu sein. Der Vorwurf aus Kreisen der Bürgerrechtler und der CDU verfolgte ihn viele Jahre, doch seiner Popularität tat das keinen Abbruch.
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Brandenburg wurde als „kleine DDR“ bezeichnet
Bei der Wahl 1994 holte er mit 54,1 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit und konnte eine reine SPD-Regierung bilden. Es waren die Jahre, in denen Brandenburg vor allem aus konservativen Kreisen gern als „kleine DDR“ bezeichnet wurde, um Stolpe zu verleumden. Der aber gab dem eine positive Wendung, indem er sich zu sinnvollen Errungenschaften der DDR bekannte: „Poliklinik, Kleinkinderbetreuung, Rechte der Frauen, Ganztagsschulen, das wollen wir behalten.“ Er traf damit die Stimmung vieler Ostdeutscher.
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Ganz in diesem Sinne arbeitete auch Stolpes Sozialministerin Regine Hildebrandt (1941-2001). Durch ihr volksnahes, oft auch undiplomatisches Eintreten für die Interessen der ärmeren Schichten errang sie bundesweite Bekanntheit und den Ehrentitel „Mutter Courage des Ostens“. Sie trug wesentlich zum guten Ruf der SPD in Brandenburg bei. Hildebrandt wurde vom Landtag gerügt, weil sie mit ihren Mitarbeitern „bis an die Grenzen der Legalität“ gegangen sei, um soziale Benachteiligungen auszugleichen. Als Stolpe 1999 eine Koalition mit der CDU einging, trat sie aus Protest zurück, blieb aber in der Öffentlichkeit aktiv.
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Der „Deichgraf“ Matthias Platzeck war elf Jahre lang Ministerpräsident
Mit Matthias Platzeck wurde 2002 ein ebenfalls populärer Sozialdemokrat Nachfolger von Stolpe als Ministerpräsident. Er hatte als Umweltminister die Oderflut 1997 engagiert gemanagt und wurde unter dem Titel „Deichgraf“ bundesweit als zupackender, bürgernaher Politiker bekannt. Platzeck trat 2013 aus gesundheitlichen Gründen zurück und übergab sein Amt an den damaligen Innenminister Dietmar Woidke.
Glaubwürdige Spitzenpolitiker ausschließlich ostdeutscher Herkunft und ein behutsamer Umgang mit der DDR-Vergangenheit haben dazu beigetragen, dass die Sozialdemokraten in Brandenburg sich über Jahrzehnte eine stabile Machtbasis geschaffen hatten. Anderswo im Osten heute brisante Themen wie der mangelnde westdeutsche Respekt vor den Lebensleistungen vieler Ostdeutscher haben hier nie eine Rolle gespielt.
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Die wirtschaftliche Bilanz kann sich sehen lassen
Die SPD kann trotz diverser Rückschläge eine ansehnliche wirtschaftspolitische Bilanz vorzeigen. Der Strukturwandel von der Braunkohlewirtschaft in der Lausitz zur Solar- und Windenergie ist auf den Weg gebracht, in den letzten zwei Jahren sind 15.000 neue Arbeitsplätze entstanden, Brandenburg hat als einziges ostdeutsches Bundesland dank der Speckgürtellage um Berlin wieder so viele Einwohner wie kurz nach dem Mauerfall.
So gesehen ist es nachvollziehbar, dass Woidke die Landtagswahl als das sehen möchte, was sie eigentlich auch sein soll: eine Abstimmung über die Landespolitik und keine über die Lage im Bund, wie AfD und BSW es propagieren. „Das ist dann auch eine Abstimmung über mich“, hat er gesagt. „Ich werde nicht mit irgendjemandem rumverhandeln, wenn ich auf dem zweiten oder dritten Platz gelandet bin. Dann bin ich nicht mehr da. Punkt.“ In die SPD eingetreten ist er einst übrigens wegen Manfred Stolpe, eines seiner Vorbilder. Und so schließt sich der Brandenburger Kreis.
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