Kurz vor der Entscheidung im Bundesrat wackeln die Grünen im Saarland. Um die Zustimmung weiterer Bundesländer wird heftig gebuhlt.
Berlin/Saarbrücken. Die Entscheidung über die Hartz-IV-Reform bleibt eine Zitterpartie: Bis Donnerstagabend war unklar, ob die Bundesregierung das Gesetzespaket an diesem Freitag durch den Bundesrat bringt. Am Abend wollten die schwankenden Saar-Grünen ihre Haltung endgültig festlegen. Die Stimmen aus dem Saarland könnten entscheidend sein. Schwarz-Gelb fehlt im Bundesrat eine einzige Stimme zur Mehrheit.
Hinter den Kulissen rangen Union und FDP bis zuletzt heftig um Unterstützung aus dem rot-grünen Lager. Die Koalition habe Zugeständnisse signalisiert, hieß es bei den Saar-Grünen. Die Rede war von kürzeren Fristen für die gleiche Bezahlung von Leiharbeitern und Festangestellten in Unternehmen. Hier hatten Union und FDP bislang auf einer Wartezeit von neun Monaten für die Leiharbeiter bestanden.
Eine Zustimmung des Saarlandes zu den von der Opposition bisher abgelehnten Hartz-IV-Plänen galt damit am Donnerstag plötzlich wieder als offen. Der Vorstand der Saar-Grünen wollte am Abend über das Angebot der Bundesregierung nochmals beraten. Die Grünen im Bundestag und der Verhandlungsführer im Vermittlungsausschuss, Fritz Kuhn, wollten sich zu der Entwicklung im Saarland auf Anfrage am Donnerstagnachmittag nicht äußern.
Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) geht von einer Ablehnung im Bundesrat aus. Die Länder würden sich von der Bundesregierung „nicht mit einem vergifteten Köder“ über den Tisch ziehen lassen, sagte Beck im Deutschlandfunk. Bei den von der Koalition in Aussicht gestellten Geldern für die Kommunen handele es sich um Hilfen, die ihnen vom Bund längst zugesagt worden seien. Beck sprach von „Betrugsversuch“.
„Die Bundesregierung kennt die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat und weiß, dass mit einer Zustimmung morgen (Freitag) nicht zu rechnen ist“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert der dpa. Die von einer großen Koalition regierten Länder Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie das rot-grün regierte Bremen kündigten an, der Hartz-Reform nicht zuzustimmen, zum Teil aus Gründen der Koalitionsräson.
Es gebe „minimale Bewegung“ in Sachen Mindestlohn, sagte der saarländische Grünen-Chef Hubert Ulrich der Nachrichtenagentur dpa. Von anderer Seite hieß es, es gebe Anzeichen für Bewegung bei der gleichen Bezahlung für Leiharbeiter. Bestätigt wurde dies aber nicht. Ulrich ließ offen, ob dies für eine Zustimmung zu dem Gesetz ausreicht. Aus den Reihen der Union wurde dagegen Hoffnung verbreitet. „Wir verhandeln noch mit Thüringen, dem Saarland und Sachsen-Anhalt, denn diese drei Länder wägen ihre Entscheidung noch ab“, sagte der baden-württembergische Bundesratsminister Wolfgang Reinhart (CDU) der „Stuttgarter Zeitung“ (Freitag).
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund wies das Angebot des Bundes an die Kommunen zurück. Der Entlastung der Kommunen von rund 12 Milliarden Euro in den Jahren 2012 bis 2015 stünden Belastungen in ähnlicher Größenordnung gegenüber. Daher sei der vom Bund vorgelegte Vorschlag nicht akzeptabel, zitiert das Deutschlandradio aus einem Schreiben von Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg. FDP-Generalsekretär Christian Lindner warnte die Länder im „Hamburger Abendblatt“ vor Einbußen für die Kommunen: „Wenn es jetzt nicht angenommen wird, werden die Bedingungen nächstes Mal andere sein.“ Die Bundesregierung will zwölf Milliarden Euro für die Grundsicherung im Alter nur übernehmen, wenn sie dafür ein Ja zur Hartz-Reform bekommt.
Fast die Hälfte der Bundesbürger gibt in einer Umfrage der schwarz-gelben Koalition die Schuld am Scheitern der Hartz-IV-Verhandlungen. Nur jeder dritte macht die Opposition für das Scheitern der Gespräche verantwortlich, wie eine N24-Emnid-Umfrage ergab. Die Schuld bei der Bundesregierung sehen 45 Prozent. Das Bundessozialgericht erwartet eine Prozesswelle. Präsident Peter Masuch appellierte an die Politik, schnell zu einer tragfähigen Lösung zu kommen. Die unklare Situation führe zu unerträglicher Verunsicherung. Der Sozialverband Deutschland schließt eine Anhebung der Regelsätze „erst im Juni oder danach“ nicht aus.
Nach rund sieben Wochen war die Kompromisssuche von Regierung und Opposition am frühen Mittwochmorgen gescheitert. Nun hängt es von der Entscheidung der Länderkammer ab, ob es den um 5 auf 364 Euro erhöhten Regelsatz für die 4,7 Millionen Langzeitarbeitslosen und das Bildungspaket für 2,5 Millionen Kinder aus armen Familien rückwirkend zum 1. Januar gibt.