Etwa 70 Prozent der Bevölkerung seien vom Leitungsnetz abhängig, das wären 4,5 Millionen Menschen. Das Netz ist rund 4000 Kilometer lang.
Tripolis. Die libysche Führung hat die Nato vor der Zerstörung der Wasserversorgung in dem nordafrikanischen Land gewarnt. Es werde eine „humanitäre Katastrophe“ geben, sollte bei einem Luftangriff das immense System von Trinkwasserleitungen des Landes beschädigt werden, sagte der Chef des Projekts „Großer künstlicher Fluss“, Abdelmadschid Gahud, am Sonntag vor Journalisten in der Leitzentrale der nationalen Wasserversorgung südlich der Hauptstadt Tripolis. Das System fördert Grundwasser aus den Tiefen der libyschen Wüste an die Erdoberfläche und transportiert es vor allem in die an der Mittelmeerküste gelegenen Städte des Landes weiter.
Nach Angaben Gahuds verlaufen in der heftig umkämpften Region zwischen der Rebellenhochburg Bengasi im Osten des Landes und der weiter westlich gelegenen Stadt Sirte auf einer Länge von etwa 400 Kilometern drei unterirdische Leitungen für Gas, Öl und Trinkwasser. „Wenn eine dieser Pipelines beschädigt wird, werden die anderen in Mitleidenschaft gezogen“, sagte Gahud. Sollte die Wasserversorgung zusammenbrechen, seien davon rund 4,5 Millionen Menschen betroffen. Das Land hatte zu Beginn der 1980er Jahre mit dem Bau seines 33 Milliarden Dollar (gut 23 Milliarden Euro) teuren Leitungssystems begonnen. Das rund 4000 Kilometer lange Netz versorgt etwa 70 Prozent der Bevölkerung.
Libyens Machthaber Muammar al-Gaddafi setzt unterdessen weiter auf Gewalt gegen das eigene Volk. Seine Truppen haben am Sonntag die Angriffe auf die Städte Misurata und Al-Sintan fortgesetzt. Bewohner beschrieben die Lage als dramatisch und verzweifelt. In Misurata, 210 Kilometer östlich von Tripolis, trafen Granaten ein Krankenhaus. Mehrere Freiwillige wurden verletzt, berichtete die Oppositionsgruppe "Feb17voices“ über den Kurzmitteilungsdienst Twitter. In der drittgrößten Stadt des Landes herrsche ein Mangel an medizinischem Bedarf, hieß es weiter.
In Al-Sintan, 120 Kilometer südwestlich von Tripolis, habe der Artillerie-Beschuss durch Gaddafi-Truppen Häuser, Wasserwerke und E-Werke zerstört, sagte ein Sprecher der Regimegegner in der Stadt am Sonntag dem arabischen Fernsehsender al-Dschasira. Im Osten setzten Aufständischen-Verbände ihre Bemühungen fort, die Gaddafi-Truppen aus dem Ölhafen Al-Brega zu verdrängen.
Keine Immunität für Kussa
Libyens Ex-Außenminister Mussa Kussa, der nach Großbritannien geflohen war, wird laut britischem Außenminister William Hague keine Immunität gewährt. Es gebe keine Abmachung über die Immunität vor Strafverfolgung und es werde keine geben, sagte Hague am Sonntag im Interview mit der BBC. Der am Donnerstag geflohene Gaddafi-Vertraute sei freiwillig nach London gekommen. Er stehe nicht unter Arrest - es stehe ihm frei, zu gehen, sagte Hague. Ziel sei es, weitere Vertraute Gaddafis zur Flucht zu bewegen. Ob Kussa deswegen mit Mitgliedern des Regimes in Kontakt stehe, wollte Hague nicht kommentieren.
Er habe Kussa noch nicht persönlich getroffen, seit dieser in London sei, sagte Hague. Er habe ihn aber gebeten, mit britischen Beamten zu sprechen. Die Behörden wollen unter anderem mehr über die Hintergründe des Lockerbie-Anschlags zu erfahren. Mehr Details werde er am Montag im Parlament bekanntgeben, kündigte Hague an. Bei dem Bombenanschlag auf einen Jumbo-Jet der PanAm waren im Dezember 1988 bei dem schottischen Ort Lockerbie insgesamt 270 Menschen ums Leben gekommen.
Der britische Außenminister schloss in dem Interview erneut Besatzungstruppen in Libyen aus. Es könne aber "begrenzte Operationen“ von Spezialeinheiten geben, beispielsweise um britische Bürger aus dem Land zu befreien. Die Diskussion über die rechtlichen Hintergründe einer mögliche Bewaffnung der Rebellen bezeichnete Hague als "akademisch“. Bisher habe weder Großbritannien noch einer der Alliierten eine Entscheidung getroffen. (AFP/dpa)