Der neue Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP) über die Verbindlichkeit des Koalitionsvertrags und seine wichtigsten Ziele.
Hamburger Abendblatt: Herr Niebel, Sie leiten ein Ministerium, das die FDP immer abschaffen wollte. Muss man sich Sorgen machen um Ihre politische Zukunft?
Dirk Niebel: Keineswegs. Die FDP wollte das Entwicklungsministerium in das Auswärtige Amt integrieren, damit in der deutschen Außenpolitik mit einer Stimme gesprochen wird. Das ist aber jetzt auch so gewährleistet, da Außenminister und Entwicklungsminister derselben Partei angehören.
Abendblatt: Sie bleiben quasi Generalsekretär von Guido Westerwelle?
Niebel: (lacht) Ich bin nicht Abteilungsleiter des Auswärtigen Amtes, sondern Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Guido Westerwelle und ich sind gleichwertige – ich sage ausdrücklich nicht: gleichgewichtige – Mitglieder des Bundeskabinetts. Unser gutes Verhältnis gewährleistet eine reibungslose Abstimmung.
Abendblatt: Entwicklungsminister – war das Ihr Ziel?
Niebel: Ich war mit Leib und Seele Generalsekretär und offensichtlich ganz erfolgreich. Aber ich freue mich natürlich, dass ich Regierungsverantwortung übernehmen kann. Ich glaube, dass dieses Haus eines der spannendsten überhaupt ist. Als besonders attraktiv empfinde ich, dass ich für keine Entscheidung die Zustimmung des Bundesrats brauche.
Abendblatt: Die erste Bewährungsprobe der neuen Bundesregierung wird der Weltklimagipfel in Kopenhagen sein. Glauben Sie an einen Erfolg?
Niebel: Die Bundesregierung will den Erfolg. Aber es verstärken sich die Zweifel, ob das zeitlich noch möglich ist. Auch ein politischer Beschluss über Eckpunkte eines Nachfolgeabkommens zu Kyoto wäre schon ein Erfolg.
Abendblatt: Das ist nicht viel.
Niebel: Die Eckpunkte sind entscheidend. Sie werden mit einem klaren Fahrplan zu einem neuen Klimaabkommen verbunden sein.
Abendblatt: Die ärmsten Länder sind vom Klimawandel am stärksten betroffen. Warum zögern die Europäer, konkrete Hilfen zuzusagen?
Niebel: Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union haben ihren Willen bekräftigt, Vorreiter zu sein im Kampf gegen den Klimawandel. Was die Hilfen für Entwicklungsländer angeht, sind wir auf einem guten Weg. Auf Deutschland werden in den Jahren 2010 bis 2012 voraussichtlich bis zu 400 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich zukommen – wenn auch andere ihren Teil leisten.
Abendblatt: Ihr Vorhaben, der aufstrebenden Wirtschaftsmacht China die Entwicklungshilfe zu streichen, ist auf scharfe Kritik gestoßen. Halten Sie daran fest?
Niebel: Wir müssen davon wegkommen, dass China als drittgrößte Wirtschaftsmacht der Welt am finanziellen Tropf der Bundesrepublik Deutschland hängt. Es geht aber nicht darum, mit dem Fallbeil alles zu kappen.
Abendblatt: Sondern?
Niebel: Die finanzielle Zusammenarbeit ist bereits von meiner Amtsvorgängerin eingestellt worden. Die technische Zusammenarbeit wollen wir beenden, ohne Entwicklungsruinen zu hinterlassen – alle laufenden Projekte werden zu Ende geführt. Auf lange Sicht beibehalten wollen wir selbstverständlich den Rechtsstaatsdialog.
Abendblatt: Was ist mit anderen Schwellenländern?
Niebel: Wir werden die Entwicklungszusammenarbeit mit allen Schwellenländern auf den Prüfstand stellen – also auch mit Indien, Brasilien, Mexiko und Südafrika. Wir werden uns jedes Projekt genau und unvoreingenommen anschauen.
Abendblatt: Deutschland hat sich verpflichtet, die Entwicklungsausgaben zu erhöhen – auf mindestens 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts…
Niebel: Wir stehen zu diesem ehrgeizigen Ziel, das wir bis 2015 erfüllen wollen. Ein Schwerpunkt unserer Anstrengungen wird der Klimaschutz sein.
Abendblatt: Welche Ressorts müssen sparen, um die geplanten Steuersenkungen zu finanzieren?
Niebel: Unser Kompass ist der Koalitionsvertrag, der im Kern für Wachstum steht. Wir werden ein modernes Steuersystem schaffen, das Bürgern und Betrieben mehr vom selbst verdienten Geld übrig lässt. Der Stufentarif wird kommen – möglichst 2011, spätestens bis Ende dieser Wahlperiode.
Abendblatt: Führende Unionspolitiker halten das für utopisch.
