Uno-Umweltchef Steiner appelliert vor dem Klimagipfel in Cancún an die Industriestaaten, für die Entwicklungsländer mehr Geld bereitzustellen.
Nairobi/Hamburg. Heute beginnt in Cancún (Mexiko) die 16. Konferenz der Uno-Klimakonvention. Das Abendblatt sprach mit Achim Steiner, Chef des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (Unep), über die Aussichten eines Gipfels, der noch im Schatten des Misserfolgs der Vorgängerkonferenz in Kopenhagen steht.
Hamburger Abendblatt:
Nach Kopenhagen hielten viele Kritiker den Uno-Verhandlungsprozess für tot. Lässt er sich in Mexiko wieder beleben?
Achim Steiner:
Schon die Teilnahme von 192 Regierungen in Cancún beweist, dass der Verhandlungsprozess im Rahmen der Uno-Klimakonvention weitergeht. Nun gilt es aber erst einmal, die Enttäuschung und den Vertrauensverlust nach Kopenhagen zu überwinden. Dazu gehört auch das Anknüpfen an die Ergebnisse, die im Kopenhagener Akkord stehen. Dies geschieht anhand einzelner Themenblöcke. Dazu gehört die Frage der Finanzierung. Industrieländer müssen in den kommenden 24 Monaten die versprochenen Mittel zur Verfügung stellen, um den Entwicklungsländern zu helfen, Klimaschutz zu betreiben und mit den Folgen der Erwärmung umzugehen. Der Waldschutz wird ein zentrales Thema sein. Auch der Technologietransfer im Bereich der Energieeffizienz und der erneuerbaren Energien muss vorangetrieben werden. Cancún ist sicher nicht ein zweiter Kopenhagen-Anlauf mit all seinen Erwartungen. Aber jeder weiß, dass die Klimaproblematik nicht geringer geworden ist und dass die Länder nur gemeinsam vorankommen können.
Es waren noch nie so viele Regierungschefs auf einem Klimagipfel vertreten wie in Kopenhagen. Spüren Sie einen Lerneffekt? Passierte in diesem Jahr mehr als zuvor?
Steiner:
Die große Erwartung der Öffentlichkeit an Kopenhagen war entstanden, weil die Menschen in Nord und Süd die Herausforderungen des Klimawandels erkannt und akzeptiert haben. Das ist nicht verschwunden. Der Gipfelprozess war dann zwar eine Enttäuschung, weil es nicht gelang, dort ein Gesamtpaket zu schnüren. Aber Unep hat gerade in der vergangenen Woche eine Analyse veröffentlicht, die zeigt, dass die freiwilligen Verpflichtungen aller Länder, die sich zum Schlussdokument - dem Kopenhagen-Akkord - bekannt haben, bereits 60 Prozent aller Reduktionen ausmachen, die wir bis 2020 erreichen müssen. Das heißt, wir könnten schon jetzt fast zwei Drittel des Weges zurücklegen, während wir ein rechtsgültiges Abkommen verhandeln. Wir müssen in Cancún auf den Kopenhagen-Akkord aufbauen. Das ist die Grundvoraussetzung, damit wir dann vielleicht im nächsten Jahr in Johannesburg das große Paket tatsächlich verabschieden können.
Wird es in zukünftigen Uno-Klimakonferenzen stärker darum gehen, gemeinsame Ziele zu vereinbaren und die eigentliche Umsetzung dann anderen Gremien - wie der G20, Städte- oder Staatenbündnissen - zu überlassen?
