Rechtsextremisten lieferten sich im Zentrum der serbischen Hauptstadt Straßenschlachten mit der Polizei. Es gab 70 Festnahmen.
Belgrad. Für viele Serben ist der mutmaßliche Kriegsverbecher Ratko Mladic immer noch ein Held. Diese Ansicht wollten Demonstration in Belgrad kundtun, dabei kam es am Sonntagabend zu schweren Ausschreitungen. Rechtsextremisten lieferten sich im Zentrum der serbischen Hauptstadt Straßenschlachten mit der Polizei. Angesichts von Gewalt und Chaos brach die extrem nationalistische oppositionelle Radikale Partei (SRS) die Demonstration gegen die drohende Auslieferung des Ex-Generals an das Den Haager UN-Kriegsverbrechertribunal ab.
Die Einsatzkräfte hätten die Ausschreitungen „vollständig unter Kontrolle“, erklärte Polizeidirektor Milorad Veljovic. Mehr als 70 meist jugendliche Randalierer seien festgenommen worden.
Mit einigen tausend Menschen waren deutlich weniger als erwartet zur Unterstützung von Mladic vor dem Parlament im Zentrum Belgrads erschienen. Der 69-jährige frühere Militärführer der bosnischen Serben im Bürgerkrieg (1992-1995) war am letzten Donnerstag nach einem Jahrzehnt auf der Flucht verhaftet worden. Er soll in dieser Woche an das UN-Tribunal ausgeliefert werden.
Am Sonntag hatten sich tausende Anhänger von Mladic in dessen Geburtsort Kalinovik im Südosten von Bosnien-Herzegowina versammelt. Sie trugen Transparente, auf denen Mladic als „größter Feldherr des20. Jahrhunderts“ gelobt wurde.
Ratko Mladic: Vom Schlächter zum Gefangenen
Nach einer medizinischen Untersuchung hat das serbische Kriegsverbrechertribunal am Freitag in der Hauptstadt Belgrad entschieden, der am Vortag festgenommene frühere bosnisch-serbische Generaloberst Ratko Mladic dürfe nach Den Haag an den Internationalen Gerichtshof ausgeliefert werden. Der früher kraftstrotzende Feldherr, der die von ihm befohlene Ermordung von 8000 Jungen und Männern in der Uno-Schutzzone Srebrenica 1995 als "gewaltiges serbisches Fest" beschrieben hatte, ist dem Vernehmen nach durch zwei Herzinfarkte, drei Schlaganfälle und Demenz stark reduziert. Vergeblich verlangte sein Sohn Darko, man dürfe seinen Vater in dieser Verfassung nicht ausliefern, seine rechte Seite sei taub, der Arm gelähmt.
Die Verteidigung will am Montag Widerspruch gegen den Auslieferungsbeschluss einlegen. Der Sprecher der serbischen Staatsanwaltschaft, Bruno Vekaric, sagte, die angebliche Gebrechlichkeit von Mladic sei nur Teil seiner Verteidigungsstrategie. Bakir Izetbegovic, Mitglied der dreiköpfigen Präsidentschaft Bosnien-Herzegowinas, nannte Mladic "einen Feigling, der den Mut hatte, die Hinrichtung Tausender zu befehlen, aber nicht die Courage hat, sich der Anklage zu stellen".
Fast 16 Jahre lang war Ratko Mladic, der "Schlächter von Srebrenica", auf der Flucht. Das Haager Tribunal und die EU waren sich sicher, dass er aktive Unterstützung auch bei Militärs und Geheimdienst hatte. Zeitweise wurde er von rund 50 schwer bewaffneten Getreuen beschützt; es hieß, er trage zudem stets Handgranaten bei sich, um sich notfalls in die Luft sprengen zu können. Bei seiner Festnahme auf dem Bauernhof seines Onkels Branislav Mladic im Dorf Lazarevo nordwestlich von Belgrad war er aber schließlich allein und leistete keinen Widerstand. Anhänger befestigten dort ein Schild mit der Aufschrift "Ratko - der Held".
Mladic hat immer noch viele Anhänger in Serbien. Über allem schwebt der Geist des "Vidovdan". Am St. Veitstag - Vidovdan auf Serbisch - des 28. Juni 1389 prallten auf dem Amselfeld das Heer des serbischen Königs Lazar und seiner bosnischen Verbündeten mit der Streitmacht des osmanischen Sultans Murad I. zusammen. Obwohl die Schlacht vermutlich unentschieden ausging und beide Heerführer starben, führte sie in der Folge zum Untergang des Großserbischen Reiches.
