Gaddafis Getreue werfen dem Westen Verschwörung vor. Die Nato-Militärs sind unterdessen beauftragt, “für alle Eventualitäten“ zu planen.
Tripolis/Brüssel. Libyens Regierung kämpft mit allen Mitteln, besonders mit denen der Propaganda. Jetzt wirft der libysche Außenminister Mussa Kussa Ländern wie Frankreich, Großbritannien und den USA eine Verschwörung vor. „Es ist klar, dass Frankreich, Großbritannien und die USA jetzt mit den Abtrünnigen in Ostlibyen in Kontakt treten. Das heißt, es gibt eine Verschwörung, um Libyen zu spalten“, sagte Kussa am Montag vor Journalisten in Tripolis. Daran bestehe kein Zweifel. Der „Kolonialismus ist wieder zurückgekehrt“, sagte Kussa. Die territoriale Integrität seines Landes sei jedoch unantastbar. „Wir werden dafür sterben.“
Derzeit bemühen sich Großbritannien und Frankreich um ein Mandat der Vereinten Nationen für eine Flugverbotszone über Libyen. Grund für die Vorbereitung einer Resolution des Sicherheitsrates seien Berichte, dass der libysche Machthaber Muammar Gaddafi Kampfhubschrauber gegen Zivilisten einsetze, sagte der britische Außenminister William Hague am Montag in London. In Paris und New York hieß es, die Vorbereitungen würden in enger Abstimmung mit den USA und Deutschland erfolgen. Diplomaten sagten, die Unterstützung der Vetomächte Russland und China für den militärischen Schritt sei schwierig, aber nicht unmöglich zu gewinnen.
Die Außenminister mehrerer Golf-Staaten drängten auf eine Flugverbotszone, mit der das libysche Volk vor Luftangriffen der Gaddafi-treuen Truppen geschützt werden soll. Der UN-Sicherheitsrat müsse die Menschen in dem nordafrikanischen Land schützen, sagte der Generalsekretär des Kooperationsrates der Golfstaaten in Abu Dhabi.
Aus Diplomatenkreisen hieß es, die Nato könnte mit der Durchsetzung der Flugverbotszone beauftragt werden. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sagte, die Organisation würde dies nur übernehmen, sollte der Sicherheitsrat sie damit beauftragen. Russlands Außenminister Sergej Lawrow sprach sich gegen eine Militäraktion gegen Libyen aus.
Die deutsche Bundeswehr hingegen ist an Evakuierungseinsätzen beteiligt. Für morgen werden drei Schiffe der deutschen Marine mit Flüchtlingen in Ägypten erwartet.
Die NATO will derweil die Luftraumüberwachung über Libyen ausweiten. Ivo Daalder, US-Botschafter des Militärbündnis, sagte, die Alliierten hätten sich auf eine Verlängerung der AWACS-Überwachung des Luftraums von zehn auf 24 Stunden täglich geeinigt. Die Ausweitung ist Teil der NATO-Vorbereitungen auf alle Eventualitäten, bis hin zum militärischen Eingreifen in den Konflikt zwischen Machthaber Muammar al Gaddafi und seinen Gegnern. Die Diskussionen über die Einrichtung einer Flugverbotszone über Libyen gehen unterdessen weiter.
Bei den Beratungen, welche Fähigkeiten der NATO Hilfe für Libyen bringen könnten, seien auch weitere Optionen diskutiert worden, sagte Daalder. So seien auch Möglichkeiten besprochen worden, wie die NATO-Schiffe und Flugzeuge im und rund ums Mittelmeer dazu genutzt werden könnten, um Hilfsleistungen zu unterstützen und zu koordinieren. Zuvor warnte die Nato Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi vor einem internationalen Eingreifen in den Bürgerkrieg. „Wenn Gaddafi und seine Militärs weiterhin die libysche Bevölkerung systematisch angreifen, kann ich mir nicht vorstellen, dass die internationale Gemeinschaft und die Vereinten Nationen tatenlos dabei zuschauen“, sagte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen am Montag. „Wir haben keine Absicht, in Libyen einzugreifen“, betonte Rasmussen. Er bestätigte jedoch, die Nato-Militärs seien beauftragt, „für alle Eventualitäten“ zu planen. „Und ich gehe davon aus, dass jede mögliche Nato-Operation gemäß einem Mandat des Uno-Sicherheitsrates erfolgen würde“, sagte er. Derzeit gebe es kein solches Mandat. Die Verteidigungsminister der Nato werden an diesem Donnerstag in Brüssel über die Lage in Libyen sprechen.