Steiner:
Wir sehen weltweit, wie auf lokalen und regionalen Ebenen - auch in Teilen der Wirtschaft, speziell den Technologiesektoren - versucht wird, neue, klimafreundlichere Wege zu gehen. Dieser Trend ist vielversprechend. Aber wir brauchen auch ein rechtsverbindliches Vertragswerk. Nur mit einem sogenannten fairen Deal, der alle Länder und Ländergruppen angemessen berücksichtigt, werden wir die vom Weltklimarat vorgegebenen Ziele erreichen. Länder müssen sich darauf verlassen können, dass, wenn sie die ersten Schritte machen, auch die anderen Staaten einen Schritt tun. Eine internationale Klimapolitik, die nur auf dem Freiwilligkeitsprinzip beruht, wird letztlich nicht ausreichen. Um die Ziele zu erreichen, bedarf es vieler Akteure. Auch ein G20-Gipfel oder ein G8-Gipfel kann hier eine wegbereitende Rolle spielen.
Wie kann ein internationales Abkommen funktionieren, wenn sich die Hauptemittenten China und die USA nicht dazu verpflichten lassen, ihren Treibhausgas-Ausstoß zu senken?
Steiner:
China bekennt sich dazu, sein Wirtschaftswachstum vom CO2-Ausstoß zu entkoppeln. Die Obama-Administration will ebenfalls den CO2-Ausstoß senken, auch in den einzelnen US-Bundesstaaten passiert sehr viel. Aber solange sich die beiden Akteure nicht einigen können, wie sie mit dem Rest der Weltgemeinschaft gemeinsam agieren können, wird ein effektives Abkommen kaum erreichbar sein. Das heißt nicht, dass wir solange keine weiteren Fortschritte machen können - das hat die Welt in den vergangenen zehn, zwölf Jahren ja auch ohne die Vereinigten Staaten geschafft.
Würde es den beiden Staaten helfen, wenn man den verbleibenden CO2-Deponieraum in der Atmosphäre auf die Weltbevölkerung aufteilt und jedem Land ein Budget zurechnet? Durch einen globalen Handel mit Emissionsrechten ließen sich die Budgets gegen Geld vergrößern.
+++ Der Klimafonds +++
Steiner:
Im gegenwärtigen Stadium der Verhandlung wird dies nicht schneller zu einem Vertrag führen. Mittel- bis langfristig könnte solch ein Globalbudget eine faire Basis bilden, um den acht, neun Milliarden Menschen, die 2050 auf dem Planeten leben werden, gerecht zu werden.
Viele Länder haben gerade beim Waldschutzfonds Zusagen gemacht, aber noch nicht eingezahlt. Wie lassen sich die Industriestaaten dazu bringen, sich finanziell stärker zu engagieren?
Steiner:
Das ist ein Test für Cancún, denn gerade bei dem Thema Waldschutz haben wir im vergangenen Jahr Fortschritte gemacht. Die Länder müssen jetzt zu der Überzeugung kommen, dass es sich lohnt, in diese gemeinsame Klimapolitik zu investieren. Unter der gegenwärtigen wirtschaftlichen Unsicherheit, die auch viele Länder des Nordens betrifft, muss man akzeptieren, dass es schwerer geworden ist, ausreichende Finanzmittel für einen internationalen Prozess zu mobilisieren. Dennoch müssen wir in Cancún erreichen, dass die 30 Milliarden Dollar bereits zugesagter Finanzmittel für Entwicklungsländer real verfügbar sind.
Hier in Deutschland wird Cancún eher als minder bedeutende Zwischenkonferenz wahrgenommen. Ist das in anderen Teilen der Welt auch so?
Steiner:
Ja. Die Erwartungen an Cancún sind heruntergefahren. Man muss erst einmal sicherstellen, dass der Verhandlungsprozess wieder sein Gleichgewicht findet. Aber die Bausteine des Klimaabkommens reifen heran, ein effektives Abkommen bleibt weiterhin das Ziel. Denn die Klimaproblematik wächst weiter. Mit jedem Jahr, in dem wir es nicht schaffen, eine gemeinsame Klimapolitik umzusetzen, wird der Preis nur noch höher - und das Zeitfenster, das uns bleibt, um die Erderwärmung in Maßen zu halten, immer kleiner.