Die AU-Delegation fordert die sofortige Einstellung sämtlicher Kampfhandlungen zwischen Gaddafis Truppen und den Aufständischen.
MisrataBerlin/Tripolis. Nach eigenen Angaben haben libysche Regierungstruppen zwei Militärhubschrauber der Aufständischen abgeschossen. Die Hubschrauber vom Typ Chinook seien im Osten des Landes in der Nähe der Ölanlagen von Brega abgeschossen worden, berichtete Außenminister Chaled Kaim am Sonntag. Bei Kämpfen zwischen den Truppen von Machthaber Muammar al-Gaddafi und den libyschen Rebellen um die Kontrolle der strategisch wichtigen Stadt Adschadibja kamen am Sonnabend nach Krankenhausangaben mindestens elf Menschen ums Leben. Kaim kritisierte, dass die internationale Gemeinschaft trotz der Flugverbotszone über Libyen den Rebellen die Nutzung von Hubschraubern offenbar gestatte. „Das ist eine klare Verletzung der UN-Resolution 1973 über die Flugverbotszone durch die Rebellen“, sagte er. „Wir haben eine Frage an die alliierten Streitkräfte: Ist diese Resolution nur für die libysche Regierung gemacht oder für alle in Libyen?“
Die Aufständischen bestätigten den Bericht über den Abschuss zunächst nicht. Journalisten berichteten am Sonnabend von mindestens einem Hubschrauber der Aufständischen in der Region. Allerdings habe er nicht wie ein in den USA hergestellter Helikopter des Typs Chinook ausgesehen, sondern wie ein russisches Modell. Die meisten der von Libyern genutzten Luftfahrzeuge stammen aus Russland.
Während der Großteil der Luftwaffe unter der Kontrolle der Regierungstruppen steht, verfügen die Rebellen über einige Flugzeuge und Hubschrauber, die ihnen von Überläufern zur Verfügung gestellt wurden. Die Nato teilte unterdessen mit, sie setze das Flugverbot über Libyen gegen beide Konfliktparteien durch. Am Sonnabend sei ein Kampfflugzeug der Aufständischen vom Typ MiG-23 abgefangen und zu einem Flughafen eskortiert worden, teilte das Militärbündnis mit.
Bei Nato-Luftangriffen auf die Streitkräfte Gaddafis seien 17 Panzer zerstört und neun weitere beschädigt worden, teilte die Allianz am Sonnabend mit. Die Rebellen hatten der Nato vorgeworfen, sie nicht ausreichend in der Kampfzone zu unterstützen, während die Regierungstruppen weiterhin nach Osten vorrücken.
Kampf um Kontrolle über Adschdabija
Die Truppen Gaddafis und die libyschen Aufständischen lieferten sich am Sonnabend Kämpfe um die Kontrolle über die strategisch wichtige Stadt Adschdabija. Es war der größte Vorstoß der Regierungstruppen auf von der Opposition eingenommenes Territorium seit Beginn der internationalen Luftangriffe. Bei den Kämpfen wurden nach Krankenhausangaben mindestens elf Menschen getötet.
Die Regierungstruppen hatten zunächst mit kleineren Kampfeinheiten einen Konvoi der Oppositionellen außerhalb der Stadt angegriffen. Die Soldaten beschossen die Stellungen der Aufständischen mit schwerer Artillerie. Diese erwiderten das Feuer, wurden jedoch zum Rückzug gezwungen. Anschließend rückten Regierungstruppen in Zivilfahrzeugen nach Adschdabija vor. Die Guerilla-Taktik der Regierungstruppen zeigten, wie schnell Gaddafis Soldaten sich auf die neue Situation nach Beginn der internationalen Luftangriffe eingestellt haben. Die neue Militärstrategie – der Verzicht auf Panzer, der Einsatz von kleineren Kampfeinheiten und von Zivilfahrzeugen – macht sie weniger verwundbar durch Luftangriffe.
Ein mutmaßlicher Nato-Luftangriff setzte dem Artilleriegefecht zunächst ein Ende. Ein Kampfhubschrauber, vermutlich von Aufständischen aus Richtung der Rebellenhochburg Bengasi kommend, kreiste während der Auseinandersetzung über der Stadt.
Bei Einbruch der Dunkelheit gingen die Kämpfe in der Stadt weiter. Ein Augenzeuge berichtete, die Hauptstraße der Stadt sei umkämpft. Ein Aufständischer erklärte, die Gaddafi-Truppen breiteten sich in der Stadt aus. Sie hätten Maschinengewehre und Granatwerfer. Die meisten der 150.000 Einwohner der Stadt sind bereits geflüchtet.
