In einer Tonaufnahme sagt der libysche Machthaber, er sei unverletzt. Nach Angaben der italienischen Regierung sei Gaddafi verwundet.

Washington/La Bagnaia/Tripolis. Keine Gnade für den angeblich verletzten libyschen Machthaber Muammar al Gaddafi: Die Luftangriffe in Libyen werden nach Angaben der US-Regierung so lange fortgesetzt, bis Gaddafi nicht mehr gewaltsam gegen sein eigenes Volk vorgeht. US-Präsident Barack Obama und Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen stimmten darin überein, dass die Militäreinsätze bereits zahllosen Menschen das Leben gerettet hätten, erklärte das Weiße Haus nach einem Treffen der beiden.

Die USA suchten außerdem nach Möglichkeiten, die libyschen Rebellen finanziell besser zu unterstützen, sagte Sprecher Jay Carney. Bis zu drei Milliarden Dollar (2,1 Milliarden Euro) bräuchten die Gegner von Machthaber Muammar al Gaddafi nach eigenen Angaben in den kommenden Monaten, um Gehälter, Lebensmittel, Medikamente und andere Vorräte finanzieren zu können.

Die US-Regierung hat die finanzielle Unterstützung für die Rebellen ausgeweitet, erkennt anders als Frankreich und Italien den Übergangsrat bislang aber nicht als rechtmäßige Vertretung des libyschen Volkes an. Vertreter des Gremiums kamen am Freitag in Washington mit Kongressmitgliedern zusammen. Gespräche mit Obama waren nicht geplant.


Widersprüche um Gaddafis Verletzung

Nach Angaben der italienischen Regierung ist Libyens Machthaber Muammar Gaddafi vermutlich verwundet und sehr wahrscheinlich nicht mehr in der Hauptstadt Tripolis. Die libysche Regierung dementierte jedoch umgehend und wies die Äußerungen von Außenminister Franco Frattini am Freitag als Unsinn zurück.

Kurz darauf meldete sich der libysche Machthaber selbst zu Wort. Er ist nach eigenen Angaben bei den NATO-Angriffen auf seine Residenz in Tripolis unverletzt geblieben. Er sei am Leben und halte sich an einem Ort auf, „wo ihr mich nicht kriegen könnt„, erklärte Gaddafi in einer am Freitag veröffentlichten Tonaufnahme. Bei dem Bombardement vor zwei Wochen wurde sein jüngster Sohn getötet.

"Ich lebe an einem Ort, wo ihr mich nicht erreichen könnt. Ich lebe in den Herzen von Millionen„, heißt es in der am Freitag veröffentlichten Aufnahme. Gaddafi hatte sich zuletzt am Mittwoch im Fernsehen gezeigt. Der Auftritt war offenbar inszeniert worden, um Gerüchte über seinen Gesundheitszustand zu zerstreuen. Um die Aktualität der Bilder zu beweisen, wurde die Kamera eigens auf einen Fernsehbildschirm mit dem Datum 11. Mai gerichtet. Zuletzt war Gaddafi am 9. April beim Besuch einer Schule öffentlich zu sehen gewesen.

Frattini berief sich in La Bagnaia in der Toskana auf den katholischen Bischof in Tripolis, Giovanni Innocenzo Martinelli. Dieser habe erklärt: „'Gaddafi ist sehr wahrscheinlich außerhalb von Tripolis und vermutlich sogar verletzt'“ worden durch die Luftangriffe der Nato.

Gaddafis Truppen kontrollieren noch etwa die Hälfte Libyens. Die Nato greift auf der Grundlage eins UN-Mandats seine Einheiten an. Mehrere Milliarden Dollar libyschen Vermögens sind weltweit eingefroren worden.

Über deren Verwendung droht ein heftiger Streit. Vertreter der finanziell klammen Rebellen werben derzeit in den USA um die Freigabe eines Teils der Mittel. Der De-facto-Regierungschef der Aufständischen, Mahmud Dschebril, bezifferte den Bedarf der Gaddafi-Gegner im nächsten halben Jahr auf drei Milliarden Dollar. Dagegen fordert die UN-Vetomacht Russland eine Entscheidung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen über die Verwendung des Geldes und eine politische Lösung des Konflikts. Vor allem müsse sichergestellt werden, dass die Mittel nicht zur Bewaffnung einer Kriegspartei dienten.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow rief zudem zu einer baldigen Lösung des Libyen-Konflikts auf und warnte vor einer weiteren Einmischung des Auslands in der Region. „Bestrebungen, die Erfahrungen in Libyen in anderen Ländern und Regionen zu wiederholen, sind sehr gefährlich, sei es im Jemen, in Syrien oder Bahrain“, sagte Lawrow der Nachrichtenagentur Interfax. Lawrow zufolge sind Gespräche mit Libyens Machthaber Muammar Gaddafi unumgänglich, am Ende der Verhandlungen sollte aber eine neue Regierung stehen. Russland hatte sich im Sicherheitsrat bei der Abstimmung über die Einrichtung einer Flugverbotszone ebenso wie die Vetomacht China und Deutschland der Stimme enthalten. (dapd/Reuters/abendblatt.de)

