Der Sohn des Diktators spricht bereits vom Tod. Westerwelle will scharfe Sanktionen durchsetzen: auch ein Reiseverbot für den Gaddafi-Clan.
Tripolis/Washington. Libyens Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi verliert in den eigenen Reihen immer mehr Rückhalt. Sein enger Berater und Cousin Kadhaf el-Dam sei von sämtlichen Funktionen zurückgetreten, um gegen „den Umgang mit der libyschen Krise“ zu protestieren, berichtete die ägyptische Nachrichtenagentur Mena. Gaddafi müsse das Blutbad beenden „und zur Vernunft zurückkommen, um die Einheit und Zukunft Libyens zu wahren“, hieß es in einer offiziellen Erklärung Dams, aus der Mena zitierte. Dam war unter anderem mit den Beziehungen zwischen Libyen und Ägypten betraut und hat eine Residenz in Kairo. Nach Angaben seines Büros verließ er Libyen bereits vor einer Woche. Nach Einschätzung der Vereinten Nationen droht zudem bald eine Hungersnot, da wegen der Gewalt notwendige Lebensmittellieferungen das Land nicht mehr erreichten. Die Lieferkette für Nahrungsmittel stehe angesichts der Kämpfe vor dem Kollaps, sagte eine Sprecherin des Uno-Welternährungsprogramms in Genf. Wichtige Lieferungen kämen derzeit nicht mehr in den Häfen des Landes an.
Gaddafi-Sohn Saif al-Islam versprach am Freitag politische Veränderungen. Für die Forderungen der Protestierenden gebe es Lösungen, sagte er dem Nachrichtensender CNN-Türk, dessen Reporter die Einreise nach Tripolis erlaubt wurde. Seine Familie habe nur einen Plan. „Wir werden in Libyen leben und sterben“, sagte der Gaddafi-Sohn, der für seinen Vater an der Propagandafront kämpft. Größtes Problem seien die bewaffneten Milizen auf den Straßen vieler Städte. „Wir werden Libyen nicht dem Terrorismus überlassen“, sagte er.
Lesen Sie dazu auch
+++ Milliarden des Diktators werden eingefroren +++
+++ Millionen Flüchtlinge aus Libyen: EU bereitet sich vor +++
+++ Bundespräsident Wulff nennt Gaddafi "Psychopathen" +++
+++ Deutsche fliehen im Kanzlerairbus aus Libyen +++
Weite Teile Libyens sind offenbar nicht mehr unter der Kontrolle von Gaddafi. Auch der libysche Generalstaatsanwalt Abdul-Rahman Al-Abbar erklärt im Fernsehsender al-Arabija seinen Rücktritt. Er schließe sich der Opposition an. Soldaten und Polizisten in der ostlibyschen Stadt Addschabija erklären im Fernsehsender al-Dschasira, sie hätten sich den Aufständischen angeschlossen und seien aus den Kasernen ausgezogen.
Nach Angaben von Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) muss die EU sofort vier Sanktionen gegen die libysche Führung verhängen. Darunter seien etwa ein Waffenembargo und ein Reiseverbot für die libysche Führung, sagte Westerwelle in Berlin. Verboten werden soll auch die Lieferung von Gütern, die zur Unterdrückung der Bevölkerung eingesetzt werden können. Außerdem soll das Vermögen der Familie Gaddafi im Ausland eingefroren werden. „Die Zeit der Appelle ist vorbei. Jetzt wird gehandelt“, sagte Westerwelle.
Er sei überzeugt, dass die EU die vier Sanktionen umsetzen werde. „Die EU wird deshalb handeln. Wir wollen nicht warten in Europa, bis die ganze Welt handelt.“ Es gebe eine unmittelbare Verantwortung für die Nachbarschaft. „Die Weltgemeinschaft muss den Kurs des Diktators klar sanktionieren.“ Der Außenminister schloss nicht aus, dass im Uno-Sicherheitsrat am Freitag weitere Sanktionen beschlossen werden könnte. „Alles muss ins Auge gefasst werden, was wirkt“, sagte er auf die Frage, ob auch militärische Sanktionen wie etwa die Einrichtung einer Flugverbotszone beschlossen werden könnten. Es sei von großer Bedeutung, dass auch die Afrikanische Union und die Arabische Liga eine „glasklare Sprache“ gesprochen hätten. Die Liga habe Libyen bis auf weiteres von allen Sitzungen ausgeschlossen. Libyen müsse zudem am Freitag im Uno-Menschenrechtsrat in Genf suspendiert werden.
Ausdrücklich betonte Westerwelle nach einem Treffen mit seinem marokkanischen und zuvor dem italienischen Kollegen, dass auch Italien diese vier Sanktionen mittrage. Deutschland sei in der EU sicher voranmarschiert, weil die EU zu zögerlich gewesen sei. „Jetzt hat die EU aber den vollen Ernst der Lage in vollem Umfang verinnerlicht hat.“ Auch der marokkanische Außenminister Taieb Fassi Fihri sagte in der gemeinsamen Pressekonferenz mit Westerwelle, dass die Gewalt in Libyen durch Aktionen gestoppt werden müsse. Es gebe kommenden Mittwoch eine neue Sitzung der Arabischen Liga.
Das Verteidigungsministerium bestätigte, dass ein Verband der Bundesmarine sich auf Weg nach Libyen befinde, um bei der Evakuierung der verbliebenen Deutschen im Land zu helfen. Dem Verband gehören die Fregatten „Brandenburg“ und „Rheinland-Pfalz“ sowie der Einsatzgruppenversorger „Berlin“ an. Die Luftwaffe habe zudem am 22. Februar 2011 mit zwei Flugzeugen 56 deutsche Staatsbürger aus Libyen ausgeflogen, am Tag danach 74 EU-Bürger, darunter 47 Deutsche. Westerwelle sagte, dass sich noch 160 Deutsche in Libyen befänden, darunter rund 60 in der Hauptstadt Tripolis. Der Einsatz deutscher Kriegsschiffe vor der Küste Libyens diene „ausschließlich dem Zweck, unsere Staatsangehörigen außer Landes zu bringen“, betonte Westerwelle. Es gebe keine militärischen Sonderaktionen.
Das Blutvergießen in Libyen ruft nun auch die Nato auf den Plan. Die Botschafter der 28 Nato-Länder kommen zu einem Krisentreffen zusammen. Im Vordergrund stehen dabei Evakuierungsmaßnahmen und humanitäre Hilfe. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sagte: „Das ist eine Krise in unserer unmittelbaren Nachbarschaft.“ Auf die Frage, ob die westliche Allianz ein militärisches Eingreifen plan, sagte Rasmussen: „Ich möchte jetzt nicht auf Einzelheiten eingehen. Eindeutige Priorität muss der Evakuierung von Menschen gegeben werden, und vielleicht auch humanitärer Hilfe.“ (dpa/rtr/AFP)