Sie hat mit den ermordeten Menschenrechtsaktivisten Anna Politkowskaja und Stanislaw Markelow zusammengearbeitet. Jetzt wurde auch die prominente Aktivistin Natalja Estemirowa Opfer eines Gewaltverbrechens.
Moskau. Wenige Stunden nach einer Moskauer Pressekonferenz über Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien ist in der Kaukasusregion eine prominente Aktivistin ermordet worden. Ob es zwischen der Ermordung von Natalja Estemirowa und der Pressekonferenz einen direkten Zusammenhang gab, war am Mittwoch zunächst nicht bekannt. Estemirowa war aber eine der wichtigsten Mitarbeiterinnen der russischen Menschenrechtsorganisationen, die in Moskau den Bericht vorlegten.
„Sie hat die schrecklichsten Verstöße, Massenhinrichtungen, dokumentiert“, sagte Tatjana Lokschina von Human Rights Watch der Nachrichtenagentur AP in Moskau. „Sie war ein Schlüsselkontakt für ausländische Journalisten und internationale Organisationen. Sie hat Dinge getan, die sonst niemand zu tun wagte.“
Der Chef der Menschenrechtsgrupppe Memorial, Oleg Orlow, sagte der AP, Estemirowa sei am Mittwoch in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny von vier Männern in ein Auto gezerrt worden. Augenzeugen hätten gehört, dass Estemirowa gerufen habe, sie werde entführt. Ihre Leiche wurde in einem Straßengraben in Inguschetien, der Nachbarrepublik Tschetschenien, gefunden worden. Eine Sprecherin des inguschetischen Innenministeriums, Madina Chadsijewa, sagte, Estemirowas Leiche weise zwei Schusswunden am Kopf aus, die aus nächster Nähe zugefügt worden seien.
Die verschiedenen Menschenrechtsorganisationen legten in Moskau einen 600 Seiten starken Bericht vor, demzufolge in den tschetschenischen Kriegen 484 Menschen ohne Gerichtsverfahren erschossen und 465 weitere in Massakern an Kontrollposten umgebracht wurden. Es scheint der erste umfassende Versuch zu sein, Daten und Fakten über Gräueltaten beider Seiten vorzulegen und zu analysieren. Auf der Pressekonferenz forderten die Menschenrechtler, Ministerpräsident Wladimir Putin und andere führende russische Politiker vor einem internationalen Strafgericht anzuklagen. Putin war bereits 1999 Regierungschef. Das von ihm befohlene brutale Vorgehen der Streitkräfte im zweiten Tschetschenienkrieg gilt als ein Grund seiner großen Popularität in der russischen Bevölkerung während seiner achtjährigen Präsidentschaft.
Estemirowa, eine alleinerziehende Mutter Anfang 40, hat seit 1999 Daten über Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien gesammelt. Mehrere ihrer Kollegen und Kolleginnen, mit denen sie zusammenarbeitete, wurden seitdem getötet. Die Journalistin Anna Politkowskaja 2006 und der Anwalt Stanislaw Markelow im Januar. Die Menschenrechtsanwältin Karina Moskalenkos sagte, es habe wegen des am Mittwoch vorgelegten Berichts indirekte Drohungen gegeben. Man habe sie gefragt: „Warum wollt ihr diese Wunden offen legen?“