Der Endspurt ums Kanzleramt hat begonnen. Während die SPD den gestrigen Wahlausgang als Wende verkaufen will, spricht die CDU von länderspezifischen Ergebnissen.
Berlin. Der CDU-Generalsekretär hatte genug Zeit, sich auf die Situation vorzubereiten. Wochenlang hatte er aus Thüringen nur beunruhigende Signale erhalten: Von einem Ministerpräsidenten, der nach seinem Skinunfall vollkommen verändert gewirkt hatte, von der provinziellen Wahlkampagne, die sich die eigenwillige thüringische Union partout hatte selbst schnitzen wollen. Ronald Pofalla wusste: In Thüringen war die absolute Mehrheit verloren und wohl auch die bürgerliche Mehrheit, die man im Bund zusammen am 27. September mit den Liberalen unbedingt erreichen will.
Auch aus dem Saarland hatten die Umfragen in den letzten Tagen nichts Gutes mehr bedeutet - dass die Grünen in den Landtag einziehen und dadurch eine mögliche schwarz-gelbe Mehrheit sprengen würden, hatte man im Konrad-Adenauer-Haus geahnt. Kein Wunder, dass Pofalla dem SPD-Kanzlerkandidaten mit seinem Auftritt vor den Kameras gestern unbedingt zuvorkommen wollte.
Es war kurz vor halb sieben, als Pofalla ans Mikrofon trat und sagte: "Es gibt in Deutschland nur noch eine Volkspartei, und das ist die CDU." Die Verluste im Saarland und in Thüringen seien "schmerzlich", aber es gelte doch festzuhalten, dass es für Rot-Grün keine Mehrheit gebe, nirgendwo. Mit Blick auf das Erstarken der Linkspartei sagte Pofalla, die SPD brauche einen dritten Partner. "Die Wähler haben einen Anspruch darauf zu erfahren, wie Steinmeier gedenkt, damit umzugehen."
Damit war und ist die CDU-Taktik klar: einerseits die CDU zur stärksten Partei Deutschlands zu erklären und andererseits der SPD eine Rot-Rot-Debatte aufzuzwingen. Denn Pofalla wusste genau: Die Sozialdemokraten würden gleich versuchen, diesen Abend zum Beginn einer Trendwende umzudeuten.
Und so kam es auch: Es war kurz nach halb sieben, als im Willy-Brandt-Haus Franz Müntefering und Frank-Walter Steinmeier vor ihre Genossen traten. Dass der Kanzlerkandidat - anders als die Kanzlerin - sich an diesem Abend zeigen würde, war eine psychologische Notwendigkeit. Der in den Umfragen von Angela Merkel abgehängte Herausforderer musste diesen Auftritt absolvieren, um folgende Botschaft auszusenden: Ich bin noch da, ich bin bereit zu kämpfen, und Schwarz-Gelb ist in Deutschland nicht gewollt.
Dafür taugte das Ergebnis allemal. Schon im Vorfeld der Bundestagswahlen 2002 und 2005 hätten Union und FDP die Posten voreilig unter sich verteilt, meinte Steinmeier, "und ich verspreche euch, das wird auch dieses Mal so sein". Dass die SPD im Saarland Verluste einstecken musste, dass es in Thüringen nur für den dritten und in Sachsen sogar nur für den vierten Platz gereicht hat, thematisierte Steinmeier nicht. Er fühlte sich vielmehr getragen vom Beifall seiner Anhängerschaft, ja, er schien zeitweilig sogar überrascht von dem Wohlwollen, das ihm entgegenschlug.
Während die CDU das Taumeln ihrer Ministerpräsidenten in Thüringen und an der Saar also zu regionalspezifischen Ereignissen erklärte, die es noch zu analysieren gelte, schlug SPD-Parteichef Franz Müntefering mit Blick auf den 27. September die umgekehrte Strategie ein: "Allen, die uns einreden wollten und wollen, die Sache wäre gelaufen, sind eines Besseren belehrt worden - die Amtsinhaber in Thüringen und in Saarland ganz voran." Und er fügte hinzu: "Ich bin sicher, Frau Merkel ist ganz nachdenklich heute Abend."
Die SPD stehe in Thüringen und im Saarland jetzt nämlich an den "strategisch wichtigen Punkten". Damit zielte Müntefering vor allem auf eines ab: Dass - abgesehen von Sachsen - ohne die SPD zunächst einmal gar nichts gehen wird. Darüber, dass der saarländische CDU-Ministerpräsident Peter Müller hinter den Kulissen seit Monaten Chancen für ein schwarz-gelb-grünes Bündnis ausgelotet hat, wollte Müntefering an diesem Abend lieber nicht sprechen.
Auch nicht über das heilige Versprechen des thüringischen SPD-Vorsitzenden Christoph Matschie, der Linken nicht als Juniorpartner zur Verfügung stehen zu wollen. Wohlwissend, dass das in den nächsten Wochen noch für viel Ärger mit den Linksparteichefs Gregor Gysi und Oskar Lafontaine sorgen wird. Die nach eigenem Bekunden ja gar nicht daran denken, in einem rot-roten-Bündnis zugunsten der SPD auf das Ministerpräsidentenamt zu verzichten. Auf diese Auseinandersetzung freut man sich schon im Konrad-Adenauer-Haus. Zwar versicherte Pofalla erneut, eine Neuauflage der Roten-Socken-Kampagne werde es "definitiv nicht geben".
Aber die wird es auch gar nicht brauchen: Das Thema Rot-Rot ist jetzt da, im Osten wie im Westen. Und es wird die verbleibenden vier Wochen bis zur Bundestagswahl dominieren. Der Parteivorsitzenden Angela Merkel kommt das gelegen, denn die Debatte um das Paktieren der Genossen mit den SED-Erben ist ideal zur Mobilisierung der eigenen Stammwählerschaft, die nach diesem Wahlsonntag eines wissen muss: Das Rennen um die Macht im Kanzleramt ist für die Union noch nicht gewonnen.
Als hätte Merkel ihn eigens dafür engagiert, diktierte der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Norbert Röttgen, den Journalisten prompt folgenden Satz in die Blöcke: "Auch auf Bundesebene ist es knapp."
Der Subtext dieser Botschaft: Wählt CDU, lasst es in Zeiten der schwersten Wirtschaftskrise nicht auf Experimente ankommen. Da kam das Ergebnis in Sachsen wie gerufen, das - so Röttgen und Pofalla - beweise: Wo die CDU stark ist, sind die Verhältnisse geklärt.
Fast scheint die CDU den alten Adenauer-Slogan "Keine Experimente" wiederbeleben zu wollen. Dazu passt, dass die Kanzlerin eine Zugfahrt im Salonwagen des ersten deutschen Regierungschefs quer durch Deutschland plant: Am 15. September startet sie mit dem "Rheingold-Express" in Rhöndorf ihre "Deutschlandreise".
Während Merkel im Endspurt die Tradition ihrer Partei also hochhält, reibt sich die SPD weiter an der Linkspartei. Die sie braucht, wenn sie eine Machtperspektive formulieren will. Und von der sie sich gleichzeitig furchtbar getrieben fühlt. Vor allem von dem einstigen Parteifreund und nun abtrünnigen Oskar Lafontaine. Dieser Oskar Lafontaine muss seinen Anspruch, den er auf das Amt des Ministerpräsidenten im Saarland angemeldet hat, nun allerdings wieder aufgeben. Zur großen Genugtuung von Franz Müntefering. Wie hat der am Wahlabend erregt gesagt? "Oskar Lafontaine ist zehn Zentimeter kürzer geworden!"