Vor vier Jahren gab es am Abend der Bundestagswahl für die Parteien eine Überraschung. Sie hatten sich auf Demoskopen verlassen.
Berlin. Die Gesichter beim Gewinner CDU wurden länger und längern. Die Verlierer bei der SPD hingegen kam aus dem Jubeln gar nicht mehr heraus. Es schein, als spiele die Welt verrückt am Abend der Bundestagswahl im Jahr 2005. Was war passiert? CDU/CSU waren sich eines deutlichen Sieges sicher gewesen, die Sozialdemokraten hingegen hatten sich mit einem sang- und klanglosen Untergang eigentlich schon abgefunden. Beiden Lager hatten sich auf Meinungsumfragen verlassen - und waren am Ende verlassen.
Denn dann passierte Unglaubliches: Die Union ging beinahe baden, gewann am Ende nur mit einem hauchdünnen Vorpsrung. Eine „Niederlage der Meinungsforscher“, hieß es anschließend. Doch die widersprechen: Umfragen seien Momentaufnahmen, keine Prognosen, betonen sie vor der nächsten Wahl am 27. September. Konsequenzen müssen sie aus den Erfahrungen von 2005 trotzdem ziehen.
Damals hatten sich zahlreiche Wähler in letzter Minute entschieden, es kam zum extrem seltenen „last minute swing“, wie Demoskopen sagen. Auch jetzt sind noch rund 30 Prozent der Wähler unentschlossen. Ein Umschwung in letzter Minute halten die großen Institute dieses Mal dennoch für weniger wahrscheinlich. Anzeichen einer Aufholjagd der SPD gebe es nicht, der Vorsprung des bürgerlichen Lagers (CDU/CSU, FDP) vor dem linken (SPD, Linke, Grüne) sei „deutlich zementierter“, heißt es. Bei der Sonntagsfrage lag die Union zuletzt 12 bis 14 Prozentpunkte vor der SPD.
Reagiert haben die Meinungsforscher auf 2005 trotzdem. „Infratest dimap wird mit den Umfragen so nahe wie möglich an die Wahl herangehen“, kündigt Institutschef Richard Hilmer an, der den ARD- Deutschlandtrend liefert. Auch seine Kollegen in Allensbach wollen in den zehn Tagen vor der Wahl die Befragungen verstärken, zusätzliche Vorlieben abfragen sowie mögliche Parteienverdrossenheit ergründen. Hinweise auf einen Umschwung in letzter Minute würden verstärkt beachtet, kündigt Markus Küppers vom Institut für Demoskopie Allensbach an.
Auch wenn sie an der Methode feilen:Dass sie vor vier Jahren versagt hätten – das lassen die meisten Institute nicht auf sich sitzen. Journalisten hätten Umfragen als Prognosen gelesen, meint etwa Matthias Jung, der Chef der Forschungsgruppe Wahlen. „Kein seriöser Meinungsforscher käme auf die Idee, aus einer realistischen Stimmungsmessung im Mai einen Wahlausgang vier Monate später ableiten zu wollen“, meint Jung, der das ZDF-Politbarometer liefert. Ins gleiche Horn stößt Klaus-Peter Schöppner, Chef von TNS Emnid:„Das allergrößte Risiko liegt in den Journalisten, die diese mathematischen Gesetzmäßigkeiten nicht wahrnehmen.“
Rückendeckung erhalten sie von der Forschung. Der Passauer Journalistik-Professor Ralf Hohlfeld hat Fernsehnachrichten ausgewertet und festgestellt, dass Umfragen politische Inhalte an den Rand drängten. Außerdem: „Massenmedien lassen keinen Zweifel daran zu, diese Zahlen könnten manipuliert, falsch oder schlicht bedeutungslos sein.“ Laut der Berliner Wissenschaftlerin Juliane Raupp nennen Medien dabei zu selten das statistische Verfahren und die Fehlertoleranz, die üblicherweise immerhin drei Prozent betrage.
Davon will Hendrik Zörner nichts wissen. Der Sprecher des Deutschen Journalisten-Verbands meint zwar auch:„Die Leser müssen registrieren, dass es sich um Meinungsumfragen handelt.“ Die dafür nötigen Warnhinweise, etwa über Unsicherheitsfaktoren und kurz entschlossene Wähler, fehlten aber nur selten. Zörner rät aber davor ab, sich in der Politikberichterstattung auf die Wiedergabe von Umfrageergebnissen zu beschränken. „Es gibt eine Fokussierung auf Umfragen, die in dem Maße vielleicht nicht nötig ist.“
Doch im Verzicht liegt die Lösung nicht. ARD und ZDFetwa strahlen seit langem in der Woche vor der Wahl keine Umfrage-Ergebnisse aus. Als ihre Institute 2005 in den Tagen vor der Wahl Anzeichen für einen Stimmungsumschwung verzeichneten – wie sie heute betonen – blieben diese Umfragen deshalb unter Verschluss.