Ist die deutsche Regierungschefin zu zögerlich oder zu forsch? Die Euro-Länder sind nervös, Börsianer zocken gegen Portugal.
Berlin/Brüssel. Es passt zum neuen Auftreten der Kanzlerin im In- und Ausland: Angela Merkel gibt sich angriffslustig und redet nun öfter Tacheles. Das bekommen seit Wochen auch Banken und die EU-Partner deutlich zu spüren. Merkel will den Märkten Grenzen aufzeigen und Banken, Versicherer sowie andere Investoren künftig an der Lösung von Schuldenkrisen in Euro-Pleitestaaten beteiligen. Ein Vorstoß, der von vielen Experten und einigen Euro-Partnern unterstützt wird, weil die Steuerzahler vor gigantischen Risiken geschützt werden sollen.
Merkels forscher Kurs in dieser heiklen Frage sorgt aber auch für reichlich Unmut. Nicht nur Irland und Griechenland rügten Vorgehen und Wortwahl der Kanzlerin. Auch in Brüssel ist man über die Unruhestifterin alles andere als glücklich. Die ohnehin nervösen Kapitalmärkte sind zusätzlich verunsichert. Was noch eine Weile andauern dürfte, denn eine klare politische Botschaft steht aus – und das mindestens bis zum EU-Gipfel Mitte Dezember.
Erst im Frühjahr wurden Rettungsschirme für Griechenland von 110 Milliarden Euro und für die Euro-Zone von 750 Milliarden gespannt. Merkel stand schon damals am Pranger. Ihr wurde vorgeworfen, als „Madame Non“ zu zögerlich gehandelt und so die Krise verschärft zu haben. Ein Grund für Merkels Kurs war, dass die Bundesrepublik Jahre einschneidender Reformen, von Lohnzurückhaltung und Einschnitten bei Sozialleistungen hinter sich hatte. Die Steuerzahler fragten sich durchaus, warum sie dafür zahlen sollten, dass Griechen früher in Rente gehen.
Vor allem aber hat Merkel das Bundesverfassungsgericht im Nacken. Mehrere Klagen gegen die Rettungspakete sind anhängig. Die Karlsruher Richter könnten eine Beteiligung der größten EU-Volkswirtschaft an den Nothilfen kippen. Auch deshalb macht Merkel klar: Wenn die Euro-Rettungsschirme Mitte 2013 auslaufen, muss ein dauerhafter Krisenmechanismus her – mit harten Auflagen nicht nur für die Schuldensünder, sondern auch mit einer Risikobeteiligung der privaten Kreditgeber von Euro-Staaten.
Aus Sicht der Regierungschefin sollten auch diejenigen, die mit Staatsanleihen zocken und viel Geld verdienen, in die Verantwortung genommen werden. „Ich werde davon nicht ablassen“, gab sie sich jüngst entschlossen. Es gebe kein Geschäft auf der Welt, bei dem man seine Risiken zu 100 Prozent an den Steuerzahler abdrücken könne: „Warum sollte nun ausgerechnet im Umgang mit Staatsanleihen von Euro-Mitgliedstaaten ein solcher Schlaraffenland-Fall eintreten? Das leuchtet mir in keiner Weise ein.“
Kritiker wie der griechische Regierungschef Giorgos Papandreou sehen in dieser Strategie aber einen wesentlichen Grund für die aktuellen Turbulenzen. Auch aus Dublin hört man diesen Vorwurf. Die Spirale steigender Zinsen für Anleihen von Euro-Staaten sei so erst in Gang gesetzt worden. Obwohl klar ist, dass die Berliner Pläne weder aktuelle Anleihen betreffen noch den jetzigen Euro- Rettungsschirm.
Zu den politischen Machtkämpfen in Europa gehört es, möglichst früh zu versuchen, die Deutungshoheit zu gewinnen. Deshalb hat Merkel die Tonlage verschärft. Die Unruhe aber hält an, weil zwar Details der Berliner Pläne kursieren, die Bundesregierung aber eisern schweigt. Neuen Wirbel hat ein Vorschlag aus dem Finanzministerium ausgelöst, dass die Euro-Länder ihre Anleihen schon von 2011 an mit neuen einheitlichen Klauseln versehen sollten, um künftig mit privaten Geldgebern in Krisenfällen über neue Zahlungsmodalitäten verhandeln zu können.
Sollten die Berliner Ideen Wirklichkeit werden, müssen finanzschwache Länder höhere Zinsen zahlen. Schließlich ist hier das Risiko höher, dass Investoren Geld verlieren. Die betroffen Schuldnerländer aber müssten die Zügel noch straffer anziehen und sparen. Verständlich, dass weniger stabile Euro-Länder die bestehenden Rettungsschirme lieber verlängern würden.
Mehr Klarheit wird es wohl erst am 16./17. Dezember geben, wenn die EU-Staats- und Regierungschefs die Weichen für den neuen Krisenmechanismus stellen wollen. Auf der Tagesordnung von Merkel & Co. könnte dann aber nicht mehr nur der Name Irland stehen – sondern auch Portugal und Spanien.