Private Ermittler sollen auch den Aids-Gerüchten nachgehen. In der Debatte um die Nachfolge des IWF-Chefs fallen auch zwei deutsche Namen.
New York/Paris. In der Affäre um den zurückgetretenen IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn sind weitere Details aufgetaucht, die den Beobachtern in der Politik, der Finanzwelt und beim breiten Publikum den Atem stocken lassen. Während die Nachfolge-Debatte begonnen hat, wird über eine mögliche HIV-Erkrankung des vermeintlichen Opfers von Strauss-Kahns mutmaßlicher Sexattacke spekuliert. Außerdem berichtet die Londoner „Times“ von einer Warnung des französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy an DSK. So habe Sarkozy den IWF-Chef Strauss-Kahn gewarnt, als DSK nach Washington ging. Wenn Strauss-Kahn den Internationalen Währungsfonds leite, müsse er sich vor Intrigen und Verschwörungen in Acht nehmen. Und, sagte Sarkozy unter Männern zu ihm: Strauss-Kahn müsse in Amerika die Hose verschlossen halten und dürfe sich nicht mit Praktikantinnen allein in einen Fahrstuhl begeben.
In seinem Rücktrittsschreiben weist Strauss-Kahn die Anschuldigungen gegen ihn erneut zurück. Der Schritt erfülle ihn mit „großer Traurigkeit“, er fühle sich aber zum Rücktritt veranlasst. Er denke dabei an seine Familie und wolle den IWF schützen. Seine Anwälte haben unterdessen einen zweiten Antrag gestellt, ihren Mandaten gegen Kaution aus dem Gefängnis zu entlassen. Zu dem Antrag war noch für diesen Donnerstag eine Anhörung vorgesehen. Der erste Antrag wurde von der Haftrichterin wegen Fluchtgefahr abgelehnt. Die Anwälte bieten wieder eine Million Dollar Kaution an, zudem soll Strauss-Kahn eine elektronische Fußfessel tragen. Der 62-Jährige soll im Haus seiner Tochter Camille untergebracht werden, die in New York studiert. Laut Gerichtsunterlagen händigte Strauss-Kahn bereits seinen Pass aus.
Unterdessen geht die Debatte über die Nachfolge Strauss-Kahns weiter. Europas Festhalten an dem Posten des IWF-Chefs betrachten nicht wenige der Entwicklungsländer als realitätsfremd. So ist China mittlerweile zur zweitgrößten Volkswirtschaft in der Welt aufgestiegen. Indien und Brasilien gehören zu den Top ten. Der IWF-Chef müsse aufgrund seiner Leistungen ausgesucht werden und nicht weil er Europäer ist, sagte der brasilianische Finanzminister Guido Mantega. Er fordert neue Kriterien für die Führung. „Man kann einen kompetenten Europäer haben, genauso gut kann man aber auch einen Vertreter aus einem sich entwickelnden Land haben, der ebenso kompetent ist.“ Ganz ähnlich argumentierte die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums, Jiang Yu. Die Leitung „sollte auf Fairness, Transparenz und Leistung beruhen“.
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EU-Kommissionschef José Manuel Barroso betonte hingegen den Anspruch der Europäer auf den IWF-Chefposten. Da die EU-Länder zusammengenommen die größten Beitragszahler für den IWF sind, sei es „nur natürlich, dass sich die Mitgliedstaaten jetzt auf einen starken und kompetenten Kandidaten verständigen“, erklärte Barroso. Die Nationalität spiele für den Nachfolger Strauss-Kahns keine Rolle, aber es solle ein Europäer sein. Als mögliche europäische Kandidaten sind die französische Finanzministerin Christine Lagarde, der frühere Bundesbankchef Axel Weber, der Leiter des Euro-Rettungsfonds EFSF, Klaus Regling, und der ehemalige SPD-Finanzminister Peer Steinbrück im Gespräch. Weitere Kandidaten wären der frühere türkische Finanzminister Kemal Dervis, Tharman Shanmugaratnam aus Singapur und der indische Ökonom Montek Singh Ahluwalia.
