Hamburg. FDP steht vor der Zerreißprobe. Mittendrin: Der Ex-HSV-Präsident. Wie er seine Konsequenzen begründet und was diese bedeuten.
Die Hamburger FDP kommt nicht zur Ruhe. Nach monatelangen Querelen und offenem Streit zwischen Landeschef Michael Kruse und Vertretern der FDP-Nachwuchsorganisation Junge Liberale (JuLis) hat nun erstmals ein prominenter FDP-Politiker seine Konsequenzen gezogen. Der frühere HSV-Präsident und langjährige FDP-Bürgerschaftsabgeordnete Carl-Edgar Jarchow teilte dem Landesvorstand am Donnerstagabend seinen Rücktritt aus dem Gremium mit – und verband diesen mit deutlicher Kritik an der Parteiführung um den Bundestagsabgeordneten Michael Kruse.
„Mein Verständnis von der Arbeit eines Landesvorstandes unterscheidet sich grundlegend von der in diesem Gremium geübten Praxis“, schreibt Jarchow an den Landesvorstand seiner Partei. „Dies bezieht sich sowohl auf die Kommunikation des Präsidiums wie auch auf die fehlende Bereitschaft, im Diskurs strittige Themen zu erörtern und zu Lösungen zu kommen.“ Die Vorstandssitzung am Montag vergangener Woche habe dies für ihn „einmal mehr deutlich gemacht“, so Jarchow.
Jarchow rechnet mit FDP Hamburg ab
Noch deutlicher wird der 67-Jährige in einer Mail an die Mitglieder des FDP-Bezirks Altona, dessen Vorsitzender er ist. „Nach vielen Jahren in unterschiedlichen ehrenamtlichen Gremien entsprach die Arbeitsweise des amtierenden FDP Landesvorstands ganz und gar nicht meinen Vorstellungen und Erfahrungen“, schreibt Jarchow an die Altonaer Parteifreunde. „Ich erwarte, dass in einem Vorstand offen und auch kontrovers über Themen bzw. Probleme diskutiert wird und Lösungen gesucht werden.“
Dies sei etwa „hinsichtlich des nach wie vor ungelösten Konflikts mit den vier JuLis gegen die ein Schiedsgerichtsverfahren beschlossen wurde nicht möglich“, so Jarchow. „Ferner erwarte ich eine funktionierende Kommunikation innerhalb des Gremiums. Eine schlichte Nichtbeantwortung von Mails an das Präsidium, wie ich es in mehreren Fällen in den letzten Monaten erlebt habe, ist nicht akzeptabel. Die Behandlung wichtiger Themen (auch wichtiger Protokolle) zu verzögern und darauf zu setzen, dass sie sich durch Zeitablauf erledigen, entspricht nicht meiner Vorstellung von sinnvoller politischer Arbeit.“
Er werde sich daher auf die Arbeit als Bezirksvorsitzender der FDP Altona konzentrieren, schreibt der frühere Innenpolitiker, der bisher als Beisitzer im Landesvorstand saß.
FDP Hamburg: Warum Jarchow sauer ist
Hintergrund ist der Konflikt zwischen Kruse und seinen Mitstreitern im Parteipräsidium auf der einen und Vertretern der JuLis und anderen Kruse-Kritikern auf der anderen Seite. Ausgelöst wurde der Streit durch Kruses Ankündigung im März, gegen die von Senat und Bürgerschaft erlassene Hotspot-Regelung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie klagen zu wollen. Der frühere JuLi-Chef Carl Cevin-Key Coste hatte Kruses Vorstoß damals als „eine PR-Aktion und einer Rechtsstaatspartei unwürdig” bezeichnet.
Der Streit eskalierte und das Parteipräsidium um Kruse entzog Coste den Posten als rechtspolitischer Sprecher der Partei. JuLi-Vize Nils Knoben sprach im Laufe des Konflikts von einer „politischen Säuberung im Landesvorstand“ und dem Versuch, „junge Menschen bewusst mundtot“ zu machen – und witterte eine „inhaltliche Gleichschaltung” der Partei.
Die Parteiführung um Kruse und seine Stellvertreter Andreas Moring, Ria Schröder, Sonja Jacobsen und Katarina Blume reagierte scharf: Sie schob ein Schiedsgerichtsverfahren gegen vier JuLis mit dem Ziel des Parteiausschlusses an. Die betroffenen Jungliberalen nahmen sich darauf hin mit Gerhart Baum einen bundesweit prominenten FDP-Politiker als Anwalt.
Warum eskalierte der Streit im FDP-Vorstand?
Über die genauen Abläufe auch der entscheidenden Vorstandssitzung am Gründonnerstag herrscht allerdings offenbar keine Klarheit. Daher hatten Jarchow und andere nach Abendblatt-Informationen um die Vorlage des Sitzungsprotokolls gebeten. Dies seien aber von Kruse und seinen Vertrauten wochenlang nicht vorgelegt worden, hieß es. Als es angeblich nach erst fast zwei Monaten präsentiert wurde, ging es offenbar noch um angeblich nötige Änderungen am Protokoll der entscheidenden Sitzung, die allerdings bisher immer noch nicht vorgelegt worden sein sollen. Im Kern geht es also um die Frage, was im Vorstand genau vorgefallen ist und wer dabei was gefordert hat.
In der Öffentlichkeit hatte es wenig Verständnis für das harte Vorgehen der FDP-Chefs gegen einzelne Kruse-Kritiker gegeben. Im Vorstand allerdings sind Jarchow und die frühere Bürgerschaftsabgeordnete Rose Pauly mit ihrer Kritik an dem Vorgehen wohl isoliert. Das liege daran, dass die meisten Vorstandsmitglieder „auf Kruse-Ticket“ in den Vorstand gekommen seien, hieß es.
Dass die Hamburger FDP wieder einmal zutiefst zerstritten ist, zeigt sich auch am unterkühlten Verhältnis zwischen Kruse und der bis vor Kurzem einzigen FDP-Bürgerschaftsabgeordneten Anna von Treuenfels-Frowein. Obwohl sie in dieser Rolle eine für die Partei wichtige Figur auf der öffentlichen Bühne ist, sitzt von Treuenfels-Frowein nicht im FDP-Präsidium.
FDP: Jarchow wirft hin, Kruse unter Druck
Der Jarchow-Rücktritt bringt das Kruse-Lager nun in neue Schwierigkeiten. Denn der Versuch, das für die Partei und ihren selbstbewussten Chef unschöne Thema vergessen zu machen, dürfte damit vorerst gescheitert sein. Nicht nur weil mit Jarchow erstmals ein prominenter und verdienter Liberaler so deutlich öffentlich gegen Kruse Stellung bezieht und dessen Führungsstil Stellung kritisiert.
Sondern auch, weil die Parteiführung nun gezwungen sein könnte, einen gerade erst auf Mitte Dezember verschobenen Parteitag auf September vorzuziehen. In der Geschäftsordnung der Hamburger FDP heißt es nämlich: „Verwaiste Parteiämter sind innerhalb von drei Monaten durch Ersatzwahlen zu besetzen.“ Wenn die Lage sich nicht vorher beruhigt, könnte das ein sehr interessanter Parteitag werden – um es vorsichtig zu formulieren.