Fehlenden Anstand unterstellt Ingrid Schmidt Angestellten, die etwas entwenden. Sie glaubt: „Es gibt keine Bagatellen“.
Ob es Maultaschen sind, die eingesteckt, oder Frikadellen, die unerlaubterweise vom Chef-Buffet entwendet werden: Die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Ingrid Schmidt, hat Verständnis für Arbeitgeber geäußert, die Angestellten wegen eines kleinen Vergehens kündigen. „Es gibt keine Bagatellen“, sagte sie der „Süddeutschen Zeitung“. Arbeitnehmer, die ihrem Arbeitgeber etwas entwenden, zeigten ein Verhalten, das „mit fehlendem Anstand“ zu tun habe.
Die deutschen Arbeitsgerichte mussten sich 2009 mit einer ganzen Reihe von Kündigungen wegen sogenannter Bagatelldelikte befassen. In mehreren Fällen erklärten sie sie für rechtmäßig. Gewerkschafter und Politiker kritisierten die Entscheidungen.
Aufsehen hatte etwa der Fall einer 51-jährigen Kassiererin erregt, die Pfandbons im Wert von 1,30 Euro unterschlagen haben soll. Sie wurde nach einer Betriebszugehörigkeit von 31 Jahren fristlos gekündigt. Sie fühlte sich ungerecht behandelt und zog vor das Landesarbeitsgericht in Berlin. Doch entgegen ihrer Erwartungen entschied der Richter in zweiter Instanz zugunsten des Supermarktes und erklärte die fristlose Kündigung für rechtens. Auch andere Kündigungsfälle sorgten für Empörung. Eine Altenpflegerin wurde gekündigt, weil sie sechs Maultaschen mitnahm. Einer Sekretärin wurde zum Verhängnis, dass sie unerlaubt eine Frikadelle aß.
Gerichtspräsidentin Schmidt verteidigte die Richter. Die Kritik sei „völlig daneben“, sagte sie. Seit Jahrzehnten gelte die Rechtsprechung, wonach Diebstahl oder Unterschlagung auch geringwertiger Sachen ein Kündigungsgrund sei. „Es gibt in dem Sinne also keine Bagatellen“, sagte sie.
Bereits vor einigen Wochen hatte die SPD angekündigt im Januar einen Gesetzentwurf in den Bundestag einzubringen, mit dem verhindert werden soll, dass Arbeitnehmer wegen geringster Delikte entlassen werden. Schmidt bezweifelt die Wirksamkeit des Vorhabens. Ein neues Gesetz müsse die Frage beantworten, wo genau die Grenze zur Bagatelle liegt.