Derweil sucht eine wahre Armada von Detektiven im Privatleben des afro-amerikanischen Zimmermädchens nach Ansätzen, die die Verteidigung von Strauss-Kahn erleichtern könnte. Anwalt Ben Brafman wolle mit allen Mitteln versuchen, die Glaubwürdigkeit des mutmaßlichen Opfers in Zweifel zu ziehen, berichtete „Le Figaro“. Dabei gehe es unter anderem um die Frage, ob die junge Frau möglicherweise illegal in einer Sozialwohnung wohne. Das Boulevardblatt „The New York Post“ hatte spekuliert, dass sie möglicherweise Aids habe, da sie in einem Haus in der Bronx wohne, dessen Wohnungen ausschließlich für HIV-Infizierte bestimmt seien.
Tatsächlich würden die Appartements aber von verschiedenen Hilfswerken vermittelt, berichtete die Zeitung „Le Parisien“. Dazu zählten die Organisation „Harlem United“, die sich um HIV-Infizierte kümmere, und „Bridge“, die mit ehemaligen Drogenabhängigen arbeite. Der Mietvertrag laute nicht auf ihren Namen, berichtete „Le Parisien“. Die 32-Jährige wird derzeit von der Polizei beschützt. Ihr Aufenthaltsort ist unbekannt. Auf diese Weise sollen aufdringliche Journalisten ferngehalten werden – aber auch Personen, die sie bestechen könnten, um sie zu einer Änderung ihrer Aussage zu bewegen.
Das Zimmermädchen, dessen Name von manchen Medien genannt wird, aber von der Polizei nicht veröffentlicht wurde, hat sich nach Aussage eines Freundes von Kollegen drängen lassen, Klage einzureichen. „Sie muss sich geschämt haben, Opfer einer solchen Tat geworden zu sein“, sagte Mamadou Diallo, der ebenfalls aus Guinea stammt, dem „Parisien“. „Für sie und ihre Familie ist das eine schlimme Schande. Sie hätten es lieber gesehen, dass niemand davon erfährt. Aber ihre Kollegen haben sie überzeugt, Klage einzureichen“, sagte er.
Am Schicksal Dominique Strauss-Kahns wird den Franzosen zur Verblüffung vieler klar, dass zwischen ihrem und dem US-amerikanischen Rechtssystem und den Moralvorstellungen diesseits und jenseits des Atlantiks Welten liegen können. Umgekehrt staunen Amerikaner über so manche Reaktion in der Heimat des zurückgetretenen IWF-Chefs, der der versuchten Vergewaltigung eines Zimmermädchens verdächtigt wird.
Nicht jeder Tatbestand, der ihm in Zusammenhang damit vorgeworfen wird, kommt im französischen Strafrecht überhaupt vor. Spielte sich der Fall in Frankreich ab, säße Strauss-Kahn jetzt vermutlich nicht in einem berüchtigten Gefängnis unter verschärfter Beobachtung wegen Selbstmordgefahr. Und ihm drohten Experten zufolge möglicherweise drei bis fünf Jahre Haft, nicht aber Jahrzehnte wie in den USA. Dort wiederum zeigen sich viele überrascht darüber, dass in französischen Medien das mutmaßliche Opfer mit Namen genannt wurde. Das wäre für US-Journalisten bei Sexualstraftaten fast undenkbar. Auch die Behörden üben sich in Zurückhaltung: Damit ihre Identität nicht preisgegeben wird, fehlt der Name der Frau selbst in manchen Dokumenten der New Yorker Polizei.
Die Bilder des möglichen Präsidentschaftskandidaten Strauss-Kahn, wie er gebeugt und unrasiert, mit offenem Hemdkragen und mit Handschellen gefesselt im Blitzlichtgewitter zu Gericht geführt wird, verschlugen den Franzosen den Atem. „Das hätte es hier nicht gegeben“, hieß es unisono. Nicht in einem Land, in dem auch ein kleiner Dieb nicht in der Öffentlichkeit abgelichtet werden darf und TV-Übertragungen aus dem Gerichtssaal verboten sind. Nicht in einer Gesellschaft, die prominente Schürzenjäger nicht bloßzustellen pflegt. (dpa/dapd/rtr)