Ab 2011 werde der Arbeitgeberanteil eingefroren und der Arbeitnehmeranteil einkommensunabhängig berechnet.
Berlin. Nach zähem Ringen haben sich Union und FDP auf eine langfristige Neuordnung im Gesundheitssystem verständigt. Das teilten die Koalitions-Chefunterhändler für Gesundheit – Ursula von der Leyen (CDU) und Philipp Rösler (FDP) – am Freitag gemeinsam mit der CSU-Politikerin Barbara Stamm (CSU) in Berlin mit.
In dem neuen System sollen die gesetzlichen Krankenkassen wieder mehr Beitragsautonomie bekommen. Der Arbeitgeberanteil werde eingefroren und der Arbeitnehmeranteil einkommensunabhängig berechnet. Die neuen Strukturen sollen aber erst 2011 stehen. Bis dahin bleibt alles beim Alten. Opposition, Sozialverbände und einzelne Kassen reagierten empört. Wohlwollende Worte kamen dagegen von Ärzten und den Spitzenverbänden der gesetzlichen und privaten Versicherer.
Leyen sagte, die Beitragsautonomie bringe mehr Transparenz in das System. Die Kassen könnten über ihre Beiträge zeigen, wie sie wirtschaften. Für sozial Schwache soll es einen „Solidarausgleich“ über Steuermittel geben. Mit dem Einfrieren des Arbeitgeberanteils wollen Union und FDP verhindern, dass die Lohnzusatzkosten weiter steigen. Hinzu kämen „regionale Differenzierungsmöglichkeiten“ in dem neuen System. Nähere Details nannten die Verhandlungsführer von Union und FDP zunächst nicht. Eine Regierungskommission werde sich mit der Überführung des jetzigen Systems zu den neuen Strukturen befassen.
Leyen sagte, der einheitliche Beitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung bleibe vorerst bestehen, ebenso die Deckelung der Zusatzbeiträge. „Wir brauchen im Augenblick den Gesundheitsfonds“, sagte die CDU-Politikerin. Zwischen Union und FDP hatte es heftiges Gerangel um den Fonds gegeben. Die FDP wollte ihn komplett abschaffen, die Union hatte dies abgelehnt.
Der Fonds existiert erst seit Jahresbeginn. Seitdem zahlen alle gesetzlich Versicherten einen einheitlichen Beitragssatz. Dieser liegt derzeit bei 14,9 Prozent. Arbeitgeber und Arbeitnehmer zahlen je zur Hälfte in die Krankenversicherung ein. Einen Anteil von 0,9 Prozentpunkten tragen die Arbeitnehmer allein. Das Geld fließt zusammen mit einem Steuerzuschuss in den Fonds und wird von dort aus an die Kassen verteilt. Kommt ein Versicherer mit dem ihm zugewiesenen Geld nicht aus, kann er von seinen Mitgliedern einen Zusatzbeitrag erheben. Dieser darf ein Prozent des monatlichen Bruttoeinkommens jedoch nicht überschreiten.
Das erwartete Milliardenloch im Gesundheitsfonds wollen die künftigen Koalitionäre zum Teil über höhere Steuerzuschüsse füllen. 2010 fehlen den Kassen Schätzungen zufolge knapp 7,5 Milliarden Euro.
Die Opposition reagierte schockiert auf die Pläne. SPD, Linke und Grüne warfen den angehenden Koalitionären vor, die Lasten einseitig auf die Versicherten abzuwälzen und mit dem Solidarsystem in der Krankenversicherung zu brechen. Die Volkssolidarität und der Sozialverband VdK bezeichneten das Vorhaben als „unsozial“ und „unausgegoren“. Auch der Verband der Ersatzkassen rügte die zusätzliche Belastung der Versicherten. Die Barmer hielt Schwarz-Gelb „Mut- und Ideenlosigkeit“ vor.
Der Spitzenverband der gesetzlichen Kassen begrüßte dagegen die höheren Steuerzuschüsse für den Bund und größere Finanzautonomie für Versicherer. Der Verband der privaten Krankenversicherung sprach von einem „überfälligen Richtungswechsel“ hin zu mehr Wettbewerb. Die Bundesärztekammer sagte, der Entwurf biete die „Chance, eine neue Gesundheitskultur in Deutschland aufzubauen“ – mit mehr Freiheiten für Patienten wie auch für Mediziner.
Eine Übersicht über die grundlegende Neuordnung:
KRANKENKASSEN: Das bisherige System des Gesundheitsfonds mit dem Einheitsbeitrag von derzeit 14,9 Prozent bleibt zwar zunächst erhalten. Somit ist auch der allein von den Versicherten zu leistende Zusatzbeitrag weiter auf ein Prozent des beitragspflichtigen Einkommens begrenzt. Doch voraussichtlich ab 2011 wird es grundsätzliche Änderungen geben: Der Arbeitgeberanteil wird eingefroren, damit müssten Ausgabensteigerungen wohl alleine von den Arbeitnehmern getragen werden. Für die Versicherten wird es dann einen einkommensunabhängigen Beitrag geben, was dem umstrittenen Modell einer „Kopfpauschale“ nahe käme. Für Geringverdiener soll es einen sozialen Ausgleich geben, der durch Steuern finanziert würde.
PRAXISGEBÜHR: Die Praxisgebühr von zehn Euro, die die Versicherten seit 2004 pro Quartal für Arztbesuche zahlen müssen, soll durch eine neue Regelung ersetzt werden. Zeitungsberichten zufolge könnte es künftig zu einer geringeren Gebühr kommen, die dann aber bei jedem Arztbesuch fällig würde. Ziel der Praxisgebühr war es, das Kostenbewusstsein der Versicherten zu steigern und den Kassen vom Beitragssatz unabhängige Einnahmen zu sichern. Diese Steuerungswirkung, so kritisierten Gesundheitsexperten wiederholt, habe die Praxisgebühr aber verfehlt.
PRIVATE KRANKENVERSICHERUNG: Der Wechsel zu einer privaten Krankenkasse soll künftig wieder nach einmaligem Überschreiten der Versicherungspflichtgrenze möglich sein. Derzeit ist dies nur möglich, wenn das Einkommen mindestens drei Jahre lang diese Obergrenze überschreitet.
ELEKTRONISCHE GESUNDHEITSKARTE: Die umstrittene Gesundheitskarte, die die bisherige Krankenkassenkarte ablösen sollte, wird vorläufig gestoppt. Erst nach einer „Bestandsaufnahme“ der bisherigen Erfahrungen in den Testregionen soll entschieden werden, ob die Karte sinnvoll ist, heißt es im Entwurf des Koalitionsvertrages.
ÄRZTEHONORARE: Die umstrittene Honorarreform für niedergelassene Ärzte, die zum Jahresbeginn in Kraft trat und für heftige Proteste sorgte, soll korrigiert werden.
ÄRZTEMANGEL: Angesichts des drohenden Ärztemangels sollen die Anreize für niedergelassene Mediziner in unterversorgten Regionen verstärkt werden und Medizinstudenten gefördert werden.