Weitere Meldungen aus Libyen

Nato vereitelt Angriff auf Hafen von Misrata

Am Donnerstag hatten Schiffe der Nato einen Angriff von Gaddafi-Truppen auf die umgekämpfte Hafenstadt Misrata vereitelt. Wie die Nato in Brüssel mitteilte, wurden die zwei Schiffe unter Nato-Kommando von der Küste aus beschossen, als sie die Schnellboote an der Attacke hinderten. Die Nato-Schiffe unter britischer und kanadischer Flagge erwiderten das Feuer. Auf Nato-Seite gab es weder Verletzte noch Schäden.

Bereits vor zwei Wochen hatten Kriegsschiffe der Nato das Verminen des Hafen von Misrata verhindert. Die Nato hat die Aufgabe, die Bevölkerung vor Angriffen der Gaddafi-Truppen zu schützen.

Rebellen bitten Briten um Waffen

Für den Kampf gegen Gaddafi haben libysche Rebellen unterdessen um Waffenlieferungen aus dem Ausland gebeten. Die Kämpfer könnten größere Fortschritte erzielen, wenn sie besser bewaffnet wären, sagte Rebellenvertreter Mustafa Abdel Dschalil am Donnerstag nach einem Gespräch mit dem britischen Premierminister David Cameron in London. Man benötige leichte Waffen, die denen der Regierungstruppen zwar nicht ebenbürtig seien. "Aber vielleicht gibt es mit dem Mut der Libyer ein Gleichgewicht“, sagte Abdel Dschalil. Nach seinen Worten hat die britische Regierung angeboten, die Opposition mit Ausrüstungsgegenständen wie Nachtsichtgeräten und Panzerwesten auszustatten. Camerons Sprecher sagte, es gebe noch keine Entscheidung über die Lieferung von Waffen.

Für Libyen gilt ein UN-Waffenembargo, so dass die Rebellen Schlupflöcher nutzen oder Waffen schmuggeln müssen. Sie kämpfen seit Monaten gegen Truppen Gaddafis. Eine internationale Allianz unter Führung der Nato bombardiert zudem Ziele in Libyen, um nach eigener Darstellung die Bevölkerung zu schützen. Hintergrund ist eine entsprechende UN-Resolution.

Franzose in Bengasi erschossen

Derweil ist in der Rebellenhochburg Bengasi nach Angaben der Regierung in Paris ein Franzose getötet worden. Der Mann wurde gemeinsam mit vier Landsleuten an einer Kontrollstelle der Polizei festgenommen, wie das französische Außenministerium am Donnerstag mitteilte. Er wurde angeschossen und starb später im Krankenhaus.

Aus Kreisen der Rebellen hieß es, bei dem Opfer handele es sich um einen Auftragnehmer der Streitkräfte. Der Franzose wurde sei am Mittwoch unter nicht geklärten Umständen in den Rücken getroffen worden. Er war den Angaben zufolge am Dienstag aus Ägypten kommend nach Libyen eingereist.

Italien erwartet internationalen Haftbefehl für Gaddafi

Der italienische Außenminister Franco Frattini geht davon aus, dass der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) Ende des Monats einen Haftbefehl gegen Gaddafi ausstellt. Die Entscheidung wäre ein Schlüsselmoment für die Krise in Libyen, erklärte Frattini am Donnerstag. Mit einem internationalen Haftbefehl wäre ein Exil Gaddafis nicht länger vorstellbar, sagte der Minister.

Die italienische Regierung betont seit langem, dass es für Libyen nur eine Zukunft ohne Gaddafi oder seine Angehörigen geben könne. Der UN-Sicherheitsrat hat Ende Februar den IStGH für zuständig erklärt, wegen der Libyen-Krise Ermittlungen aufzunehmen.

