Der liberale Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel pocht auf einen Stufentarif „spätestens bis Ende dieser Wahlperiode“.
Hamburg. Die FDP beharrt auf einer grundlegenden Reform des Steuersystems in dieser Wahlperiode. „Der Stufentarif wird kommen – möglichst 2011, spätestens bis Ende dieser Wahlperiode“, sagte Entwicklungsminister Dirk Niebel dem Hamburger Abendblatt. „Der Stufentarif steht im Koalitionsvertrag, und die FDP erwartet Vertragstreue. Wenn die Union jetzt nachverhandeln will, kann sie sich darauf einrichten, dass uns auch noch ein paar Punkte einfallen.“
Das Interview mit Bundesminister Dirk Niebel im Wortlaut.
Bei der bevorstehenden Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg müsse „deutlich gemacht werden, dass der Koalitionsvertrag in allen Facetten gültig ist – auch für CDU und CSU“, forderte der frühere FDP-Generalsekretär. Er fügte hinzu: „CDU und CSU sollten rasch begreifen, dass ihr Koalitionspartner nicht mehr SPD heißt.“ Niebel machte die Union zugleich für schwächere Umfragewerte der FDP verantwortlich. Wenn die Union „damit aufhört, die gemeinsamen Beschlüsse infrage zu stellen, werden die Zustimmungswerte für beide Partner stabil bleiben“, sagte er.
Zudem forderte Niebel eine rasche Abschaffung der Wehrpflicht. „Die FDP ist der festen Überzeugung, dass wir eine Freiwilligenarmee brauchen – gerade vor dem Hintergrund der Auslandseinsätze“, sagte Niebel. „Die Wehrpflicht sollte so schnell wie möglich abgeschafft werden. Die Verkürzung auf sechs Monate sehen wir als Einstieg in den Ausstieg.“
Der Zivildienst dürfe nicht als Begründung für den Wehrdienst herangezogen werden, fügte Niebel hinzu. Der FDP-Politiker verwies auf das Zivildienstgesetz, wonach „alle Tätigkeiten von Zivildienstleistenden arbeitsmarktneutral“ sein müssten. Doch bei manchen Organisationen „verhindern Zivildienstleistende, dass reguläre Arbeitsplätze entstehen“.
Der Entwicklungsminister forderte zugleich einen Strategiewechsel in Afghanistan. Dort solle „der Schwerpunkt auf der zivilen Entwicklung liegen – und nicht auf dem Einsatz militärischer Gewalt“, betonte er. „Es ist richtig, dass sich Deutschland verpflichtet hat, den Aufbau der Polizei federführend zu übernehmen. Ich bin davon überzeugt, dass wir uns auf solchen Feldern noch stärker engagieren könnten.“
Niebel verlangte: „Wir sollten prüfen, ob wir weitere Ausbilder nach Afghanistan entsenden können.“ In diesem Zusammenhang nannte er das Rechtssystem, das Bildungssystem und die Landwirtschaft. Ähnlich wie der Minister für Verteidigung, Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), verwendete Niebel das Wort Krieg, als er die Situation in Afghanistan beschrieb: „Nach dem Völkerrecht ist Krieg die bewaffnete Auseinandersetzung zwischen Staaten. Das trifft in Afghanistan nicht zu. Aber als Soldat würde ich das, was am Hindukusch vor sich geht, als Krieg empfinden.“
Mit Blick auf den Weltklimagipfel in Kopenhagen ließ Niebel durchblicken, dass er mit einem Scheitern des Treffens rechne. „Die Bundesregierung will den Erfolg. Aber es verstärken sich die Zweifel, ob das zeitlich noch möglich ist“, sagte Niebel in dem Interview. Ein politischer Beschluss über Eckpunkte eines Nachfolgeabkommens zu Kyoto wäre schon ein Erfolg, fügte er hinzu.
Niebel stellte den Entwicklungsländern finanzielle Unterstützung im Kampf gegen den Klimawandel in Aussicht. Deutschland werde „in den Jahren 2010 bis 2012 voraussichtlich bis zu 400 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich“ zur Verfügung stellen. Voraussetzung sei, dass „auch andere ihren Teil leisten“.
Der Minister kündigte an, die Entwicklungszusammenarbeit mit allen Schwellenländern auf den Prüfstand zu stellen – „also auch mit Indien, Brasilien, Mexiko und Südafrika“. „Wir werden uns jedes Projekt genau und unvoreingenommen anschauen.“ Zugleich verteidigte der FDP-Politiker das umstrittene Vorhaben, China die Entwicklungshilfe zu streichen. „Wir müssen davon wegkommen, dass China als drittgrößte Wirtschaftsmacht der Welt am finanziellen Tropf der Bundesrepublik Deutschland hängt“, sagte er. „Es geht aber nicht darum, mit dem Fallbeil alles zu kappen.“ Die technische Zusammenarbeit solle beendet werden, „ohne Entwicklungsruinen zu hinterlassen – alle laufenden Projekte werden zu Ende geführt“. Der Rechtsstaatsdialog solle auf lange Sicht beibehalten werden.
Der „Jamaika“-Koalition im Saarland schrieb der Minister keinen Modellcharakter zu. „Das ist eine saarländische Situation, die man nicht eins zu eins auf andere Bundesländer übertragen kann“, sagte er. „Und im Bund gibt es eine klare Mehrheit für Union und FDP.“