Staatsanwaltschaft Hannover ermittelt gegen Glaeseker. Merkel hält weiter zu Wulff. Reich-Ranicki fordert Rücktritt des Bundespräsidenten.

Berlin. Beispiellose Durchsuchungsaktion im Bundespräsidialamt: Erstmals hat die Justiz direkt im Amtssitz von Bundespräsident Christian Wulff ermittelt, ein Staatsanwalt und Beamte des Landeskriminalamtes Niedersachsen suchten im ehemaligen Büro seines langjährigen Sprechers Olaf Glaeseker nach Beweisen für den sich erhärtenden Korruptionsverdacht. „Wir haben Unterlagen und Computerdateien beschlagnahmt, die jetzt ausgewertet werden müssen“, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft Hannover, Hans-Jürgen Lendeckel, der „Bild am Sonntag“.

Die Behörde ermittelt im Zusammenhang mit der Lobby-Veranstaltung Nord-Süd-Dialog vor einigen Jahren in Niedersachsen wegen Verdachts der Bestechlichkeit gegen den engen Vertrauten Wulffs. Dieser war im Dezember von seinen Aufgaben entbunden worden. Der Anfangsverdacht habe sich konkretisiert, sagte Lendeckel am Sonntag.

Ungeachtet immer neuer Details in der Affäre um Wulff in seiner Zeit als Ministerpräsident in Hannover stützt Kanzlerin Angela Merkel (CDU) den Bundespräsidenten weiter. „Unser Bundespräsident wird viele weitere wichtige Akzente für unser Land und unser Zusammenleben setzen“, sagte Merkel der „Bild am Sonntag“. SPD-Fraktionschef Frank- Walter Steinmeier sagte dagegen der „Welt am Sonntag“, die Wulff- Affäre schade dem Ansehen Deutschlands in der Welt und bestätige hierzulande die Vorurteile vieler Bürger gegenüber Politikern.

Marcel Reich-Ranicki forderte im Nachrichtenmagazin "Focus" Wulffs Rücktritt. Der Literaturkritiker hält den Bundespräsidenten für "nicht mehr unabhängig". Wulff habe offenbar zu hohe finanzielle Ansprüche, sagte Reich-Ranicki mit Blick auf die kostenlosen Urlaube des seit Wochen im Kreuzfeuer der Kritik stehenden Bundespräsidenten bei wohlhabenden Freunden und Bekannten. Laut einer aktuellen Umfrage des ZDF-Politbarometers befürworten inzwischen mehr als die Hälfte der Deutschen den Rücktritt Wulffs.

SPD-Chef Sigmar Gabriel, der vor Wulff Ministerpräsident in Hannover war, sagte zu der Durchsuchungsaktion am vergangenen Donnerstag, die die Ermittler dem Amt angekündigt hatten: „Es ist unglaublich, dass wir inzwischen Durchsuchungsvorgänge im Bundespräsidialamt haben.“ Das sei ein noch vor Monaten in der Bundesrepublik für undenkbar gehaltener Tiefpunkt.

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„Es steckt offensichtlich ein System dahinter, es ist der Versuch unternommen worden, sich ein Land wie Niedersachsen zur Beute zu machen“, sagte Gabriel. Er könne sich nicht vorstellen, dass Wulff in seiner Zeit als Ministerpräsident von Glaesekers Aktionen überhaupt nichts mitbekommen habe.

Glaeseker war viele Jahre ein enger politischer Wegbegleiter Wulffs, kurz vor Weihnachten aber ohne Angaben von Gründen überraschend als Sprecher des Bundespräsidenten entlassen worden. Die Staatsanwaltschaft prüft, ob der 50-Jährige als niedersächsischer Regierungssprecher unter dem damaligen Ministerpräsidenten Wulff den Veranstaltungs-Manager Manfred Schmidt gefällig gefördert hat.

Glaeseker soll mehrere kostenlose Urlaube in Feriendomizilen Schmidts verbracht haben. Gegen Schmidt, der den Nord-Süd-Dialog organisiert hatte, wird wegen Verdachts der Bestechung ermittelt.

Schmidt räumte dem „Spiegel“ zufolge ein, dass ihm die niedersächsische Staatskanzlei bei der Suche nach Geldgebern für den Nord-Süd-Dialog half. „Es müssen ja mal Kontakte hergestellt werden, wenn so etwas von der Wirtschaft finanziert werden soll“, sagte er. Den Vorwurf, Glaeseker mit kostenlosen Urlaubsreisen bestochen zu haben, wies Schmidt zurück. Er sei seit 30 Jahren mit dem früheren Journalisten befreundet. In dieser Zeit hätten sich beide gegenseitig zu Urlauben eingeladen.

Das Bundespräsidialamt hatte der Staatsanwaltschaft Hannover nach Bekanntwerden der Ermittlungen mitgeteilt, dass der 50-Jährige nach seiner Entlassung am 22. Dezember sein Arbeitszimmer noch nicht aufgelöst habe. Glaeseker hatte der „Bild am Sonntag“ zufolge am vergangenen Wochenende wegen der laufenden Ermittlungen keinen Zutritt zu seinem Amtszimmer bekommen. Nach der Durchsuchung kann er nun hinein. „Er darf jederzeit seine Sachen abholen. Er hat jederzeit Zugang zu seinem Amtszimmer“, sagte eine Sprecherin des Bundespräsidialamtes.

Die Staatsanwaltschaft hatte bereits am 19. Januar Privat- und Geschäftsräume von Glaeseker in Niedersachsen durchsucht. Fahnder verschafften sich auch Zugang zu Räumlichkeiten von Schmidt. Die Ermittler stellten dabei Computerdateien und Dokumente sicher. Die Auswertung habe noch keine Ergebnisse geliefert, sagte Lendeckel.

Die Staatskanzlei in Hannover hatte zunächst behauptet, die Landesregierung sei in die Vorbereitung des umstrittenen Nord-Süd-Dialogs nicht involviert gewesen. Inzwischen kommen aber immer mehr Details ans Licht, wonach es doch eine Beteiligung an dem Lobby-Treffen gegeben hat.

Wulff, der seit Dezember wegen seines Hauskredits und seines Umgangs mit Medien unter Druck ist, hätte nach Einschätzung des Verwaltungsrechtlers Hans Herbert von Arnim bei einem Rücktritt keinen Anspruch auf Ehrensold – eine Pension in Höhe von rund 200 000 Euro jährlich. Würde Wulff wegen der Vorwürfe zurücktreten, wäre dies ein Rücktritt aus „persönlichen Gründen“, sagte von Arnim dem „Spiegel“. Dieser sei in der Regelung zum Ehrensold nicht vorgesehen.

Der Nord-Süd-Dialog wurde Ende 2007 gestartet. Wulff war 2009 Schirmherr der Veranstaltung. Nach drei Auflagen wurde das Lobby-Treffen im Dezember 2009 eingestellt. (abendblatt.de/dpa)