Bürgenstock. Eine Friedenskonferenz bringt nur kleine Fortschritte. Beim nächsten Mal soll Putin mit am Tisch sitzen – will er wirklich verhandeln?
Auf dem Flughafen von Zürich standen am Wochenende die Regierungsmaschinen dicht an dicht. Die Welt zu Gast in der Schweiz - beim Friedensgipfel für die Ukraine: „Über Monate war die Rede von Krieg, von Waffenlieferungen von militärischer Unterstützung“, sagte Gastgeberin Viola Amherd, Bundespräsidentin der Schweiz. „Nun haben wir über Frieden gesprochen.“ Zumindest derzeit dürfte Russlands Staatschef Wladimir Putin aber nicht zu Verhandlungen bereit sein. Die wichtigsten Ergebnisse – und wie es jetzt weiter geht.
Wer hat in der Schweiz beraten?
Nach monatelangen Vorbereitungen kamen Vertreter von 100 Staaten und internationalen Organisationen zu der Friedenskonferenz, darunter zahlreiche Staats- und Regierungschefs. Bei vier vorherigen Treffen war auf Expertenebene beraten worden. Allerdings war Russland in der Schweiz nicht dabei. Moskau hatte erklärt, kein Interesse an der Konferenz zu haben, und erhielt somit keine Einladung.
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War die Konferenz ein Erfolg?
Sie war ein Anfang. Seit Kriegsbeginn hatte es noch keine so prominent besetzte Friedenskonferenz gegeben. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte, es sei ein „großer Erfolg“, dass so viele Länder dem Ruf in die Schweiz gefolgt seien. Darunter waren wichtige Regionalmächte wie Brasilien, Indien, Südafrika oder Saudi-Arabien, die Russland neutral bis freundschaftlich gegenüberstehen. Aus Sicht der Europäer ist es unverzichtbar, diese Staaten einzubinden. Nach Angaben eines Insiders war die Ukraine mit dem Kreis der Teilnehmer sehr zufrieden. Die Konferenz habe zunächst einmal „das Terrain ausgelotet“, sagte der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt dieser Redaktion.
In der „westlichen Echokammer“ seien sich mit Blick auf den Krieg alle einig, sagte Österreichs Kanzler Karl Nehammer. Aber ohne Asien, Afrika und Südamerika könne Putin nicht zum Umdenken gebracht werden. Auf der Konferenz betonten Selenskyj, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und andere Redner, dass die gesamte Welt unter dem Krieg leide, da etwa ukrainische Getreideexporte ausblieben oder Energie teurer werde. So wollen sie nicht-europäische Staaten dazu bewegen, sich für den Friedensprozess einzusetzen.
Gerät Russland nun unter Druck?
Die große Anzahl der Teilnehmer dürfte Putin nicht gefallen. Allerdings blieb sein wichtigster Verbündeter China fern. Scholz war im April nach Peking geflogen, um für die Konferenz zu werben. Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva und der indische Ministerpräsident Narendra Modi schickten nur rangniedrige Vertreter, obwohl beide direkt zuvor noch persönlich beim G7-Gipfel in Italien gewesen waren. Noch sei ein weiter Weg zu gehen, sagte CDU-Außenpolitiker Hardt mit Blick auf solche Staaten. „Zu sehr überwiegt hier noch Abwarten und Taktieren im Blick auf Russland und vor allem auf China.“ Nur 80 Staaten unterzeichneten die Abschlusserklärung des Gipfels, unter anderen verweigerten Brasilien, Saudi-Arabien, Südafrika und Indien ihre Zustimmung.
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Auch US-Präsident Joe Biden reiste vom G7-Gipfel nicht weiter in die Schweiz, für ihn kam seine Stellvertreterin Kamala Harris. Auch das ist ein Zeichen dafür, dass die Aussichten auf Frieden aktuell trübe sind. „Damit Putin wirklich zu Verhandlungen bereit ist, müsste er militärisch unter Druck geraten“, sagte Militärexperte Nico Lange dieser Redaktion. „Das Schlachtfeld bestimmt die Politik, nicht die Politik das Schlachtfeld.“
Wie geht es weiter?
