Guttenberg räumt ein: Luftschlag bei Kundus war militärisch nicht angemessen. Bundeswehr bleibt ein weiteres Jahr in Afghanistan.
Berlin. Drei Monate nach dem verheerenden Luftangriff von Kundus hat Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) eine Kehrtwende vollzogen und seine Bewertung korrigiert. Im Gegensatz zu seiner Stellungnahme von Anfang November bezeichnete der Minister am Donnerstag im Bundestag das Bombardement mit bis zu 142 Toten und Verletzten als „militärisch nicht angemessen“. Er argumentierte, dass ihm entscheidende Berichte der Bundeswehr zu zivilen Opfern und Verstößen gegen Einsatzregeln bei dem Luftschlag am 4. September für seine erste Bewertung nicht vorlagen.
Zugleich stellte sich Guttenberg klar hinter den befehlsgebenden Oberst Georg Klein und betonte, dass er diesen „nicht fallenlassen“ werde. „Ich zweifele nicht im Geringsten daran, dass er gehandelt hat, um seine Soldaten zu schützen“, sagte der Minister unter dem Beifall hunderter Abgeordneter. Auch die Opposition zollte ihm für seinen Auftritt Respekt. Der Bundestag stimmte anschließend mit der breiten Mehrheit von 445 der abgegebenen 593 Stimmen für die Verlängerung des Bundeswehrmandats zur Beteiligung an der Afghanistan-Schutztruppe ISAF. 105 Parlamentarier votierten mit Nein, 43 enthielten sich. Damit bleibt die Bundeswehr das neunte Jahr in Folge in Afghanistan. Die Obergrenze von 4500 Soldaten wurde nicht verändert. Die Regierung will über eine mögliche Aufstockung des deutschen Truppenkontingents nicht vor der internationalen Afghanistan- Konferenz Ende Januar in London entscheiden. Mit einer Erhöhung der Soldatenzahl müsste das Parlament neu befasst werden. Grüne und Linke lehnen Truppenaufstockungen in Afghanistan ab, weil mehr Militär das Problem nicht lösen könne. Die Linke stimmte erneut grundsätzlich gegen den Einsatz. Für die Grünen hatte Fraktionschef Jürgen Trittin Enthaltung angekündigt. Mehrere Grünen-Abgeordnete stimmten aber auch mit Nein. Am Abend verlängerte der Bundestag auch den deutschen Marineeinsatz vor der libanesischen Küste (UNIFIL) um sechs Monate. Zudem beschlossen die Parlamentarier, dass sich die Bundeswehr am Horn von Afrika ein weiteres Jahr am US-geführten Anti-Terror-Einsatz beteiligt. Während es für UNIFIL eine breite Mehrheit gab, stimmte die Opposition geschlossen gegen die „Operation Enduring Freedom“ (OEF). Auch die SPD, die als Regierungspartei in den vergangenen Jahren immer zugestimmt hatte, votierte diesmal gegen eine Verlängerung des Mandats.
Bei seiner Neubewertung des Luftangriffs in Afghanistan sagte Guttenberg, er zweifele nicht daran, dass der Oberst im Interesse seiner Soldaten gehandelt habe. Die Dokumente, die er bei seiner ersten Bewertung noch nicht gekannt habe, hätten ihn nun aber verlasst, den Angriff als objektiv „militärisch nicht angemessen“ zu bezeichnen. Auf der Grundlage eines NATO-Berichts hatte Guttenberg den Luftangriff am 6. November noch als „militärisch angemessen“ bewertet. Wegen seiner Informationspolitik zu dem Luftschlag als Verteidigungsminister war Franz Josef Jung (CDU) vorige Woche als Bundesarbeitsminister zurückgetreten. Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und Verteidigungsstaatssekretär Peter Wichert wurden entlassen. Sie sollten am späten Donnerstagabend mit einem Großen Zapfenstreich verabschiedet werden. Guttenberg sagte, die Bundeswehr müsse alles tun, um vergleichbare Fehler wie in Kundus künftig zu vermeiden. Entsprechende Maßnahmen seien eingeleitet worden. Einzelheiten nannte der Minister nicht, versprach aber weitere Aufklärung der Vorgänge um den Luftangriff. Am Vortag hatte der Verteidigungsausschuss des Bundestags seine Umwandlung in einen Untersuchungsausschuss beschlossen, um die Affäre zu durchleuchten. Der Ausschuss soll sich am 16. Dezember konstituieren. Zuvor hatten sich die schwarz-gelbe Koalition und die Opposition im Bundestag einen Schlagabtausch über den Einsatz in Afghanistan geliefert. Der Linkspartei-Abgeordnete Jan van Aken warf der Regierung vor, die wahre Lage in Afghanistan zu verschleiern. „Sie werden gleich dafür stimmen, 4500 Soldaten in den Krieg zu schicken. Sie sagen es nur nicht.“ Grünen-Fraktionschef Trittin kritisierte, die Regierung verlange vom Parlament einen „Blankoscheck“. Er habe konkrete Vorschläge für einen zivilen Aufbau erwartet. Doch es sei unklar, mit welchen Vorstellungen die Regierung in die Afghanistan- Konferenz gehe. Die Bundesregierung will in der laufenden Legislaturperiode verstärkt auf einen Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan hinarbeiten, bekräftigte Außenminister Guido Westerwelle (FDP). Deutschland wolle weiter einen Schwerpunkt beim zivilen Aufbau des Landes setzen.