Der in New York in U-Haft sitzende Dominique Strauss-Kahn gilt laut einem Arzt als selbstmordgefährdet. Er wird 24 Stunden überwacht.
New York. Der wegen des Verdachts der versuchten Vergewaltigung festgenommene Chef des Internationalen Währungsfonds, Dominique Strauss-Kahn, steht in Untersuchungshaft unter strenger Beobachtung. Der 62-Jährige hat einen ganzen Flügel der Haftanstalt Rikers in New York für sich. Er wird rund um die Uhr bewacht, um sicherzustellen, dass er sich nicht das Leben nimmt.
Alle Häftlinge in Rikers werden bei ihrer Ankunft routinemäßig untersucht. Der Chef der Gewerkschaft der New Yorker Justizmitarbeiter, Norman Seabrook, erklärte am Dienstag, während dieser Untersuchung habe Strauss-Kahn etwas gesagt oder getan, was den Ärzten Anlass zur Sorge gegeben habe. Er werde daher Tag und Nacht überwacht. Ein Gewährsmann bei der Polizei bestätigte, dass Strauss-Kahn nach einer psychologischen Untersuchung besonders beobachtet werde. Er habe aber nicht versucht, sich selbst zu verletzten.
Strauss-Kahn wurde in einem Zellentrakt untergebracht, in dem normalerweise Gefangene mit ansteckenden Krankheiten inhaftiert sind. Justizsprecher Stephen Morello erklärte, der Flügel verfüge über 14 Zellen, von denen nur die Strauss-Kahns besetzt sei. Da er in Untersuchungshaft sitzt, muss er keine Gefängniskleidung tragen.
Die New Yorker Hotelangestellte, die Strauss-Kahn der versuchten Vergewaltigung bezichtigt, wusste nach Angaben ihres Anwalts nicht, mit wem sie es bei ihrem mutmaßlichen Angreifer zu tun hatte. Seine Mandantin habe vor dem Angriff auf sie nicht gewusst, welches Amt Strauss-Kahn innehabe, sagte Anwalt Jeffrey Shapiro am Dienstag. Auch die New Yorker Polizei sei zu dem Ergebnis gekommen, dass seine Mandantin die Wahrheit sage.
„Es gibt keine Möglichkeit, dass es einen Aspekt dieses Vorfalls gibt, der in irgendeiner Weise als einvernehmlich aufgefasst werden könnte“, sagte Shapiro. „Dies ist nichts anderes als ein körperlicher sexueller Angriff dieses Mannes auf diese junge Frau.“
Die 32-jährige Hotelangestellte beschuldigt den IWF-Chef, sich in seiner New Yorker Hotelsuite nackt auf sie gestürzt und zum Oralsex gezwungen zu haben. Bei dem mutmaßlichen Opfer handelt es sich nach Angaben Shapiros um eine Einwanderin aus dem westafrikanischen Staat Guinea und die Mutter einer 15-jährigen Tochter.
Zum ersten Mal äußerte sich auch ein Mitglied der US-Regierung zu dem Skandal. US-Finanzminister Timothy Geithner erklärte, Strauss-Kahn sei „offensichtlich nicht in der Lage“, den Internationalen Währungsfonds zu führen. Geithner erklärte am Dienstag, er könne sich nicht zu den Ermittlungen äußern. Allerdings sollte der IWF-Vorstand formell einen Direktor für die Übergangszeit ernennen. Bisher hat Strauss-Kahns Stellvertreter John Lipsky die Aufgaben des Chefs übernommen.
Eine frühere Geliebte von Strauss-Kahn warnte den Internationalen Währungsfonds vor drei Jahren in einem Brief vor dem Verhalten des IWF-Chefs gegenüber Frauen. Die Zeitung „New York Times“ veröffentlichte einen Auszug aus dem Brief, den die ehemaligen IWF-Mitarbeiterin Piroska Nagy schrieb, die 2008 eine Affäre mit Strauss-Kahn hatte. Darin erläuterte sie, Strauss-Kahn habe ihr aggressiv nachgestellt. Die Ungarin Nagy hatte nach Bekanntwerden der Affäre den IWF verlassen und eine Stelle bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung angetreten. (dapd/abendblatt.de)
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Manchmal, wenn das Team des IWF gegen das der Weltbank Fußball spielte, trug es T-Shirts mit der Aufschrift "Yes, we Kahn". Die Mitarbeiter des Internationalen Währungsfonds liefen für ihren beliebten Chef Reklame: Dominique Strauss-Kahn, 62. Die Aufschrift galt einem Hoffnungsträger, den die Franzosen nur "DSK" nennen. Einem, der sie durch die Turbulenzen einer globalisierten Welt führte. Der laut "Time"-Magazin zu den 100 mächtigsten Männern der Welt zählt und etwa zehnmal pro Jahr um den Globus fliegt. Jetzt sieht es jedoch so aus, als würde der noch amtierende IWF-Präsident, der nahezu sämtliche Staatschefs der Welt persönlich kennt und rund 30 000 Euro im Monat verdient, auf absehbare Zeit kein Flugzeug mehr besteigen.
