Berlin. Waren Corona-Maßnahmen in Teilen übertrieben? Veröffentlichte Protokolle des RKI-Krisenstabs legen dies nahe. Was Sie wissen müssen.
Die Protokolle der Krisenstabssitzungen des Robert-Koch-Instituts (RKI) zwischen Januar 2020 und April 2021 sind mit einigen Schwärzungen erstmals öffentlich einsehbar. Die Veröffentlichung ist die Reaktion auf eine Klage des aus dem Corona-Leugner-Milieu stammenden Magazins „Multipolar“. Das Magazin kündigte an, jetzt auch auf eine ungeschwärzte Version zu drängen.
Während der Corona-Pandemie wurden diverse Maßnahmen wie Kontaktbeschränkungen, Maskenpflicht und Impfregulierungen im RKI-Krisenstab debattiert. Wie die nun veröffentlichten Protokolle zeigen, kamen die Experten dabei teilweise zu Einschätzungen, die stark von den politischen Beschlüssen abweichen.
FFP2-Masken: Strenge Vorgaben nicht wissenschaftlich fundiert?
Ein Beispiel ist die Verwendung von FFP2-Masken im Alltag. „Es gibt keine Evidenz für die Nutzung von FFP2-Masken außerhalb des Arbeitsschutzes, dies könnte auch für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden“, heißt es im Ergebnisprotokoll vom 30. Oktober 2020. Bisherige Studien zum Nutzen seien an der ausbleibenden oder falschen Verwendung gescheitert. Der Nutzen von FFP2-Masken solle „auf Arbeitsschutz von Personen, die mit infektiösen Patienten arbeiten, begrenzt bleiben“.
Umgesetzt wurden diese Erkenntnisse allerdings nicht. Mehrere Bundesländer machten die FFP2-Maske zur Pflicht, auch außerhalb vom Arbeitsschutz zu medizinischen Maßnahmen. In Bayern etwa war die FFP2-Maske zeitweise auch beim Einkaufen und im öffentlichen Personennahverkehr verpflichtend. Warum die Politik den Erkenntnissen des RKI nicht folgte, geht aus den Protokollen nicht hervor.
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Lockdowns: Größere Gefahr als durch die Pandemie?
Am 22. März 2020 wurde der erste Lockdown verhängt, es war die politische Reaktion auf die Hochstufung der Gefahrenlage durch das RKI wenige Tage zuvor. Die Hochskalierung der RKI-Einschätzung wird bereits im Protokoll vom 16. März angekündigt. Eine Veröffentlichung der neuen Einschätzung solle erfolgen, sobald eine Person, deren Name in den veröffentlichten Dokumenten geschwärzt ist, „das Signal gibt“. „Multipolar“ interpretiert daraus eine externe politische Motivation der neuen Einstufung, andere Medien teilen diese Einschätzung nicht.
Als am 16. Dezember 2020 der zweite Lockdown begann, stellte das RKI offenbar fest, in Afrika würden Lockdowns „zum Teil schwerere Konsequenzen als Covid selbst“ haben. Allerdings bezog sich diese Einschätzung auf „Lücken bei der Behandlung von Tuberkulose, Aussetzung von Routine-Impfprogrammen“, die zu einer höheren Kindersterblichkeit führen könnten. Diese Faktoren lassen sich nicht auf Deutschland übertragen.
Astrazeneca: Auch beim RKI umstritten
Der Corona-Impfstoff der Firma Astrazeneca hatte während der Impfkampagne einen schlechten Ruf und galt gegenüber den Konkurrenzprodukten oft als minderwertig. Auch das RKI war offenkundig zunächst nicht von dem Impfstoff der britisch-schwedischen Pharmafirma überzeugt. Der Einsatz müsse diskutiert werden, die Freigabe sei „kein Selbstläufer wie die anderen, da Impfstoff weniger perfekt ist“, heißt es im Protokoll vom 8. Januar 2021.
Möglicherweise seien Beschränkungen notwendig, da die Daten für ältere Menschen sehr begrenzt seien. Am 4. März 2021 empfahl das RKI jedoch öffentlich die Nutzung des Impfstoffes für alle Altersgruppen. Als Grundlage werden in der zugehörigen Pressemitteilung neue Studiendaten, „die erst innerhalb der vergangenen Tage als Vorab-Publikationen verfügbar wurden“, genannt.
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Geimpfte und Genesene bevorzugen? Das RKI war dagegen
Einen Tag nach der Empfehlung befasste sich die RKI-Krisenstabssitzung mit möglichen Lockerungen für Genesene und Geimpfte. Die Linie der Experten war klar: „Das Impfzertifikat soll die Erfassung von Impfwirkung, Spätfolgen etc. ermöglichen, nicht Grundlage für Kategorien und Vorrechte sein.“ Auch hier folgte die Politik der RKI-Einschätzung nicht, im November 2021 wurde die 3G-Regelung, die also Geimpften, Genesenen und aktuell Getesteten mehr Möglichkeiten einräumt, sogar im Infektionsschutzgesetz festgeschrieben.