Ein Kredit aus seiner Zeit als Niedersachsens Ministerpräsident kratzt an der Glaubwürdigkeit von Wulff. Hat der Bundespräsident getäuscht?
Hannover/Berlin. Christian Wulff hat nicht gelogen. Hat korrekt auf alle Fragen geantwortet. Das ist nachzulesen im Protokoll der 63. Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 18. Februar 2010: "Zwischen Ministerpräsident Wulff und den in der Anfrage genannten Personen und Gesellschaften hat es in den letzten zehn Jahren keine geschäftlichen Beziehungen gegeben", antwortet seine Staatskanzlei auf eine Anfrage der Grünen. Bei den genannten Personen handelt es sich um den Unternehmer Egon Geerkens und den damaligen Chef der Fluggesellschaft Air Berlin, Joachim Hunold.
So weit, so gut. Keine geschäftliche Beziehung also. Mit dieser Erklärung schien der Fall vorerst erledigt. Gefragt hatte der Grünen-Abgeordnete Stefan Wenzel. Wulff hatte zuvor mit seiner Frau in Florida in Geerkens' Haus geurlaubt und durfte den Flug in die USA in der komfortablen Businessclass verbringen, obwohl er nur für die Touristenklasse bezahlt hatte. Die Sache wurde publik, Wulff zahlte den Differenzbetrag von 3000 Euro nach. Ein politischer Schaden blieb nicht.
Doch nun sieht vieles danach aus, dass CDU-Politiker Wulff in seiner Antwort zwar formal nicht gelogen, jedoch einen wesentlichen Teil der Wahrheit verschwiegen hat. Wie die "Bild"-Zeitung berichtet, hatte sich der damalige Ministerpräsident bereits im Herbst 2008 eine halbe Million Euro geliehen - nicht bei Egon Geerkens, sondern bei dessen Frau Edith. Eine Geschäftsbeziehung zu der befreundeten Familie bestand also durchaus. Der Privatkredit hatte zudem den handfesten Vorteil, dass die Zinsen für die 500 000 Euro mit vier Prozent weit unter dem lagen, was damals üblich war. Jetzt sind die Vorwürfe da: Irreführung des Parlaments. Tatsachenverschleierung. Der heutige Bundespräsident, der gestern seine Reise in den Mittleren Osten beendete, ist in der Bredouille.
Am Morgen lässt er durch seinen Sprecher Olaf Glaeseker mitteilen, er habe keine falschen Angaben gemacht. Die Anfrage der Grünen sei korrekt beantwortet worden. Das Bundespräsidialamt räumt allerdings ein: "Es bestand eine Vereinbarung mit Frau Edith Geerkens zu einem Darlehen aus ihrem Privatvermögen." Mit dem Geld bezahlten die Wulffs ihr Einfamilienhaus im niedersächsischen Burgwedel, wie Glaeseker zudem bestätigt. Eine reine Privatangelegenheit also? Nicht nur diese Frage ist offen - sondern etwa auch jene, warum Wulff nur wenige Tage nach der Grünen-Anfrage eilig den Privatkredit durch einen Bankkredit abgelöst hat.
Während es der CDU in Hannover angesichts dieser Nachrichten regelrecht die Sprache verschlägt, macht die Grünen-Fraktion weiter Druck. Ihr Vorsitzender Wenzel will sich mit Glaesekers Hinweis nicht abfinden. Sein Vorwurf: "Unsere Anfrage ist damals von Christian Wulff offensichtlich nicht korrekt beantwortet worden". Und er macht keinen Hehl daraus, dass er dem Bundespräsidenten nicht über den Weg traut: "Daher muss man vermuten, dass hier wirtschaftliche Abhängigkeiten verschleiert werden sollten." Auf sich beruhen lassen wollen die Grünen die Angelegenheit nicht: "Wir werden prüfen, welche parlamentarischen Mittel geeignet sind, um diese Affäre noch vollständig aufzuklären".