Die Welt des Dominique Strauss-Kahn ist auf zwölf Quadratmeter zusammengeschrumpft. So viel misst die Einzelzelle in Rikers Island, angeblich einem der härtesten und größten Gefängnisse der USA. Um 23 Uhr geht hier für insgesamt 14 000 Gefangene gleichzeitig das Licht aus.
Vor vier Wochen wünschten sich noch 61 Prozent der Franzosen den Sozialisten Strauss-Kahn als nächsten Staatspräsidenten. Nur 39 Prozent stimmten für den Amtsinhaber Nicolas Sarkozy. Würde in diesen Tagen eine neue Umfrage veröffentlicht, könnte DSK das Ergebnis nicht empfangen. Fernsehen und Internet sind verboten, bloß eine Pritsche, eine Toilette, eine Dusche, ein Trinkbecher, Seife, Shampoo und Zahnpasta sind ihm geblieben.
Das Zimmer, das dem Leben des DSK eine radikale Wende gegeben hat, war ungleich komfortabler. Die Hotelsuite 2805/06 im New Yorker Sofitel kostete 3000 Dollar pro Nacht. Strauss-Kahn soll sie für 525 Dollar bekommen haben. Der Luxus-Linke, Spitzname "Kaviar-Sozialist", jedoch mit einer selbst bei seinen Gegnern anerkannten Wirtschaftskompetenz gesegnet, genoss als IWF-Chef zahlreiche Vergünstigungen. So wurde ihm auch immer in einer Air-France-Maschine ein First-Class-Platz frei gehalten.
Genutzt hat das dem weißhaarigen Charmeur am Ende auch nichts mehr, als ihn die US-Ermittler nur Minuten vor dem Abflug nach Paris aus dem Flieger holten.
Ein 32-jähriges Zimmermädchen aus Guinea hatte den Ermittlern erzählt, was der ältere Franzose ihm gegen zwölf Uhr mittags angetan haben soll. Laut Anklageschrift griff er dem Opfer ohne Einwilligung an die Brust, versuchte die Strumpfhose herunterzuziehen, griff ihm in den Schritt. "Sein Penis hatte gewaltsam zweimal Kontakt mit dem Mund des Opfers." Außerdem soll er die Zimmertüren zugeschlagen haben, um die Frau an der Flucht zu hindern. So kommt zur "sexuellen Belästigung" ersten Grades, was bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 25 Jahren führen kann, noch der Vorwurf der Freiheitsberaubung.
Ein Antrag auf Freilassung gegen eine Kaution von einer Million Dollar war von der Haftrichterin Melissa Jackson wegen Fluchtgefahr abgelehnt worden. Die Staatsanwaltschaft hatte bei der ersten Anhörung den Fall Strauss-Kahn noch mit dem Roman Polanskis verglichen, der sich im Jahr 1978 mit seiner Flucht nach Frankreich einem zu erwartenden harten Urteil wegen "außerehelichen Geschlechtsverkehrs mit einer Minderjährigen" entzogen hatte. Der Staatsanwalt verlas weitere Details: Danach habe Strauss-Kahn an dem Opfer sexuelle Handlungen "unter Zwang" vorgenommen mit der Absicht, "es zu demütigen und eigene Triebe zu befriedigen". Der Ankläger argumentierte darüber hinaus damit, Strauss-Kahn sei wohlhabend und habe keinen festen Wohnsitz in New York. Er habe also jeden Anreiz auszureisen, und keinen Anlass zu bleiben.
Die - angebliche - Flucht aus dem Hotel stellt sich nach den bisherigen Ermittlungen laut US-Behörden so dar: Der IWF-Chef hatte Manhattan verlassen, bevor die Polizei eintraf. Dabei ließ er eines seiner vier Mobiltelefone zurück. Auf Überwachungsaufnahmen wirkte er gehetzt. DSK hatte das Hotel dann "in Panik" wegen seines Handys angerufen. Das Hotelpersonal war inzwischen von den Polizeibeamten angewiesen worden, ihm eine Falle zu stellen: Sie sollten behaupten, das Handy gefunden zu haben, und ihn fragen, wo sie ihn treffen könnten. Strauss-Kahn habe daraufhin geantwortet, er sei am Flughafen. Dort, an Bord des Air-France-Fluges AF 023, erfolgte wenig später die Festnahme.
