Der kritische politsche Journalist Oleg Kaschin hat einen Mordanschlag in Moskau knapp überlebt. Der 30-Jährige liegt im Koma.
Moskau. Journalisten leben in Russland gefährlich, wenn sie kritisch berichten. Dies musste nun auch der kritische politische Journalist Oleg Kaschin am eigenen Leib spüren müssen. Der 30-Jährige erlitt schwerste Knochenbrüchen am Kiefer, Beinen und Fingern und überlebte einen Mordanschlag in Moskau nur knapp. Der Mitarbeiter der liberalen Tageszeitung „Kommersant“ ist das jüngste prominente Oper in einer langen Serie blutiger Verbrechen gegen Journalisten in Russland. Gegen Journalisten, die trotz Drohungen und Lebensgefahr mutig Demokratiedefizite in ihrem Land anprangern.
Der Mordversuch an Kaschin, der in einem Moskauer Krankenhaus im Koma liegt, erinnert an den Mord an der Kremlkritikerin Anna Politkowskaja, die 2006 in Moskau erschossen wurde. Genau wie in dem Fall der „Nowaja-Gaseta“-Journalistin, der weltweit in den Medien war, lauerten die Täter auch diesmal ihrem Opfer vor der Wohnung auf. „Die Verbrecher wussten genau, wen sie da überfallen“, teilte der „Kommersant“ mit. „Die Brutalität war demonstrativ.“
Menschenrechtler und andere Beobachter sind sich einig, dass wie so oft auch dieser Überfall vor allem dazu dienen sollte, ein Klima der Angst und Einschüchterung in Russland aufrechtzuerhalten. Wie so oft dürfte es vor allem darum gehen, Zivilcourage und Einmischung zu verhindern. Nach den vielen Morden in ihren eigenen Reihen gehen auch Menschenrechtler davon aus, dass das oft als autoritär kritisierte Russland genau solche Opfer brauche, um sich zu erhalten. Allein in diesem Jahr starben in Russland acht Journalisten durch Verbrechen. Mehr als 40 weitere Reporter wurden Opfer von Überfällen.
Auch Kaschin berichtet seit Jahren über undemokratische Zustände in seinem Land – etwa über die als radikal verschriene kremltreue Jugendorganisation Naschi (Die Unseren), die immer wieder mit umstrittenen Aktionen gegen unbequeme Reporter vorgeht. Auch wenn die Ermittler nach dem blutigen Angriff auf den Korrespondenten noch keinen Hinweis auf die Täter hatten, gehen sie doch klar von einem beruflichen Hintergrund aus. Menschenrechtler schlossen eine Verwicklung von Behörden nicht aus.
Kaschin hatte zuletzt über eine in Russland derzeit heiß diskutierte Umweltsünde geschrieben. Dabei geht es um den Eichenwald von Chimki bei Moskau, der einer Autobahn weichen soll.Waldschützer demonstrieren seit Monaten für den Erhalt der „grünen Lunge“. Ein Ende in dem Kleinkrieg ist aber nicht inSicht. Schon 2008 war der Chefredakteur der Zeitung „Chimkinskaja Prawda“, Michail Beketow, zum Invaliden geprügelt worden, weil er sich für den Wald eingesetzt hatte. Die Täter sind bis heute nicht gefasst.
Zwar hat Kremlchef Dmitri Medwedew wie bei anderen Fällen in Vergangenheit eine lückenlose Aufklärung und die Bestrafung der Täter gefordert. Doch befürchten Kaschins Kollegen, dass auch diesmal die Schuldigen unbehelligt bleiben. Es bestehe die Gefahr, dass solche gewaltsamen Methoden erneut triumphieren könnten, kommentierte der „Kommersant“: „Die Straffreiheit für die Täter wird immer neue Gewalt hervorbringen.“
Auch die Bundesregierung sieht in der neuen Bluttat eine weitere Bewährungsprobe für Medwedew. „Der vom russischen Präsidenten selbst beklagte Rechtsnihilismus zeigt sich hier in besonderer Weise“, kritisierte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in Berlin. Sie forderte den Kremlchef auf, den „feigen Überfall“ rasch aufklären zu lassen. Doch alle Hoffnungen richten sich nun erst einmal darauf, dass Kaschin überlebt – und als Zeuge aussagen kann.