Legenden über diese Schlacht verdichteten sich zum sinnstiftenden Opfermythos des serbischen Volkes. Am 600. Jahrestag der Schlacht 1989 hielt der serbische KP-Chef Slobodan Milosevic auf dem Amselfeld eine militant nationalistische Rede, die als Wegweiser in den jugoslawischen Bürgerkrieg der 90er-Jahre gewertet wird. Es war Milosevic, später serbischer und dann jugoslawischer Staatspräsident, der dem politischen Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadzic, und dessen Militärchef, Ratko Mladic, Rückendeckung für ihre Gräueltaten im Bosnienkrieg gab. Milosevic starb im März 2006 noch während seines Prozesses vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag/Scheveningen. Karadzic wurde im Juli 2008 gefasst und sitzt in Scheveningen ein.
Mladic war stets davon überzeugt, dass er der christlich-europäischen Kultur mit der Vernichtung der muslimischen Bosnier einen Gefallen erweisen würde. In einer pathologischen Verzerrung ihres Amselfeld-Mythos stellten die bosnischen Serben die Bosniaken mit den osmanischen Türken des 14. Jahrhunderts gleich.
Trotzig verweigerte Mladic am Freitag die Annahme der Anklageschrift. "Ihr habt Milosevic gewählt und nicht ich - wer hat also Schuld?", rief er.
Der frühere niederländische Verteidigungsminister Joris Voorhoeve räumte in Den Haag ein, dass selbst die Nato wenig zur Ergreifung Mladic' getan habe - aus Angst vor der enormen Popularität des Generals. Man fürchtete, die Friedensmissionen der Nato auf dem Balkan würden unmöglich, wenn der Volkszorn hochkoche. Zudem "wusste ich als Minister, dass Mladic vom serbischen Geheimdienst beschützt wird", sagte Voorhoeve der Zeitung "De Volkskrant".
Die Auslieferung von Mladic war von der EU zur Bedingung dafür erhoben worden, dass man in Brüssel den seit 2009 vorliegenden Antrag auf Mitgliedschaft ernsthaft prüfe. Nun erwarten die Serben Bewegung. Zwar ist in Brüssel unbestritten, dass Serbien in die EU eingebunden werden soll - aber wie schnell das geschehen soll, ist unklar. Bemängelt werden vor allem Korruption, organisierte Kriminalität und schlecht funktionierende Verwaltung in Serbien. Immerhin könnte Belgrad nun der offizielle Kandidatenstatus zuerkannt werden. Doch müssten alle Voraussetzungen für einen Beitritt erfüllt sein, betonte EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle. "Die Liste ist nur um einen Punkt kürzer geworden."
Unterdessen ist ein deutscher Richter für das Verfahren gegen Mladic berufen worden. Der UN-Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) hat für das Völkermord-Verfahren gegen den serbischen Ex-General Ratko Mladic einen deutschen Juristen als Vorsitzenden Richter bestimmt. Der 63-jährige frühere Berliner Justizstaatssekretär Christoph Flügge wird dabei von einem niederländischen und einem südafrikanischen Richterkollegen unterstützt. Das entschied der amtierende Präsident des ICTY, der türkische Jurist Mehmet Güney, am Freitagabend.
Flügge war 2008 von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in das Amt eines Richters beim ICTY berufen worden. Er gilt als ausgewiesener Experte des Völkerstrafrechts. Der an der Freien Universität Berlin ausgebildete Jurist leitete seit 1989 die Abteilung Strafvollzug in der Berliner Senatsverwaltung für Justiz. Flügge war in Deutschland auch als Staatsanwalt und Richter tätig.
Die beiden anderen Richter im Mladic-Verfahren sind der Niederländer Alphonse Orie (63) und der Südafrikaner Bakone Justice Moloto (66). Der bereits 1995 wegen Völkermords, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen Menschlichkeit angeklagte Mladic war am Donnerstag - fast 16 Jahre nach dem Ende des Bosnienkrieges – in Serbien verhaftet worden. Dem früheren Militärchef der bosnischen Serben wird tausendfacher Mord vorgeworfen. Er wird unter anderem für das Massaker von Srebrenica verantwortlich gemacht, bei dem etwa 8000 muslimische Männer und Jungen ermordet wurden.
Nach Angaben der serbischen Staatsanwaltschaft vom Freitag soll die Auslieferung von Mladic an das UN-Tribunal in Den Haag „spätestens in sieben Tagen“ erfolgen. Alle Voraussetzungen dafür seien erfüllt, entschied ein Gericht in Belgrad. Allerdings hat der Anwalt von Mladic für den kommenden Montag Berufung gegen den Auslieferungsbeschluss angekündigt. (abendblatt.de/dpa)