Umweltschützer jubeln über den neuen Bericht. Ein Öl-Staat will Öko-Vorreiter werden. Unicef beklagt die Folgen des Klimawandels für Kinder.
Abu Dhabi/Berlin. Mehr als drei Viertel aller Energie könnte nach einer Studie des Weltklimarates IPCC im Jahr 2050 aus alternativen Quellen stammen. Voraussetzung sind optimale politische Bedingungen und hohe Investitionen für erneuerbare Energien. Das geht aus einem 900 Seiten umfassenden Report des Weltklimarates IPCC hervor, dessen Hauptergebnisse in Abu Dhabi in den Vereinigten Arabischen Emiraten präsentiert wurden. Für den Report hatten 120 Forscher den Stand der Literatur zusammengefasst. Die fossilen Rohstoffe Kohle, Öl und Gas stellten laut IPCC nach jüngsten verfügbaren Daten von 2008 rund 85 Prozent der genutzten Energie bereit, die Atomkraft lag bei 2 Prozent. Die erneuerbaren Energien boten insgesamt knapp 13 Prozent. Knapp die Hälfte davon (6 Prozent) entfallen allerdings auf traditionelle Holz- und Dungverbrennung, rund 4 Prozent auf effizientere Bio-Energie wie moderne Holzschnitzelanlagen und Biotreibstoff. Es folgen Wasserkraft (2,3 Prozent), Windkraft (0,2 Prozent), Solarenergie und Erdwärme (je 0,1 Prozent) sowie Meeresenergie (0,002 Prozent).
Die modernen erneuerbaren Energien werden laut Report immer günstiger und haben starke Zuwachsraten. Der IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) hat 164 Zukunftsszenarien berechnet, die verschiedene politische und wirtschaftliche Ausgangsdaten hatten und vier beispielhafte davon genauer analysiert. Das Ergebnis: Auch in rund 40 Jahren kann die Menschheit nicht völlig auf Kohle, Gas und Erdöl verzichten. Je nach Unterstützung durch Politik und Wirtschaft können die Erneuerbaren Energien 2050 einen Anteil von bis zu 77 Prozent erreichen.
In den vier beispielhaften Szenarien gingen die Forscher für den Zeitraum 2011 bis 2020 von Investitionen in Höhe von 1360 bis 5100 Milliarden US-Dollar (949 bis 3562 Milliarden Euro) aus. Für das folgende Jahrzehnt waren es 1490 bis 7180 Milliarden US-Dollar (1041 bis 5014 Mrd. Euro). Das Geld müsse aus einem weiten Spektrum an Finanzquellen von Politik und Wirtschaft kommen. Laut IPCC werden die Kosten für die erneuerbaren Energien jedoch nicht höher sein als ein Prozent des weltweiten Bruttosozialproduktes. Derzeit würden die künftigen Gewinne der erneuerbaren Energien oftmals zu wenig in die Kalkulationen einbezogen. Zudem würden die „Nebenkosten“ der fossilen Energien wie Erderwärmung und Gesundheitsschäden zu gering angesetzt.
„Der Report zeigt, dass es wissenschaftlich keine Probleme gibt, die Welt mit alternativen Energien zu versorgen“, sagte Mitautor Sven Teske von Greenpeace International. „Technisch könnten die 560 Gigatonnen (Milliarden Tonnen) Kohlendioxid mit erneuerbaren Energien eingespart werden, die wir brauchen, um die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen“, sagte er mit Blick auf den Jahresausstoß 2050. Daneben müsse die Waldzerstörung zurückgehen, die zu rund 20 Prozent zum Kohlendioxidausstoß beiträgt. Die Windenergie sei in einigen Regionen schon so günstig wie die herkömmliche Stromversorgung.
„Der Weltklimarat hat hervorragende Arbeit geleistet, beides herauszustellen: die großen Herausforderungen und die noch viel größeren Chancen und Gewinne für alle Nationen durch erneuerbare Energien“, sagte Stephan Singer von der Umweltstiftung WWF. Der Weltklimarat zeige die mögliche Kostenreduktion der Erneuerbaren ebenso auf wie die Möglichkeit für neue Jobs. „Der Report ist ein Meilenstein auf dem Weg zu 100 Prozent erneuerbare Energien.“
Vertreter von mehr als 100 Ländern hatten von Donnerstag bis Montag um jeden Satz der 30-seitigen Zusammenfassung des Reports für Politiker gerungen, bevor sie verabschiedet wurde. Insbesondere Brasilien sowie die Ölstaaten Saudi Arabien und Katar hatten nach Angaben von Greenpeace die Verhandlungen immer wieder verzögert und Kernaussagen des Reports in der Kurzfassung für Politiker verwässert.
Dass der Report gerade in der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate verabschiedet wurde, ist kein Zufall. Der Staat strenge sich sehr an, seinen Energiemix zu verändern, und sei dabei, eines der führenden Länder im Bereich saubere Energie zu werden, sagte der Politische Direktor der Emirates Wildlife Society, Tanzeed Alam. Die Ökostadt Masdar unweit von Abu Dhabi soll Brutkasten für alternative Energietechnik und klimaneutral werden. Auch Siemens ist an ihrem Bau beteiligt. Zudem hat die Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien (Irena) ihren Sitz in dem Wüstenstaat.
Unterdessen beklagt das Uno-Kinderhilfswerk Unicef, dass Kinder nicht ausreichend vor Naturkatastrophen geschützt sind. Die Hälfte der bereits über 200 Millionen Menschen, die pro Jahr von Überschwemmungen, Dürre oder schweren Stürmen betroffen sind, seien Kinder, sagte der Vorsitzende von Unicef Deutschland, Jürgen Heraeus, bei der Vorstellung des diesjährigen Berichts zur Lage der Kinder in Krisengebieten. Überlebende Jungen und Mädchen seien oft jahrelang mangelhaft versorgt und könnten nicht zur Schule gehen.
Klimawandel erfordere stärkere Prävention, erklärte Heraeus. Rund 70 Prozent aller Katastrophen seien heute bereits klimabedingt. Angesichts der zunehmenden Extremwetterlagen forderte das Kinderhilfswerk stärkere Anstrengungen, um besonders betroffene Regionen auf Notfälle vorzubereiten. Dazu sei auch nötig, humanitäre Hilfe und langfristige Entwicklungsarbeit besser zu verknüpfen. (dpa/epd)