Berlin. Der SPD-Fraktionschef tritt mit seiner Warnung vor der Stationierung von US-Waffen eine Debatte los. Nur in einem Punkt hat er recht.
Nachrüstungen zumal in Zeiten von Kriegen und Krisen sollten immer in der Gesellschaft debattiert werden. Die Politik hat gegenüber den Bürgern eine Bringschuld der Erklärung – zumindest in Demokratien. Mehr Geld für das Militär bedeutet weniger Mittel für andere Bereiche. Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler haben ein Recht zu erfahren, warum dies so sein soll.
Insofern legt SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich zurecht den Finger in eine Wunde, als er vor der Stationierung von US-Waffensystemen in Deutschland warnt, die weit nach Russland reichen. Eine breite Diskussion hierüber fand nicht statt.
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Vielmehr hatten die Bundesregierung und das Weiße Haus am Rande des Nato-Gipfels in Washington bekanntgegeben, dass die Vereinigten Staaten ab 2026 unter anderem Tomahawk-Marschflugkörper in Deutschland installieren wollen, die über eine Reichweite von bis zu 2500 Kilometern verfügen. Es war ein Beschluss per ordre de mufti. Hier hat Mützenich einen Punkt.
Russische Raketen können Berlin in wenigen Minuten treffen
Die Kritik, dass die amerikanischen Waffensysteme nur in Deutschland und nicht auch in anderen Nato-Ländern aufgestellt werden sollen, ist allerdings nur auf den ersten Blick schlüssig. Militärexperten weisen darauf hin, dass die US-Raketen im Rahmen einer „multifunktionalen Einsatzgruppe“ (Luft, Land, Wasser, Weltraum, Cyber und Information) verteilt werden, die es nur in Deutschland gibt.
Das Argument, die amerikanischen Raketen hätten nur eine sehr kurze Vorwarnzeit und könnten zu einer unbeabsichtigten militärischen Eskalation führen, mag bei manchen Menschen Sorge auslösen. Schlagkräftig ist es dennoch nicht. Denn das Prinzip der geringen Vorwarnzeit gilt theoretisch für alle modernen Waffensysteme. Abschreckung baut aber darauf, dass auf jeden Schlag ein vernichtender Gegenschlag erfolgt, was den Angreifer von einer Attacke abhalten soll.
Mit Blick auf die letzten Jahre hat Russland bei der Aufrüstung vorgelegt – der Westen hat reagiert. 2018 stationierte Moskau atomar bestückbare Iskander-M-Raketen in Kaliningrad. Diese haben eine Reichweite von 500 Kilometern und können Berlin oder Warschau in wenigen Minuten erreichen. Vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine hatte die Nato nur kleine Verbände auf Rotationsbasis an ihrer Ostflanke entsandt.
Kremlchef Wladimir Putin ist kein Status-quo-Politiker
Seitdem wird die Truppenpräsenz auf permanenter Basis hochgefahren – die Bundeswehr errichtet eine Brigade mit 5000 Kräften in Litauen. Die Asymmetrie in der Aufrüstung Russlands darf daher nicht kleingeredet werden. Präsident Wladimir Putin hat die Wirtschaft seines Landes auf „Kriegsproduktion“ getrimmt. 2024 gibt das Land 109 Milliarden Euro für sein Militär aus. Das macht fast ein Drittel des Gesamthaushaltes aus.
Man kann nur spekulieren, warum der SPD-Fraktionschef jetzt mit seinem Vorstoß kommt. Vermutlich will er den alt-pazifistischen Flügel der Sozialdemokraten hinter sich sammeln und verunsicherte Bürger angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen in Ostdeutschland und der Bundestagswahl in gut einem Jahr mobilisieren. Eine klare Abgrenzung vom realpolitischen Teil der Partei rund um Verteidigungsminister Boris Pistorius, der mit der Möglichkeit eines russischen Angriffs in den kommenden Jahren rechnet, falls die Nato sich nicht wappnet.
Wer jetzt fordert, die Bundesregierung solle Putin auch Angebote zur Rüstungskontrolle unterbreiten, sitzt reinem Wunschdenken auf. Der Kremlchef ist anders als seine sowjetischen Vorgänger kein Status-quo-Politiker. Für Staats- und Parteichefs wie Leonid Breschnew galt das Verschieben von Nachkriegsgrenzen in Europa als Tabu. Bei Putin ist das nicht der Fall.
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