Auch in Berlin will kaum jemand aus Union oder FDP zu dem Fall Stellung nehmen. Nur CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt sagt der ARD, ein "Geschmäckle" gebe es nicht. Klar ist: An einem Skandal um ihren Bundespräsidenten haben die Regierungsparteien kein Interesse. Für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) käme dies angesichts der Euro-Krise jetzt denkbar ungelegen. Unvergessen ist auch immer noch der Schock, den Wulffs Vorgänger Horst Köhler mit seinem plötzlichen Rücktritt im Sommer 2010 ausgelöst hatte. Auch wenn niemand wagt, dieses Szenario auch nur laut zu denken: Die ohnehin knappe schwarz-gelbe Mehrheit in der Bundesversammlung, die für die Wahl des Bundespräsidenten zuständig ist, ist nach den Landtagswahlen des Jahres 2011 verloren.
Doch auch die Opposition hält sich zurück. Für Schnellschüsse ist vielen die Sache zu heikel. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin verweist lediglich auf seine Parteifreunde in Niedersachsen und mag nicht auf die Nachfragen der Journalisten eingehen. SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann teilt immerhin mit, für einen Bundespräsidenten würden besondere Maßstäbe gelten. "Deswegen wird Christian Wulff ein großes Interesse haben, alle Fragen aufzuklären." Dabei steht dieser derzeit auch auf anderer Seite unter Druck: Wegen des Umgangs mit der geplanten Gedenkfeier für die Opfer des Neonazi-Terrors lägen Wulff und Bundestagspräsident Norbert Lammert "in einem zähen Kleinkrieg", wie der "Spiegel" jüngst berichtete.
Für die CDU in Niedersachsen sind die neuen Vorwürfe jedenfalls ein herber Schlag. Schon als die Air-Berlin-Affäre öffentlich wurde, war man entsetzt. Ausgerechnet der Vorzeigepolitiker, der bis dahin instinktsicher alle Fettnäpfchen gemieden hatte, musste einen Verstoß gegen das Ministergesetz einräumen. Dass Airline-Chef Hunold zu seinen privaten Freunden zählte, machte die Sache eher noch peinlicher. Im Sommer 2010 kam Wulff erneut ins Gerede: Er machte Urlaub in einer prächtigen Villa des Multimillionärs Carsten Maschmeyer auf Mallorca. Mit ihm und dessen Ehefrau, der Schauspielerin Veronica Ferres, ist das Ehepaar Wulff ebenfalls befreundet. Man habe, wurde damals versichert, den üblichen Mietpreis bezahlt. Der Landes-CDU war die Angelegenheit unangenehm. Schon Wulffs plötzliche Begeisterung für die Party-Szene der Reichen in Hannover als Begleiterscheinung der Hinwendung zu seiner zweiten Ehefrau Bettina geb. Körner hatte sie mit Befremden zur Kenntnis genommen.
Die Geerkens immerhin gehören nicht zur aktuellen Glamour-Szene, sie kennen Wulff aus Kindertagen. Egon Geerkens war für Wulff, der ohne eigenen Vater aufwuchs, ein Stück Vaterersatz. In dessen Penthouse feierte der junge Rechtsanwalt 1988 seine Hochzeit mit der ersten Ehefrau Christiane, Geerkens war Trauzeuge. Auch auf seine Reisen hat er den Ministerpräsidenten begleitet und im Sommer 2010 dessen Wahl zum Bundespräsidenten im kleinen Kreis mitgefeiert. Sein Geld hat Geerkens als Juwelier mit dem An- und Verkauf von Edelmetallen verdient und später mit Immobilienhandel in Osnabrück seinen Reichtum vermehrt. Für den Unternehmer war der umstrittene Kredit "ein ganz sauberes Geschäft", wie er "Spiegel Online" sagte. Das Geld stamme von seiner Frau. Allerdings habe er den Scheck an Wulff persönlich ausgestellt, nachdem seine Frau das Geld aus der Schweiz auf sein deutsches Konto in Osnabrück überwiesen habe.