Sarajevo/Belgrad. Für viele Serben ist er immer noch ein Held: Tausende serbische Nationalisten haben am Sonntag in Belgrad gegen die Festnahme des mutmaßlichen Kriegsverbrechers und Ex-Generals Ratko Mladic protestiert. „Wir sind hier um diesen Verrätern zu zeigen, wie echte Serben einen serbischen Helden verteidigen“, sagte ein Teilnehmer. Auch in Mladic' bosnischer Geburtsstadt Kalinovik gingen etwa 1000 Menschen auf die Straße. „Er war und bleibt für uns ein Held, der Beschützer des serbischen Volks“, sagte ein junger Mann. Über der wichtigsten Straße des Orts hing ein Banner mit der Aufschrift „Willkommen in Mladic's Stadt“.
Der frühere General der bosnischen Serben war nach 16 Jahren auf der Flucht am Donnerstag festgenommen worden. Mladic wurde vom Haager UN-Kriegsverbrechertribunal unter anderem wegen des Massakers in der bosnischen Stadt Srebrenica 1995 angeklagt. Für viele seiner Landsleute ist er bis heute ein Held. (rtr/abendblatt.de)
Lesen Sie hier den Bericht zur Festnahme Mladics:
Als die ersten Fahrzeuge des Geheimdienstes und der Spezialpolizei um 6 Uhr früh im Dorf Lazarevo bei Zrenjanin auftauchten, war selbst der Bürgermeister überrascht. Auch der von seinen Landsleuten immer noch hoch geschätzte und seit Jahren als Kriegsverbrecher gesuchte Ratko Mladic war offenbar ahnungslos und suchte hinter seiner falschen Identität als Milorad Komadic Schutz.
In einem unscheinbaren bäuerlichen Anwesen in der Provinz wurde der militärische Superstar der Serben aus den 90er-Jahren ohne große Zwischenfälle festgenommen. Er hatte bei einem Verwandten Unterschlupf gefunden. Dem geht es wirtschaftlich offensichtlich nicht so prächtig, worauf das rostige Eingangstor zum bescheidenen Hof hinweist. Die immer befürchtete Schießerei der Leibgarde um Mladic und das von ihm angedrohte Blutbad gab es nicht.
In ersten Kommentaren zeigte sich der berühmte Mann auf der Straße tief enttäuscht. "Mladic hat uns jahrelang verteidigt, hat dem Staat geholfen und den Armen Essen gegeben“, lautet eine Zuschrift an die Zeitung "Blic“, die von vielen hundert Menschen unterstützt wurde. "Riesenverrat an Serbien“ und "Freiheit für die serbischen Heroen“, hieß es in anderen Kommentaren. Das ist verständlich: Selbst bei der letzten Umfrage sprachen sich noch 51 Prozent der Bürger gegen eine Verhaftung von Mladic aus.
Der heimische Analytiker Zoran Dragis hat eine klare Antwort auf die Frage, warum Mladic nach so vielen Jahren gerade jetzt dingfest gemacht wurde. "Es bleibt der Eindruck, dass die Regierung in Serbien die ganze Zeit wusste, wo er sich versteckt“, sagte er der Belgrader Agentur Beta: "Und als jetzt die EU-Kandidatur bedroht wurde, musste man Mladic schnell aufspüren.“
Die serbischen Medien jedenfalls waren völlig unvorbereitet. Die erste Meldung kam von einer Zeitung im Nachbarland Kroatien. Staatschef Boris Tadic beeilte sich dann auch bei der Veröffentlichung der sensationellen Nachricht, gleich als Gegenleistung die EU-Kandidatur seines Landes einzufordern. Dem wird sich Brüssel wahrscheinlich nicht entziehen können, auch wenn zentrale Reformen wie die Rückgabe des noch von den Kommunisten 1945 enteigneten Privateigentums immer noch auf sich warten lassen. Denn Mladic wurde bisher von vielen EU-Politiker als Bedingung aller Bedingungen für die Öffnung der EU-Tore verstanden.
Staatspräsident Tadic, der alles und jedes im Land bestimmt und alle Fäden fest in der Hand hält, hat sich offensichtlich zu dieser hoch riskanten Strategie durchgerungen: Weil seine DS-Partei – einst mit Abstand stärkste Kraft im Land – dramatisch an Zustimmung verloren hat, benötigt er einen neuen Trumpf vor den nächsten Parlamentswahlen im kommenden Frühjahr. Angesicht einer darnieder liegenden Wirtschaft, einer völlig verunglückten Privatisierung sowie von Arbeitslosigkeit und sozialer Not soll die EU-Mitgliedschaft jetzt das neue politische Ass im Ärmel werden.