Spanien würde unter bestimmten Bedingungen an einer Militäraktion teilnehmen, berichtete die Zeitung „El País“ unter Berufung auf Madrider Regierungskreise. Der frühere tschechische Präsident Vaclav Havel sprach sich ebenfalls für einen Militäreinsatz aus. Die ganze Welt habe Muammar al-Gaddafi lange für einen kuriosen Clown gehalten, tatsächlich sei der libysche Staatschef aber ein „verrückter Verbrecher“, sagte Havel der Zeitung Hospodarske Noviny.
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Zur Diskussion um die Einrichtung einer möglichen Flugverbotszone in Libyen sagte Rasmussen: „Das ist eine sehr umfangreiche Unternehmung. Und das würde eine ganze Reihe von militärischen Fähigkeiten erfordern.“ Ohne Uno-Mandat sei dies nicht möglich. In den USA gibt es sowohl im Weißen Haus als auch im Verteidigungsministerium erhebliche Bedenken gegen eine solche Flugverbotszone. „Wir betrachten die derzeitigen Ereignisse in Afrika nicht als eine direkte Bedrohung der Nato-Verbündeten“, sagte der Generalsekretär. „Aber wir beobachten sie sehr genau.“ Die Nato könne rasch handeln. Er räumte ein: „Wir haben keine Anhaltspunkte dafür, dass unsere Hilfe nötig wäre, derzeit nicht.“
Die Nato befinde sich in engem Kontakt mit der Arabischen Liga und mit der Afrikanischen Union. Rasmussen sagte, das Bündnis müsse Rücksicht auf die öffentliche Meinung der Bürger in den arabischen Staaten nehmen. „Das ist ein Dilemma, dem die internationale Gemeinschaft gegenübersteht.“ „Einerseits finden wir es ungeheuerlich, was in Libyen passiert. Viele Leute wären versucht, zu sagen: Lasst und etwas tun. Und andererseits gibt es eine Menge Empfindlichkeiten gegenüber allem, was als ausländische Militärintervention verstanden werden könnte. Das ist genau das Dilemma.“
Die Offensive von Gaddafis Truppen geht weiter
Rasmussen warf der libyschen Regierung „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ vor: „Die libyschen Behörden haben eine Verpflichtung, die eigene Bevölkerung zu schützen.“ Die Nato sei bereit, den Staaten der Region zu helfen: „Wir sehen einen starken Wind des Wandels. Und er bläst in die Richtung von Freiheit und Demokratie.“
Gegen alle Appelle des Westens setzt Gaddafi seine Militäroffensive fort. Die Aufständischen leisten erbitterten Widerstand und kontrollieren weite Teile im Osten des Landes. Die Zahl der Toten und Verletzten stieg am Montag weiter. Angesichts der bürgerkriegsähnlichen Zustände reiste ein Erkundungsteam der Europäischen Union nach Libyen, wo auch Diplomaten der Vereinten Nationen erwartet wurden. Die EU-Mission unter Leitung des italienischen Krisenexperten Agostino Miozzo dient der Vorbereitung des Libyen-Sondergipfels. Vor allem entlang der Küstenlinie versuchen die Truppen Gaddafis, an die Rebellen verlorene Städte zurückzuerobern. Dabei rücken sie mit Hubschraubern, Kampfflugzeugen und Panzern vor. Ein Brennpunkt des Konflikts ist die nach Tripolis und Bengasi drittgrößte Stadt Misurata im Westen des Landes, wo sich Gaddafis Truppen zuletzt Häuserkämpfe mit den Rebellen lieferten.