Sollten Gaddafis Truppen Adschdabija wieder unter ihre Kontrolle bringen, könnten sie die Stadt als Stützpunkt nutzen, um Bengasi, rund 160 Kilometer weiter östlich, anzugreifen.
Aufständische vermelden Erfolge in Brega
Die Aufständischen hatten noch am Sonnabendmorgen Erfolge in der 65 Kilometer westlich von Adschdabija gelegenen Stadt Brega vermeldet. Dabei stießen sie bis zur Universität der Stadt vor. Dort nahmen sie nach eigenen Angaben zwei Regierungssoldaten gefangen. Brega stand seit Beginn des Aufstands abwechselnd unter Kontrolle der Rebellen und der Regierung. Der Hafen und die Öllager haben für beide Seiten strategische Bedeutung.
In Westlibyen erreichte nach Angaben des Roten Kreuzes ein Schiff der Organisation mit Hilfslieferungen die umkämpfte Stadt Misrata. Unterdessen zeigte sich Gaddafi erstmals seit Wochen wieder in der Öffentlichkeit. In der Hauptstadt Tripolis besuchte er eine Schule. Die Kinder sprangen auf die Tische und riefen: „Das Volk will Muammar, den Führer!“ Gaddafi, der eine schwarze Sonnenbrille, einen braunen Turban und eine Robe trug, gab keine öffentliche Stellungnahme ab, wie das Staatsfernsehen berichtete. Seit Beginn der Nato-Luftangriffe hielt sich Gaddafi meist versteckt. Beim Staatsfernsehen hatte er sich nur telefonisch gemeldet, Aufnahmen gab es keine.
Die Afrikanische Union (AU) kündigte an, im Libyen-Konflikt vermitteln zu wollen. Eine Ministeriumssprecherin sagte am Sonnabend, die AU-Delegation wolle Gaddafi sowie Regierungsgegner treffen und beide Parteien an einen Tisch bringen.
Die hochrangige Vermittlergruppe der Afrikanischen Union hat am Sonntag die sofortige Einstellung aller Kampfhandlungen in Libyen gefordert. Die Waffenruhe sollte eine „Übergangsperiode“ für politische Reformen einleiten, hieß es in einer Erklärung, die die Präsidenten Südafrikas, der Demokratischen Republik Kongo, Malis, Mauretaniens und Ugandas bei einem Treffen in der mauretanischen Hauptstadt Nouakchott formulierten.
Die Delegation unter Führung des südafrikanischen Präsidenten Jacob Zuma wollte am Sonntag nach Tripolis und am Montag nach Bengasi reisen. In der libyschen Hauptstadt war auch ein Treffen mit dem libyschen Machthaber Muammar al-Gaddafi geplant. In Bengasi wollte die Delegation mit Vertretern des Übergangsrates, der provisorischen Regierung der Regimegegner, sprechen.
Die panafrikanische Organisation hatte sich zuletzt wiederholt für eine Verhandlungslösung in Libyen stark gemacht. Sie unterstützt nicht die Forderung der libyschen Aufständischen und des Westens, dass Gaddafi die Macht abgeben und mit seiner Familie das Land verlassen müsse.
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Deutsche Soldaten im Einsatz gegen Gaddafi?
Sind Bundeswehr-Soldaten demnächst in Libyen im Einsatz? Um den Hilfseinsatz militärisch abzusichern, hält die Bundesregierung auch Bodeneinsätze deutscher Soldaten in libyschen Städten für möglich. Für den Fall einer deutschen Teilnahme sei „es doch ganz klar, dass man dann den Fuß auf libyschen Boden setzen würde“, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums am Freitag. Er hob aber hervor, dies sei alles bislang sehr spekulativ, zumal noch gar keine Uno-Anfrage für einen derartigen Einsatz vorliegt.
„Die Initiative muss von der Uno ausgehen“, sagte auch Regierungssprecher Steffen Seibert. Er bekräftigte, wenn eine Anfrage zur militärischen Sicherung eines Hilfseinsatzes von der Uno an die EU gestellt werde, habe die Bundesregierung ja bereits ihre grundsätzliche Bereitschaft erklärt, „der deutschen Verantwortung gerecht zu werden“. Ob das Mandat für einen solchen Einsatz am kommenden Mittwoch Thema im Kabinett sein wird, ist laut Seibert noch offen. Ein Sprecher des Auswärtigen Amts wies aber erneut darauf hin, eine deutsche Beteiligung an Kampfeinsätzen in Libyen sei nicht vorgesehen.