Gaddafis Machtbasis schrumpft

Unterdessen schrumpft die Gaddafis Machtbasis weiter. Sein Konsul in Kairo, Faradsch al-Areibi, gab im Nachrichtensender Al-Arabija seinen Rücktritt bekannt und kündigte an, ab sofort die Aufständischen und ihren Nationalen Übergangsrat in Bengasi zu unterstützen. Deutschland wird in der Rebellenhochburg im Osten Libyens in Kürze ein Verbindungsbüro einrichten, teilte das Auswärtige Amt am Donnerstag in Berlin mit.

Der Übergangsrat kündigte für Freitag Demonstrationen in mehreren Stadtvierteln in Tripolis an. Augenzeugen berichteten, die Regimegegner würden auch in der libyschen Hauptstadt immer mutiger. Auf etlichen Gebäuden sei inzwischen Anti-Gaddafi-Graffiti zu sehen. Gerüchte über eine Spaltung der Armee machten die Runde. Angeblich sollen Soldaten der Mitiga-Brigade, die zum Teil mit Gaddafi und zum Teil mit den Aufständischen sympathisieren, aufeinander geschossen haben.

Staats-TV zeigt Gaddafi mit Stammesführern

Das libysche Staatsfernsehen strahlte in der Nacht zum Donnerstag Bilder von einem Treffen Gaddafis mit Stammesführern in Tripolis aus. Es blieb jedoch unklar, wann und wo dieses Treffen stattfand. Auch die staatliche Nachrichtenagentur Jana erwähnte den Ort in einer Meldung über das Treffen nicht. Zuletzt waren angeblich aktuelle Bilder von Gaddafi vor knapp zwei Wochen gezeigt worden.

Bei Nato-Angriffen auf das von Gaddafi genutzte Militärlager Bab al-Asisija südlich von Tripolis seien drei Zivilisten getötet, meldete die Agentur Jana am Donnerstag. Bei einer weiteren Nato-Attacke sei zudem in Tripolis das Gebäude der Botschaft Nordkoreas beschädigt worden. Ein Augenzeuge berichtete, der Angriff habe offensichtlich einer benachbarten Einrichtung gegolten. In dem Botschaftsgebäude seien lediglich einige Scheiben zu Bruch gegangen.

Druck auf das Regime kommt auch aus dem Gebiet westlich und südlich von Tripolis. Bei Kämpfen in der Umgebung von Sintan sind seit Anfang des Monats etwa 21 Menschen getötet und 100 verletzt worden. Bei den Toten handele es sich um Rebellen aus der Stadt, die im Kampf gegen die Gaddafi-Truppen ums Leben gekommen seien, sagte die Krankenschwester Anja Wolz am Donnerstag der Nachrichtenagentur dpa am Telefon. Die Helferin aus Würzburg arbeitet mit zwei Kollegen für die Organisation Ärzte ohne Grenzen im Krankenhaus der 150 Kilometer südwestlich von Tripolis gelegenen Stadt. Allein am Mittwoch seien 25 Verletzte in ihr Spital gekommen, von denen sechs gestorben seien, sagte Wolz.

USA liefern Hilfsgüter

Nach Angaben des Verbindungsbüros der US-Regierung in Bengasi ist Dienstag eine erste Lieferung der Amerikaner für die Truppen des Übergangsrates in der Stadt eingetroffen. Es handele sich um Zelte, Stiefel, Uniformen, medizinische Güter, Verpflegungspakete und militärische Schutzkleidung.

Auch Deutschland wird in Kürze ein Verbindungsbüro in der Hochburg der Gaddafi-Gegner einrichten. Ziel sei es, einen ständigen Kontakt mit dem Übergangsrat in Bengasi aufzubauen und die Unterstützung für die Bevölkerung in Ostlibyen zu begleiten, teilte das Auswärtige Amt am Donnerstag in Berlin mit. Die Leitung des Büros soll ein erfahrener Diplomat übernehmen. Bereits in den nächsten Tagen sollen die praktischen Fragen für die Eröffnung vor Ort geklärt werden. Deutschland hat bisher sieben Millionen Euro an humanitärer Hilfe für Libyen zur Verfügung gestellt. Schon am Vortag hatte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton die baldige Eröffnung einer Vertretung in Bengasi angekündigt.

Auch London schaltete sich in die diplomatischen Aktivitäten ein. Premier David Cameron bot den libyschen Rebellen die Eröffnung einer Vertretung in London an. Außerdem kündigte er am Donnerstag nach einem Treffen mit dem Vorsitzenden des Nationalen Übergangsrates, Mustafa Abdul Dschalil, eine verstärkte britische Präsenz in Bengasi an. Zudem soll Ausrüstung im Wert von "mehreren Millionen Pfund“ an die Polizei in der Rebellen-Hochburg geschickt werden.

(rtr/dapd/dpa/abendblatt.de)