Niebel: Der Stufentarif steht im Koalitionsvertrag, und die FDP erwartet Vertragstreue. Wenn die Union jetzt nachverhandeln will, kann sie sich darauf einrichten, dass uns auch noch ein paar Punkte einfallen. Der schwarz-gelbe Koalitionsvertrag ist ein Gesamtkunstwerk. Er definiert eine neue Politik, mit der Deutschland aus der Krise geführt wird. CDU und CSU sollten rasch begreifen, dass ihr Koalitionspartner nicht mehr SPD heißt.
Abendblatt: Bundesverteidigungsminister zu Guttenberg sieht „kriegsähnliche Zustände“ in Afghanistan. Hat der Wiederaufbau, hat Entwicklungshilfe am Hindukusch noch eine Chance?
Niebel: Die Entwicklungszusammenarbeit trägt dazu bei, Kampfhandlungen zu verhindern…
Abendblatt: … von Krieg würden Sie nicht sprechen?
Niebel: Nach dem Völkerrecht ist Krieg die bewaffnete Auseinandersetzung zwischen Staaten. Das trifft in Afghanistan nicht zu. Aber als Soldat würde ich das, was am Hindukusch vor sich geht, als Krieg empfinden. Entscheidend ist für mich etwas anderes.
Abendblatt: Das wäre?
Niebel: In Afghanistan sollte der Schwerpunkt auf der zivilen Entwicklung liegen – und nicht auf dem Einsatz militärischer Gewalt. Es ist richtig, dass sich Deutschland verpflichtet hat, den Aufbau der Polizei federführend zu übernehmen. Ich bin davon überzeugt, dass wir uns auf solchen Feldern noch stärker engagieren könnten.
Abendblatt: Woran denken Sie?
Niebel: An das Rechtssystem, das Bildungssystem, die Landwirtschaft. Wir sollten prüfen, ob wir weitere Ausbilder nach Afghanistan entsenden können. Ein selbst tragendes Gemeinwesen ist die Voraussetzung dafür, dass Afghanistan in Zukunft ohne fremde Streitkräfte auskommt.
Abendblatt: Die FDP hat die Verkürzung des Wehrdiensts auf sechs Monate durchgesetzt – der erste Schritt zur Berufsarmee?
Niebel: Die FDP ist der festen Überzeugung, dass wir eine Freiwilligenarmee brauchen – gerade vor dem Hintergrund der Auslandseinsätze. Die Wehrpflicht sollte so schnell wie möglich abgeschafft werden. Die Verkürzung auf sechs Monate sehen wir als Einstieg in den Ausstieg.
Abendblatt: Sozial- und Wohlfahrtsverbände sind auf Zivildienstleistende angewiesen. Wie sollen sie sich behelfen?
Niebel: Ich wehre mich dagegen, dass der Ersatzdienst als Begründung für den Wehrdienst herangezogen wird. Wer in das Zivildienstgesetz schaut, wird feststellen, dass alle Tätigkeiten von Zivildienstleistenden arbeitsmarktneutral sein müssen. Im wirklichen Leben ist das nicht immer so. Bei manchen Organisationen verhindern Zivildienstleistende, dass reguläre Arbeitsplätze entstehen.
Abendblatt: Herr Niebel, braucht „Jamaika“ Entwicklungshilfe?
Niebel: (lacht) Die „Jamaika“-Koalition im Saarland braucht gewiss keine Entwicklungshilfe, denn Union, FDP und Grüne haben gute Vereinbarungen getroffen.
Abendblatt: Hat „Jamaika“ Modellcharakter?
Niebel: Das ist eine saarländische Situation, die man nicht eins zu eins auf andere Bundesländer übertragen kann. Und im Bund gibt es eine klare Mehrheit für Union und FDP.
Abendblatt: In einem Fünfparteiensystem können Sie darauf nicht bauen, das zeigen die jüngsten Umfragen: Die FDP ist in der Wählergunst abgestürzt…
Niebel: Zwei andere Umfragen zeigen das Gegenteil. Was die eine Umfrage angeht: Zwölf Prozent sind immer noch recht eindrucksvoll. Und wenn die Union damit aufhört, die gemeinsamen Beschlüsse infrage zu stellen, werden die Zustimmungswerte für beide Partner stabil bleiben. Wir haben gerade einen Koalitionspartner gefunden, mit dem wir große Schnittmengen haben. Wir sind nicht auf der Suche nach einem neuen.
Abendblatt: Kaum im Amt, trifft sich Schwarz-Gelb auf Schloss Meseberg zur Kabinettsklausur. Was versprechen Sie sich davon?
Niebel: Bei der Kabinettsklausur muss noch einmal deutlich gemacht werden, dass der Koalitionsvertrag in allen Facetten gültig ist – auch für CDU und CSU.
Abendblatt: Scheint ja eine anstrengende Veranstaltung zu werden.
Niebel: Wir sind gerade eine Woche im Amt. Da hilft es, wenn man sich besser kennenlernt.