Die Bundesregierung will 100 nordafrikanische Flüchtlinge aufnehmen, die sich derzeit auf der Mittelmeerinsel Malta aufhalten. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hat dazu am Freitag Kontakt mit den Innenministern der Länder aufgenommen, wie das Ministerium in Berlin mitteilte. Details würden auch noch mit Malta abgestimmt. Friedrich bezeichnete die Hilfe als Akt der Solidarität mit dem EU-Land Malta, das durch seine Lage besonders von den Flüchtlingsströmen aus Nordafrika über das Mittelmeer betroffen sei. Bereits im Oktober 2010 hatte Deutschland 100 afrikanische Flüchtlinge aus Malta aufgenommen.
Der CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl lehnt das Vorhaben Italiens strikt ab, tunesische Flüchtlinge nach Deutschland und Frankreich weiterreisen zu lassen. Damit würde Italien gegen geltendes EU-Recht verstoßen, sagte Uhl der Nachrichtenagentur dpa. Sollte Italien die Pläne umsetzen, müsse Deutschland dafür eintreten, dass Österreich und Frankreich die gemeinsamen Grenzen nach Italien wieder kontrollierten. So müsse verhindert werden, dass Flüchtlinge auf dem Landweg nach Deutschland kämen. Italien hatte angesichts des Flüchtlingsstroms aus Nordafrika mitgeteilt, alle bisher eingetroffenen Flüchtlinge erhielten eine begrenzte Aufenthaltsgenehmigung. Die EU-Kommission machte bereits klar, dass die Flüchtlinge auch mit einer vorläufigen italienischen Aufenthaltserlaubnis nicht weiterreisen dürfen.
Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen tut derzeit alles, um die Lage der Flüchtlinge an der tunesisch-libyschen Grenze zu lindern. Die UNHCR-Botschafterin Angelina Jolie besuchte die Flüchtlinge und versuchte durch ihre Bekanntheit auf deren Schicksal aufmerksam zu machen. Hollywood-Star Jolie sagte, sie wolle die Menschen ermutigen, für die Opfer der Libyen-Krise zu spenden. In der libyschen Stadt Misrata haben Scharfschützen nach Uno-Angaben auf Kinder geschossen. Die Sprecherin des Kinderhilfswerks Unicef, Marixie Mercado, erklärte in Genf, entsprechende Berichte lägen vor. Sie konnte nicht sagen, wie viele Kinder von Scharfschützen in der drittgrößten libyschen Stadt verletzt oder getötet wurden. Die Uno hatte bereits zuvor erklärt, in der von Regimegegnern gehaltenen Stadt Misrata seien Hunderte Menschen verletzt oder getötet worden. Den Bewohnern gingen Wasser, Lebensmittel und Medikamente aus.
Auch knapp zwei Monate nach Beginn des Aufstandes gegen Machthaber Muammar al-Gaddafi fehlt den libyschen Rebellen ein charismatischer Kopf, der weltweit für ihre Sache steht. Während Erhebungen in Kuba in den 50er-Jahren untrennbar mit Fidel Castro und Che Guevara oder auf den Philippinen in 80ern mit Corazon Aquino verbunden sind, kennt kaum jemand die Anführer der Revolte gegen Gaddafi. Die revolutionäre Bewegung hat zwei Gremien an ihre Spitze gesetzt: Den nationalen Übergangsrat unter Mustafa Abdel Dschalil und den Krisen-Stab unter Mahmud Dschibril. Beide haben kaum Erfahrung im Umgang mit Medien. Dschibril wirkt zurückhaltend und höflich. Er wird kaum genannt, wenn man unter den Rebellen nach den führenden Männern fragt. Ein Problem scheint das nicht zu sein. „Uns führt keiner. Diese Revolution geht vom Volk aus“, sagt etwa der Student Halin al-Enesi bei einer Kundgebung in Bengasi.
Die Nato-Staaten, die die Rebellen mit Luftangriffen unterstützen, versuchen sich selbst ein Bild über die führenden Persönlichkeiten zu machen. Erst jüngst konferierte der US-Abgesandte Chris Stevens mit Vertretern des Rebellenrates. Aus westlicher Sicht sind Fragen bei den jetzigen Spitzen der Rebellen durchaus angebracht. Sowohl Mustafa Abdel Dschalil als auch Mahmud Dschibril gehörten lange Zeit zu den Stützen der Regierung Gaddafis. (dpa/dapd/AFP/rtr)