Nach einem Bericht der Pariser Zeitung "Le Monde" hatte DSK noch auf dem Weg zur Maschine seine Frau Anne Sinclair angerufen und von einem "schweren Problem" gesprochen. Da hatte er nicht übertrieben: War die politische Elite der "Grande Nation" im ersten Moment des Schocks noch der fast einhelligen Meinung, es könne sich nur um eine Verschwörung handeln, so verdichteten sich beinahe im Stundentakt die Hinweise auf eine Straftat. Eine Internetseite, die von einem Ex-Berater Sarkozys betrieben wird, veröffentlichte inzwischen Protokolle der New Yorker Polizei. Aus ihnen geht hervor, dass Strauss-Kahn Kratzer und Spermaspuren am Oberkörper aufweise.
Für DSK, der einen sexuellen Kontakt bis dahin vehement abgestritten hatte - dem in der Heimat die politischen und moralischen Unterstützer jedoch bereits in Scharen davonliefen, ihm den Rücktritt von seinen Ämtern empfahlen und sich bereits auf die Suche nach einem neuen Präsidentschaftskandidaten machten -, wurde es allerhöchste Zeit, einen Anwalt anzurufen. Er kontaktierte einen der profiliertesten Strafverteidiger der USA, Benjamin Brafman, 62 Jahre alt. Der Anwalt bot dem Gericht eine Kaution in Höhe von einer Million Dollar an. Wenige Stunden später flog Anne Sinclair mit einem Geldkoffer aus Paris nach New York - allerdings vergeblich.
Auch der plötzliche Strategiewechsel gestern blieb ohne Wirkung - und DSK im Gefängnis. Er hat nach übereinstimmenden Medienberichten "sexuelle Handlungen" eingeräumt, die jedoch in "gegenseitigem Einverständnis" erfolgt sein sollen. Der bekannte New Yorker Strafverteidiger Evan Barr hat in der Zeitung "Le Figaro" genau dieses Szenario beschrieben - eine "Fehlinterpretation der Frau": "Er hat eine Charme-Nummer abgezogen, und sie hat ihn falsch verstanden, könnte es im Plädoyer heißen", sagte Barr.
Über DSK und seine peinlichen und aufdringlichen Verführungsversuche wurde in Frankreich schon lange getuschelt - einem Land, in dem die Liebesaffären der Mächtigen kaum Aufsehen erregen. Auch Präsident François Mitterrand führte jahrelang ein Doppelleben mit seiner Geliebten und der gemeinsamen Tochter.
Doch die Schürzenjägerei des IWF-Chefs, die ihm bisher von seiner Frau, der Starjournalistin und Millionenerbin Anne Sinclair, 61 Jahre alt, öffentlich verziehen wurde, entwickelte sich selbst im Affärenparadies zunehmend zu einem Problem, das DSK sogar selbst erkannt hatte: Er habe drei wunde Punkte, sagte er in einem Interview, die ihm einen Erfolg bei der Präsidentschaftswahl 2012 erschweren könnten, "seinen Reichtum, sein Judentum und die Frauen". Sogleich aber fügte er beschwichtigend hinzu: "Ich liebe Frauen, na und?"
Nicht wenige seiner politischen Weggefährten befürchteten, er könne eines Tages zu weit gehen. Zu ihnen gehört unter anderem seine Parteifreundin Aurélie Filipetti, die 2008 der Schweizer Zeitung "Le Temps" gestand: "Ich habe alles getan, um nicht allein mit ihm in einem geschlossenen Raum zu sein." Piroska Nagy, die schöne ungarische IWF-Mitarbeiterin, äußerte sich nach ihrer bekannt gewordenen Affäre schriftlich: "Ich wollte nicht auf seine Avancen eingehen, aber ich hatte keine Wahl (...) Ich fürchte, dieser Mann ist unfähig, in einer Organisation zusammen mit Frauen zu arbeiten."
Die Vorverurteilung ist damit bereits offensichtlich abgeschlossen - aus dem charmanten "French Lover" Dominique Strauss-Kahn ist plötzlich ein "dragueur malade" geworden, ein krankhafter Aufreißer. (Von Jan Haarmeyer und Alexander Schuller)