Berlin. Kanzler Scholz versprach Abschiebungen im großen Stil. Gemeindebund-Chef Berghegger erklärt im Interview, woran sie bisher scheitern.
Die Ampel-Koalition reagiert mit einem Sicherheitspaket auf den islamistischen Terroranschlag von Solingen. Aber welche Maßnahmen wirken? André Berghegger, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, macht den Praxistest.
Lassen sich Volksfeste vor Terroranschlägen schützen, Herr Berghegger?
André Berghegger: Die Tat von Solingen macht fassungslos. Sie zeigt auch, dass Feste in Kommunen – trotz ausgefeilter Schutzkonzepte – nie hundertprozentige Sicherheit garantieren können. Das Vereinsfest auf dem Dorf ist natürlich leichter zu schützen als die Fanmeile in der Großstadt. Da merken die Menschen, wenn sich Unbekannte nähern. Ich empfehle, alle Regeln zur inneren Sicherheit ständig zu hinterfragen. Seit dem islamistischen Attentat auf dem Berliner Breitscheidplatz gibt es Zugangskontrollen zu Weihnachtsmärkten. Solingen wird zu weiteren Maßnahmen führen.
Die Regierung will das Waffenrecht verschärfen, Messerverbote ausweiten. Hilft das?
Berghegger: Messer haben bei öffentlichen Veranstaltungen nichts zu suchen. Ich bin sehr dafür, die Regelungen nachzuschärfen. Aber sie nützen nichts, wenn sie nicht wirksam kontrolliert werden können.
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Können Waffenverbotszonen denn kontrolliert werden?
Berghegger: Entscheidend ist, dass die Polizei verdachtsunabhängige Kontrollen durchführen kann. Dann haben Messerverbotszonen durchaus Wirkung.
Woher sollen all die Polizisten kommen, die Messer auf Volksfesten oder in Bahnhöfen aufspüren sollen?
Berghegger: Die Polizei wird Prioritäten setzen müssen. Es ist wichtig, Präsenz auf Volksfesten zu zeigen, um das Sicherheitsgefühl zu stärken.
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Ist das wichtiger als der Schutz der Landesgrenzen? Auch dafür wird mehr Polizei gebraucht.
Berghegger: Beides hat Priorität – sowohl die Sicherheit von Volksfesten als auch die Kontrolle der deutschen Grenzen. Dafür braucht die Polizei mehr Personal, und sie muss besser ausgestattet werden. Der Bundestag steht vor wichtigen Haushaltsberatungen. Die Abgeordneten müssen – gerade nach Solingen – ihrer Verantwortung für die Sicherheit gerecht werden.
Konkret?
Berghegger: Wir brauchen jährlich mindestens 100 Millionen Euro zusätzlich zum Haushaltsentwurf, um der Bundespolizei mehr Flexibilität und schnellere Reaktionen zu ermöglichen.
In Solingen hat die Polizei um Handyaufnahmen gebeten, damit der Täter identifiziert werden kann. Andernorts gibt es dafür Videoüberwachung …
Berghegger: Ich bin sehr dafür, die Befugnisse der Sicherheitsbehörden zu erweitern. Die Videoüberwachung mit Gesichtserkennung ist eine effektive Maßnahme, um Straftäter ausfindig zu machen. Wir sollten an sensiblen Orten zu bestimmten Ereignissen stärker davon Gebrauch machen. In Solingen hätte Videoüberwachung geholfen.
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Nach dem Anschlag ist die Asyldebatte neu entbrannt, CDU-Chef Friedrich Merz fordert einen „faktischen Aufnahmestopp“ für Syrer und Afghanen. Teilen Sie das?
Berghegger: Wir haben im vergangenen Jahr 350.000 Asylanträge in Deutschland verzeichnet, 2022 waren es 250.000. Dazu kommen eine Million Ukrainerinnen und Ukrainer, die vor dem russischen Angriffskrieg geflüchtet sind. Wir wollen uns um jeden Einzelnen kümmern, der Hilfe braucht. Auf der anderen Seite sind die Kommunen an der Belastungsgrenze und darüber hinaus. Die Zahl der Asylbewerber muss drastisch sinken …
… und zwar wie?
Berghegger: Es kann nicht darum gehen, das Grundrecht auf Asyl abzuschaffen. Einen großen Fortschritt wird die europäische Asylreform bringen: Asylverfahren an den Außengrenzen – und eine faire Verteilung der Asylbewerber.
Die Reform ist beschlossen, aber noch lange nicht in Kraft.
Berghegger: Die Umsetzung der europäischen Asylreform muss schnell erfolgen. Wenn das zu lange dauert, müssen wir nationale Maßnahmen ergreifen. Ich bin dafür, alle deutschen Grenzen so lange zu kontrollieren, bis die europäische Asylreform in Kraft ist. Die Grenzkontrollen zeigen Wirkung, die irreguläre Migration wird zurückgedrängt.
In Deutschland halten sich viele Menschen irregulär auf. Können Sie schildern, woran Abschiebungen in der Praxis scheitern?
Berghegger: Es gibt zu viele Zuständigkeiten, zu komplizierte Regelungen und zu wenig Digitalisierung in den Behörden. Ganz wichtig finde ich, dass sich Profis um den Vollzug der Abschiebung kümmern. Wir brauchen eine „Taskforce“, wenn Menschen die Ausreise verweigern. Verwaltungsmitarbeiter aus der lokalen Ausländerbehörde schaffen das nicht. Die Kontakte zu den Herkunftsländern liegen auf der Bundesebene. Für die Abschiebungen sollten daher die Bundespolizei und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zuständig sein. Dort sind die Ressourcen ganz andere als in einer lokalen Ausländerbehörde.
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Halten Sie Abschiebungen in ein Bürgerkriegsland wie Syrien für vertretbar?
Berghegger: In Regionen, in denen nicht unmittelbar Verfolgung droht, sollte abgeschoben werden. Das gilt auch für Syrien und Afghanistan, zumindest wenn es sich um Gefährder oder Straftäter handelt.
Die Ampel will Asylbewerbern, die bereits in einem anderen EU-Land registriert sind, Leistungen streichen. Ist das rechtlich unproblematisch?
Berghegger: Wir müssen ins Handeln kommen. Ein Existenzminimum wird ja garantiert. Natürlich gibt es für jeden Asylbewerber ein Dach über dem Kopf, Nahrungsmittel, Hygieneartikel und medizinische Versorgung. Aber alles darüber hinaus kann man kürzen, um Flüchtlinge zur Ausreise in ein anderes EU-Land zu bewegen. Das ist rechtlich möglich und politisch nachvollziehbar.
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Wie groß ist Ihr Vertrauen, dass die Ampel die Beschlüsse schnell umsetzt?
Berghegger: Die Ampel hat ein überraschend großes Paket vorgelegt, das von einer Verschärfung des Waffenrechts bis zu einer härteren Abschiebepraxis reicht. Das sind weitere Schritte in die richtige Richtung. Sie dürfen aber nicht nur beschlossen, sondern müssen schnellstmöglich auch vollzogen werden. Geredet worden ist lange genug. Wir werden die Bundesregierung an der Wirkung des Sicherheitspakets messen.
In der kommenden Woche verhandelt die Ampel mit der Union und mit den Ländern. Empfehlen Sie, den Vorschlägen zuzustimmen?
Berghegger: Nach den schrecklichen Ereignissen von Solingen brauchen wir ein Maßnahmenpaket, das möglichst breit getragen wird. Die Vorschläge der Regierung sind eine gute Basis für die Verhandlungen in der kommenden Woche.
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