Dazu müssen der Bevölkerung die Segnungen Brüssels nahe gebracht werden. Dafür bleibt bis zum Frühjahr noch genügend Zeit. Bis dahin, so hofft Tadic, werden alle Mladic-Fans die Vorteile von dessen Verhaftung eingesehen haben und ihm und seiner DS doch noch einmal eine Chance einräumen.
Westerwelle: Mladic-Festnahme ist Beitrag zur Gerechtigkeit
Außenminister Guido Westerwelle (FDP) hat die Festnahme Mladics als "sehr gute Nachricht für die Gerechtigkeit in Europa“ bezeichnet. Serbien löse damit eine "langjährige Forderung der EU“ ein, sagte Westerwelle am Donnerstag in Berlin. Er erinnerte an die Opfer des Massakers von Srebrenica und deren Angehörige. "Einer ihrer mutmaßlich schlimmsten Peiniger kann jetzt zur Verantwortung gezogen werden.“
Zur Frage, warum die Suche nach Mladic 16 Jahre gedauert habe, sagte Westerwelle, er wolle darüber nicht spekulieren. Entscheidend sei, dass jetzt ein „ganz wesentlicher Beitrag“ zur Gerechtigkeit geleistet worden sei. Die Aufarbeitung des Unrechts der Balkankriege sei „zwingende Voraussetzung“ für die Versöhnung in der Region. Mit der Festnahme von Mladic werde eine weitere Grundlage für eine friedliche Zukunft der gesamten Balkanregion geschaffen.
Westerwelle sagte zu den Bemühungen Serbiens um einen EU-Beitritt, die Bundesregierung sehe für das Land „eine ganz klare europäische Perspektive“. Serbien müsse aber alle Bedingungen dafür einhalten. Dazu zählten die Zusammenarbeit mit der internationalen Justiz und gute Beziehungen zu den Nachbarstaaten.
Sarkozy: Festnahme Mladics bringt Serbien näher an EU
Die Festnahme von Ratko Mladic ist nach Einschätzung des französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy "eine weitere Etappe Serbiens zur Integration in die EU“. Sarkozy äußerte sich am Rande des G-8-Gipfels in Deauville sehr erfreut über die Verhaftung des mutmaßlichen Kriegsverbrechers. "Das ist eine sehr gute Nachricht, und es ist eine sehr mutige Entscheidung des serbischen Präsidenten“, beglückwünschte Sarkozy seinen Kollegen Boris Tadic. Der hatte die Festnahme Mladics am Donnerstag in Belgrad bekannt gegeben. Serbien gehört zu den Anwärtern auf eine EU-Mitgliedschaft. Dass Mladic 16 Jahre lang untertauchen konnte, gehörte zu einem der Hindernisse für die Eröffnung der offiziellen Beitrittsverhandlungen.
Österreich zu Mladic: Serbiens EU-Beitritt rückt näher
Mit der Festnahme des gesuchten Kriegsverbrechers Ratko Mladic wird eine EU-Mitgliedschaft Serbiens nach Ansicht Österreichs deutlich wahrscheinlicher. Das Land habe eine schwere Hypothek auf seinem Weg in die Union beseitigt, teilte Österreichs Außenminister Michael Spindelegger am Donnerstag mit: "Die laufenden Bemühungen Serbiens um eine baldige Verleihung des EU-Kandidatenstatus' und nachführende Schritte im Heranführungsprozess sind jetzt in greifbare Nähe gerückt.“
Die serbischen Sicherheitskräfte und die Regierung haben aus Sicht Spindeleggers bewiesen, dass sie die vollständige Zusammenarbeit mit dem Haager Kriegsverbrechertribunal ernst nehmen und einen Beitrag zur Aufklärung der schwersten Kriegsverbrechen in Europa seit 1945 leisten wollen. "Mit der Verhaftung Mladics können die Tausenden Opfer und ihre Angehörigen nach jahrelangem Bangen endlich auf Gerechtigkeit hoffen“, sagte der Minister.
Athen: Mladic-Festnahme heilt Wunden
Der griechische Außenminister Dimitris Droutsas hat die Festnahme des serbischen Generals Ratko Mladic als ein Ereignis bezeichnet, das die Wunden der Geschichte auf dem Balkan heilen werde. „Serbien und das serbische Volk – frei von der Last der Vergangenheit – können jetzt für das große Ziel, den Beitritt in die EU, kämpfen“, hieß es unter anderem in einer am Donnerstag in Athen verbreiteten Erklärung des griechischen Außenministers. (dpa/dapd/abendblatt.de)