Der Konferenz in der Schweiz soll ein weiterer Friedensgipfel folgen. Dann solle auch Russland mit am Tisch sitzen. Allerdings liegen die Vorstellungen in der Ukraine und in Russland von einem Friedensschluss weit auseinander. Direkt vor dem Gipfel hatte Putin als Bedingung für ein Ende der Kämpfe von der Ukraine den vollständigen Verzicht auf die Gebiete Donezk, Luhansk, Cherson, Saporischschja und die Schwarzmeer-Halbinsel Krim gefordert. Das schließt Gebiete ein, die derzeit überhaupt nicht von Russland besetzt sind.
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Zu wichtigen Ereignissen versuche Putin regelmäßig, die öffentliche Debatte „zu verschmutzen“, analysierte Beobachter Lange. „Putin höchstpersönlich ist ein Akteur im Informationskrieg.“ US-Vizepräsidentin Harris kritisierte: „Er ruft nicht zu Verhandlungen auf, er ruft zur Kapitulation auf.“ Für die Ukraine sind Putins Bedingungen inakzeptabel.
Wo findet die nächste Konferenz statt?
Die nächste Konferenz müsse nicht nur „zum richtigen Zeitpunkt“, sondern auch „am richtigen Ort“ stattfinden, sagte Scholz. Verbündete der Ukraine wie Deutschland, die USA oder Frankreich fallen als Vermittler aus. Nach der traditionell neutralen Schweiz kommt für die Folgekonferenz nur ein Land infrage, das sich in dem Konflikt nicht an eine Seite gestellt hat. Genannt werden die Türkei und Saudi-Arabien als mögliche Gastgeber. Ort und Datum einer Nachfolgekonferenz blieben aber zunächst offen.
Wie nah ist der Frieden?
Ein Ende des Krieges ist derzeit nicht in Sicht. Die Konferenz in der Schweiz ist nur ein sehr kleiner Schritt Richtung Frieden gewesen. Es seien noch „enorme Anstrengungen“ erforderlich, sagte Scholz. „Wir sollten uns gemeinsam bemühen, einen Rahmen und einen Fahrplan für konkrete Schritte in diese Richtung zu finden.“ In Arbeitsgruppen und auf der Ebene von Unterhändlern soll die nächste Konferenz vorbereiten werden.
Wie soll Putin zum Verhandeln bewegt werden?
Deutschland und die Verbündeten der Ukraine wollen Putin mit ihrer anhaltenden militärischen, finanziellen und politischen Unterstützung für das Land zum Einhalten bringen. Die Versorgung der Ukraine mit wichtigen Waffen und Munition läuft allerdings zu langsam. Militärisch ist Putin in der Offensive, auch wenn er dafür große Verluste in Kauf nimmt. „Fortschritte auf dem Weg von Verhandlungen sind nur auf Augenhöhe zwischen Russland und der Ukraine denkbar. Dazu muss die Ukraine auch militärisch wieder die Oberhand gewinnen“, sagte CDU-Experte Hardt. „Erst wenn Putin eine Niederlage ernsthaft einkalkulieren muss, wird er von seinen anmaßenden Forderungen abgehen.“
Welche Taktik verfolgt Putin?
„Putin führt den Krieg weiter, weil er auf politische Veränderungen unter den Verbündeten der Ukraine spekuliert“, erwartet Lange. Vor der Wahl in den USA werde Russland nicht zu ernsthaften Gesprächen bereit sein. Im November finden die US-Präsidentschaftswahlen statt, gewinnt Donald Trump gegen Biden, könnten die USA als größter Unterstützer der Ukraine ausfallen. Zudem spekuliert Putin nach Einschätzung Langes darauf, dass der Zusammenhalt in Europa bröckelt. Staaten wie Frankreich oder Italien fehlt schlicht das Geld, um die Ukraine dauerhaft zu unterstützen. All dies bestärkt Putin in seiner Taktik auf Zeit zu spielen, anstatt über ein baldiges Ende des Krieges zu verhandeln.
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