Ob Kinofilme ansehen oder Musik tauschen – das Urheberrecht im Netz muss neu geregelt werden, sagt der Hamburger Medienrechts-Experte.
Hamburg. Urheberrecht ist auf den ersten Blick ein recht abstraktes Thema. Viele Internetnutzer kamen damit in den letzten Monaten allerdings sehr praktisch in Kontakt: Sie erhielten Schreiben von Anwaltskanzleien, in denen sie darauf hingewiesen werden, dass sie in Internet-Tauschbörsen Filme hochgeladen und Urheberrechte verletzt haben. Zur Vermeidung einer Verurteilung wurden sie aufgefordert, zum Teil über 1000 Euro pro Fall zu zahlen. Kostenpflichtige Abmahnungen sind grundsätzlich sinnvoll und fair, denn man spart gegenüber einer (berechtigten) Klage als Betroffener Geld, wenn man vorher auf den Rechtsverstoß hingewiesen wird. Unerfreulich ist es, wenn Kanzleien über die Gebühren hinaus pauschal Schadenersatz, der keineswegs immer berechtigt ist, einfordern. Nicht mehr nachvollziehbar wird es, wenn Rechteinhaber sich, statt sich um ein Vermarktungsmodell für ihre Inhalte zu bemühen, mit Kanzleien zusammentun und sich über Massenabmahnungen Einnahmen verschaffen.
Dies ist nicht die Regel. Aber die Zahl der Ersuchen an die Internetzugangsvermittler, die Daten von Kunden herauszugeben, um Verfahren zu starten, lag 2010 bei 300 000 pro Monat. Auch wenn die "Abmahnung" im Internetzeitalter ihre Berechtigung behält, sollte dem Missbrauch ein Riegel vorgeschoben werden. Das gehört zu den Themen, bei denen noch Einigkeit herrscht, wenn es um Urheberrecht im Internet geht. Für einige ist das Internet immer noch vor allem der Ort, wo ihr "geistiges Eigentum", ihre Musik oder ihre Filme, ungestraft geklaut werden können. Andere sehen vor allem das Potenzial für die Demokratie - wie man an den Befreiungsbewegungen in den arabischen Staaten sehen kann.
Diese Gegensätze standen sich auch gegenüber, als die vom Bundestag eingesetzte Enquetekommission "Internet und digitale Gesellschaft" kürzlich ihren Zwischenbericht zum Thema Urheberrecht ablieferte. Die Kommission hat die Aufgabe, Vorschläge für die weitere Entwicklung in vielen Rechtsbereichen zu machen. Sieht man vom politischen Geplänkel ab, ist der Befund erstaunlich: Experten und Parlamentarier sind sich weitgehend einig, dass es einer systematischen Reform des Urheberrechts bedarf.
Man wird sich darauf einstellen müssen, dass in vielen Bereichen des Netzes eine Verfolgung von illegaler Nutzung nicht möglich ist oder nur durch flächendeckende Erhebung personenbezogener Daten auch von Unbeteiligten. Dies kann man nicht ernsthaft wollen. Regelungen, bei denen Nutzer vom Netz abgeklemmt werden können, wenn sie Rechte verletzen, dürften kaum mit deutschen Grundrechten vereinbar sein. So wird zunehmend darüber nachgedacht, Systeme zu finden, bei denen pauschal für mögliche Nutzung gezahlt wird und die Erlöse den Rechteinhabern und letztlich (hoffentlich) den Künstlern zugutekommen.
Darüber hinaus gilt es, die Akzeptanz des Urheberrechts zu stärken. Freiheit im Internet kann sicher nicht heißen, dass alles umsonst zu haben ist. Wenn ich ein Buch schreibe und zum Lesen ins Netz stelle, möchte ich nicht, dass andere es übersetzen und die Übersetzung verkaufen, ohne mich zu fragen. Und so ist auch die Verwunderung der Musikwirtschaft gut zu verstehen, dass es bloß wegen der Möglichkeiten des Internets okay sein soll, ihre Musikstücke hin und her zu tauschen.
Wer in den Bekanntenkreis horcht, findet so manchen, der die Schließung von kino.to, einer Plattform, auf der illegal Filme zum Anschauen ins Netz gestellt wurden, bedauert. Gleichzeitig sehen die Betreiber von kino.to einem Verfahren wegen massiver Urheberrechtsverletzungen und gewerbsmäßigen Betrugs entgegen.
Hier sind die sozialen Normen für das Verhalten im Netz zum Teil noch unklar, aber sie sind enorm wichtig. Wenn man bestimmte Dinge einfach nicht tut, weil man sie für falsch hält, erübrigen sich Auskünfte bei Providern, Abmahnungen und Gerichtsverfahren. In allen Bereichen des Rechts setzen wir darauf, dass Menschen in der Regel auch danach handeln, ohne dass es der Kontrolle oder Sanktionen bedarf, weil das Verbotene auch als verboten akzeptiert wird. Hier hat das Leben im Netz womöglich noch Nachholbedarf - soziale Strukturen bilden sich halt nicht so schnell wie technische.
Der Autor Dr. Wolfgang Schulz, 47, ist Direktor des Hans-Bredow-Instituts für Medienforschung an der Universität Hamburg und Mitglied der Enquete-Kommission des Bundestages.