Salah Badi, der Kommandeur der Aufständischen in Misurata, sagte der Nachrichtenagentur dpa, seit 4 Uhr sei die Lage in der Stadt ruhig. In der Nacht seien die Truppen Gaddafis mit 42 Militärfahrzeugen und sieben Panzern in die Stadt eingedrungen. Die Soldaten hätten sich heftige Gefechte mit den Aufständischen geliefert und sich dann wieder aus der Stadt zurückgezogen. Zwei Panzer seien von den Regimegegnern zerstört worden. Mehr als 40 Menschen starben. 24 Soldaten und Söldner sowie 17 Aufständische und ein zwei Jahre altes Mädchen seien ums Leben gekommen, sagte Badi. Nach Rebellenangaben wurden bei den Kämpfen mehr als ein Dutzend Soldaten gefangen genommen.
Auch Journalisten wurden verletzt
Auch im Osten wurde rund um Bin Dschawad an der Mittelmeerküste gekämpft. In dem Ort, der am Wochenende zunächst von den Rebellen eingenommen und dann von Gaddafis Truppen zurückerobert worden war, starben am Sonntag nach Angaben eines Krankenwagenfahrers sieben „Revolutionäre“. 65 Menschen seien zum Teil schwer verwundet worden. Weitere Schauplätze des Konflikts sind al-Sawija 50 Kilometer westlich von Gaddafis wichtigster Machtbasis Tripolis, dessen Heimatstadt Sirte und Ras Lanuf an der „Frontlinie“. In einem Krankenhaus in Ras Lanuf werden auch ein französischer Reporter und ein amerikanischer Journalist behandelt.
Appell der Uno: „Die Leute sterben“
Uno-Generalsekretär Ban Ki-monn ernannte den früheren jordanischen Außenminister Abdul Ilah Chatib zum Sondergesandten. Bundesaußenminister Guido Westerwelle begrüßte den Schritt. Der Gesandte gebe dem humanitären und politischen Einsatz der Staatengemeinschaft für Libyen Gesicht und Stimme. Der libysche Außenminister Mussa Kussa habe in einem Telefonat mit Ban der sofortigen Entsendung eines Uno-Teams nach Tripolis zugestimmt, teilte ein Uno-Sprecher in New York mit. Die Vereinten Nationen baten angesichts der Not der Zivilisten in Libyen um Spenden in Höhe von 160 Millionen Dollar (114 Millionen Euro). Damit soll die humanitäre Hilfe für die kommenden drei Monate gesichert werden. Mit dem Geld sollen Flüchtlinge und die Menschen im Land selbst unterstützt werden – unter anderem mit Lebensmitteln und medizinischer Hilfe.
Mehr als eine Million Libyer, die im Land oder außerhalb auf der Flucht sind, brauchen nach Angaben der Vereinten Nationen Hilfe. Uno-Hilfskoordinatorin Valerie Amos sagte in Genf, die Flüchtlingsdramen spielten sich an den Grenzen des nordafrikanischen Landes ab. Priorität hätten für sie derzeit die 300.000 Einwohner der von Rebellen kontrollierten Stadt Misurata. „Die Leute sind verletzt, sie sterben und brauchen dringend Hilfe“, sagte Amos.
Gaddafi setzt Flüchtlinge in Boote nach Europa
Gaddafi will sein politisches Überleben angeblich dadurch sichern, dass er Hunderte von Afrikanern in kleinen Booten nach Europa schickt. Ein Rebellenkommandeur aus der Stadt Misurata sagte der Nachrichtenagentur dpa, Anhänger von Oberst Gaddafi hätten bereits vor einigen Tagen auf mehreren Baustellen rund um Misurata 170 afrikanische Arbeiter und 30 Ägypter „eingesammelt“. Auch an anderen Orten seien Ausländer „abgeführt“ worden. Diese sollten nun mit kleinen Booten vom Hafen al-Choms aus über das Mittelmeer in Richtung Südeuropa in See stechen. Gaddafi hatte vor einigen Tagen gedroht, wenn sein Regime stürzen sollte, sei Europa von einer Welle illegaler Einwanderer bedroht.
Mit Material von dapdAFP/dpa/rtr