Entwicklungsminister Niebel hat in ein Wespennest gestochen. Die hohen Getreidepreise stellen den Biosprit E10 in Frage. Doch eine Abkehr wäre kompliziert.
Berlin. Der Biosprit E10 legt zu an deutschen Tankstellen. Der Absatz klettert seit Monaten, wenn auch langsam. Der Anteil am Benzinabsatz stieg im Juli auf 14,3 Prozent, aber auch der Literpreis steuert mit durchschnittlich 1,66 Euro auf einen Rekord zu. Doch wie lange gibt es E10 überhaupt noch? Schon 2011 war der baldige Tod vorausgesagt worden, damals ging es um den Käuferstreik, weil Autofahrer um ihre Motoren fürchteten, wenn sie den Rübensprit tanken. Nun geht es um Grundsätzliches. Es kommt selten vor, dass Politiker von SPD und Grünen, Umwelt- und Verbraucherschützer dem Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) beipflichten.
Mit seiner Forderung nach einem sofortigen E10-Verkaufsstopp setzt Niebel auch den zuständigen Umweltminister Peter Altmaier (CDU) unter Druck. Die derzeit händeringend nach Profilierungsthemen suchende FDP hat eine Debatte ausgelöst, die wegen der globalen Dürrefolgen nicht so schnell abebben dürfte.
+++Zwischen Tank und Teller: Niebel will E10 aussetzen+++
Altmaiers Haus geht bisher trotz mehrfacher Nachfragen nicht näher auf Niebels E10-Forderung ein, es gibt nur ein allgemeines Bekenntnis zur Bioenergie, vor allem zur Biomasse für die Strom- und Wärmegewinnung in Biogasanlagen. Aber das verschärft das Problem zum Teil – in Ländern wie Niedersachsen drohe durch den Maisbedarf für Biomasse und Tierfutter eine „Vermaisung“ der Landschaft, heißt es.
Denn neben Biosprit und Biogas forciert der Futtermittelbedarf für den steigenden Fleischkonsum die Konkurrenz zur Produktion von Nahrungsmitteln. So gibt es neben der Tank/Teller- inzwischen auch eine Tank/Trog-Debatte. Ein Vehikel bei großen Biogasanlagen könnte ein Auslaufen der Förderung sein. Die Bürger subventionieren sie mit Milliardengeldern über den Strompreis. Altmaier hält die bereits mehr als 7100 Biogasanlagen für wichtig, weil sie grundlastfähig sind - sie können kontinuierlich Strom liefern und sind anders als Wind und Sonne nicht von den Launen des Wetters abhängig.
+++Hilfsorganisation lobt Niebels E10-Vorstoß+++
Doch zunächst steht vor allem E10 im Fokus. Das Problem: Wenn die Bundesregierung den Sprit wirklich kippen will, muss sie sich auf EU-Ebene für Alternativen einsetzen. Ein Einfrieren oder Senken der Bioquote müsste gemeinsam von den EU-Staaten vereinbart werden.
Rückblick in das Jahr 2007: Die EU einigte sich – nach Meinung vieler auf Druck der Autolobby – darauf, dass Ausstoß-Grenzwerte bei Neuwagen nur auf 130 Gramm Kohlendioxid je Kilometer gesenkt werden - und weitere zehn Gramm CO2 durch eine Erhöhung des Biokraftstoffanteils eingespart werden. Für 2012 gilt daher eine Bioquote von bereits 6,25 Prozent. Deutschland entschied sich dafür, per Beimischungsregelung die Quote zu erfüllen. Erst gab es problemlos E5, bevor 2011 das als „Ökoplörre“ verschmähte E10 kam.
„Dieser Lobbyversuch ist schon aus dem Grund zweifelhaft, weil wir heute wissen, dass durch Biosprit keine CO2-Emissionen eingespart werden“, sagt Thilo Bode, Geschäftsführer der Verbraucherorganisation Foodwatch. Umweltschützer meinen, dass durch die Umwandlung von Wald- und Wiesenflächen in Ackerland für den Energiepflanzenanbau im Boden gebundenes CO2 entweiche. Zudem sei die Herstellung von Ethanol wegen des Energiebedarfs CO2-intensiv. Die Biospritbranche bestreitet, dass es keinen Klimanutzen gebe.
Klar ist: Eine Umstellung bei Tankstellen und Raffinerien würde nicht von heute auf morgen gehen. Die Getreideengpässe wären durch ein E10-Aus kaum zu beheben. Aber zugleich wäre es ein Signal. Allein in den USA wandern 40 Prozent der Maisernte in den Tank. Hier spielen weniger Klimaschutzgründe eine Rolle, sondern unter anderem die Entlastung der US-Handelsbilanz durch weniger Ölimporte.
+++Greenpeace fordert sofortiges Aus für Biosprit E10+++
„Generell ist Biosprit ein Irrweg, sowohl in Deutschland als auch in den USA“, sagt Thilo Bode. Das sei eine Flächenkonkurrenz zum Nahrungsmittelanbau und treibe im Weltmaßstab die Preise nach oben. Die Biokraftstoffindustrie betont, das Benzin mit zehn Prozent Ethanol aus Getreide, Raps und Rüben verschärfe nicht Hungerkrisen, ein E10-Aus sei völlig wirkungslos. Nur vier Prozent der deutschen Getreideernte seien 2011 in die Ethanolproduktion gegangen.
Deutsche Mühlen müssen derzeit aber für Getreide so viel bezahlen wie noch nie in den vergangenen 25 Jahren. Brot und Brötchen dürften auch in Deutschland teurer werden. Greenpeace-Agrarexperte Martin Hofstetter sagt, die globalen Vorräte seien auf nur noch 100 Millionen Tonnen geschmolzen. „Weltweit werden aber inzwischen 150 Millionen Tonnen Getreide jährlich zu Ethanol verarbeitet.“ Ohne Ethanolerzeugung gäbe es daher keine globale Getreideknappheit.
Was aber wäre bis zum Durchbruch des E-Autos mittelfristig die Alternative? BUND-Chef Hubert Weiger betont: „Die Autoindustrie müsste sich stärker um Verbrauchsminderungen bemühen, der Umwelt wäre geholfen und die Konkurrenz zwischen Teller und Tank gemildert.“